Broad Peak 8000er Lukas Wörle
Lukas Wörle wurde nach der Rettung eines Menschen aus der Todeszone für den höchsten zivilen Orden Pakistans nominiert.
Foto: w8less consulting OG

Lukas Wörle hat einen Traum: Er möchte einen 8.000er bezwingen, ohne Zuhilfenahme von künstlichem Sauerstoff und Höhenträgern. Und dann vom Gipfel mit dem Gleitschirm ins Tal fliegen. Hunderte Stunden Vorbereitung und Training hat der Tiroler investiert. Im vergangenen Jahr ist er gescheitert. Anfang Juli dieses Jahres bricht er wieder auf. Zum Gipfel des 8.051 Meter hohen Broad Peak in Pakistan fehlen nur noch wenige Kilometer, nur noch einige Hundert Höhenmeter, als er einen höhenkranken Sherpa findet.

STANDARD: Wie haben Sie diesen Moment erlebt?

Wörle: Der Mann war offensichtlich komplett erschöpft. Er lag auf rund 8.000 Metern hinter dem Grat, Erbrochenes war an seinem Gesicht angefroren, seine Finger waren schon ganz schwarz, sein Blick starr, er war nicht mehr ansprechbar. Ich habe keinen Moment gezögert. Mir war klar, dass ich ihn retten muss. Ich habe meinen Bruder und Vater im Basecamp angefunkt.

STANDARD: Und den Mann aus der Todeszone getragen?

Wörle: Das ist nicht möglich. Ich habe ihn geschoben, gezogen und abgeseilt. Es war ein enormer Kraftakt. Er konnte die Gefahr, in der er sich befand, nicht einschätzen, wollte sich immer nur hinsetzen. Man kann sich das so vorstellen, als wolle man einem Volltrunkenen am Dorffest erklären, dass er jetzt heimgehen muss. 200 Höhenmeter talwärts ist uns ein amerikanischer Bergsteiger entgegengekommen. Er hatte Medikamente gegen Höhenkrankheit dabei. Aus dem Rucksack eines anderen pakistanischen Höhenträgers, der seine Hilfe verweigerte, haben wir Ersatzsauerstoff genommen, der für die Bergsteigertouristen vorgesehen war. Der Sherpa hat sich dann nach und nach erholt, es ging ihm besser, und er wurde immer selbstständiger.

STANDARD: Auf dem K2 kam Ende Juli ein pakistanischer Höhenträger ums Leben. Er ist beim Montieren eines Fixseils in einer Schlüsselstelle abgestürzt. Danach soll er laut Augenzeugenberichten noch längere Zeit am Leben gewesen sein. Rund 70 Alpinisten stiegen offenbar über den Körper oder gingen knapp daran vorbei.

Wörle: Da war ich nicht dabei, darüber kann ich nicht urteilen. Natürlich haben wir davon gehört. Der Vorfall hat sich ereignet, als wir dort waren, es wurde viel darüber gesprochen. Fakt ist: Der Sherpa, den ich gefunden habe – sein Name ist Murtaza Sadpora – wurde von seiner Gruppe zurückgelassen. Mein Bruder nahm Kontakt mit ihnen auf. Daraufhin meinten sie, sie würden ihn in eineinhalb Stunden einsammeln, nachdem sie auf dem Gipfel waren. Ich war schockiert. Mir ist schleierhaft, wie man sein persönliches Ziel über ein Menschenleben priorisieren kann. Auf dieser Höhe gibt es keine Hilfe von außen, man muss sich auf jene Menschen verlassen, die am Berg unterwegs sind.

Video: Kontroverse um Tod eines Sherpas auf dem K2
AFP

STANDARD: Wie fühlt man sich auf dieser Höhe?

