Österreich im Sommer 2023: Die ÖVP macht sich Sorgen um die "Normalen", das Schnitzel und "dein Bargeld". Die grüne Parteizentrale grübelt über das Metal-Band-T-Shirt eines Jugendforschers in Runenoptik. Mit der FPÖ unter Herbert Kickl will keine andere Partei etwas zu tun haben, aber alle wissen jetzt, dass er als Teenager von der Ex-Grünen-Chefin geküsst wurde. Und SPÖ-Vorsitzender Andreas Babler reibt sich am Bundesheer. Er nutzte die von Bildungs- und Verteidigungsministerium angesichts des Lehrkräftemangels angekündigte Initiative, mit der auch Soldatinnen und Soldaten zum Seitenwechsel in die Schule animiert werden sollen, als Empörungsrampe und verlautete auf der Online-Plattform X (vormals Twitter), "Soldaten als Lehrer" zeigten nur, "wie sehr die ÖVP unser Land in den letzten Jahren kaputtgemacht hat". Tags darauf sekundierte die rote Parteijugend an der ÖH-Spitze sowie in der Schulorganisation AKS. Sie wähnen Österreich auf dem Weg zu einem "militarisierten Bildungswesen".

Soldatinnen und Soldaten sollen für den Lehrberuf gewonnen werden. Verteidigungsministerin Klaudia Tanner will vor allem Beschäftigte in den Bereichen Miliz, Militärmusik und Heeressport ansprechen.
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Nun, die parteipolitische Tangente einmal außen vor gelassen: Worum geht es hier im Kern eigentlich? Was ist das vermeintlich Empörende daran, dass auch Menschen mit spezifischen Qualifikationen, die eine Zeitlang für das Bundesheer, in der Miliz, gearbeitet haben, nach dieser beruflichen Etappe Lehrerin oder Lehrer werden wollen? Gar nichts.

Verzerrter Blick

Die antimilitaristische Argumentationsfigur proklamierte, Soldaten hätten in Schulklassen nichts verloren. Aber wo haben sie denn etwas "verloren"? Interessanterweise hat sich weder beim aktuellen Hochwasser noch in der Pandemie, als das Bundesheer Covid-Testzentren betrieb und Impfstoffe durchs Land transportierte, jemand über die "Militarisierung" der Katastrophenhilfe oder der Pandemiebewältigung aufgeregt. Da sind die Expertinnen und Experten, in welcher Funktion auch immer sie beim Militär Dienst machen, immer gern gesehen.

Gegen diesen verzerrten Blick auf die Rolle des Bundesheers hilft vielleicht ein Blick in die Bundesverfassung. In Artikel 9a ist ein Bekenntnis zur umfassenden Landesverteidigung verankert, zu der neben der militärischen, der wirtschaftlichen und der zivilen auch die geistige Landesverteidigung gehört. Sie ist im Rahmen der politischen Bildung auch Aufgabe der Schule. Diese umfassende Landesverteidigung dient nicht nur der Unabhängigkeit des Landes und der so beliebten und oft sehr praktischen "immerwährenden Neutralität", sondern auch der Vermittlung demokratischer Werte und Freiheiten. Also alles keine ehrenrührigen Aufgaben.

Das Bundesheer hat als Teil der Exekutive einen verfassungsrechtlich genau definierten Platz – mitten in der Gesellschaft. Es ist kein, wie insinuiert wird, außer- oder gar undemokratischer Außenposten, der mit militärischen Quereinsteigern quasi durch die Seitentür in die Schulen eingeschleust würde. Insofern wäre die Aufregung über eine vermeintliche "Militarisierung" der Schule ein guter Anlass, die geistige Landesverteidigung sehr buchstäblich zu fassen – und den Sommer noch zu nutzen für eine echte Bildungsdebatte. (Lisa Nimmervoll, 16.8.2023)