Wörle: Die Erschöpfungszustände beim Klettern ohne künstlichen Sauerstoff sind schwer zu fassen. Das lässt sich mit keinem noch so anstrengenden Training im Tal vergleichen. Es dauert viele Tage, bis sich der Körper akklimatisiert, sich an die Höhe gewöhnt. Das ist sehr individuell. Ich habe gemerkt, dass mein Körper damit gut umgehen kann. Von den vielen Menschen, die auf dem K2 unterwegs waren und mutmaßlich an dem Sherpa vorbeigingen, war bestimmt der Großteil mit künstlichem Sauerstoff unterwegs. Die sind natürlich viel fitter.

STANDARD: Wie ging es Ihnen nach der Rettungsaktion?

Wörle: Ich war noch nie in meinem Leben dermaßen erschöpft. Ein Vorarlberger Bergführer ist uns beim Abstieg entgegengekommen. Es lag viel Schnee, wir konnten die Fixseile nicht mehr sehen, Nebel machte sich breit. Am Camp 3 haben wir die Verantwortung für den Sadpora abgegeben. Ich war nach dem neunstündigen Abstieg völlig am Ende, bin bei offenem Zelt eingeschlafen.

 Lukas Wörle Broad Peak 8000er
Lukas Wörle: "Wir müssen lernen, ganzheitlich zu denken und umsichtiger zu handeln. Ich hoffe, dass ich durch diese Rettung Menschen inspirieren kann – sei es auf dem Berg oder im Alltag."
Wörle

STANDARD: Wie ging es Ihnen mental? Sie hatten Ihr Ziel ja vor Augen.

Wörle: Das war dann nicht mehr wichtig. Hätte ich nur eine Sekunde darüber nachgedacht, weiterzuklettern, wäre ich vor mir selbst erschrocken. Ich habe sechs Tage im Basecamp verbracht und mich bis zum nächsten Wetterfenster erholt. Am 24. Juli bin ich dann gemeinsam mit dem amerikanischen Bergsteiger erneut aufgebrochen, drei Tage später waren wir in Camp 3, von wo wir uns dann nachts zum Gipfel aufgemacht haben.

STANDARD: Mit Erfolg?

Lukas Wörle: Nein, leider. Auf 7.700 Metern musste ich mir eingestehen, dass ich noch zu erschöpft bin. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich, dass ich bestimmt noch fünf Stunden auf mehr als 8.000 Metern klettern müsste. Mir einzugestehen, dass ich umkehren muss, war hart.

Video: Extrembergsteiger Lukas Wörle packt auf 7.000 Metern seinen Schirm aus und fliegt vom Broad Peak ins Basecamp
DER STANDARD/w8less consulting OG

STANDARD: Sind Sie dennoch mit dem Gleitschirm abgehoben?

Wörle: Der Wetterbericht hatte Bedingungen prognostiziert, die nicht fliegbar sind. Während des Abstiegs wurde es viel ruhiger. Ich habe dann auf 7.000 Metern meinen Schirm ausgepackt und bin ins Basecamp geflogen.

STANDARD: Wie fühlt sich so ein Flug in dieser Höhe an?

Wörle: Es war der geilste Flug meines Lebens. Der Start war ultraschwierig. Der Rucksack wiegt sicher 15 Kilo, ich hatte schwere Kleidung, massive Boots. Nach einem Startabbruch habe ich einen zweiten Versuch gewagt. Ich hätte nicht schneller rennen können, es ist mir noch im letzten Moment gelungen, die Füße hochzuziehen. In dieser Höhe wird man extrem schnell. Das Panorama war atemberaubend.

Broad Peak 8000er Lukas Wörle
Lukas Wörle hoch oben.
w8less consulting OG

STANDARD: Über konventionelle Anbieter lassen sich von Bergführern über Sherpas und die Planung im Vorhinein viele Dienstleistungen buchen. Wie sind Sie vorgegangen?

Wörle: Wir haben die Expedition gänzlich selbst geplant. Das war extrem aufwendig. Für die Einreise nach Pakistan braucht man ein Visum, für den Aufenthalt im Himalaja ein teures Permit. Dass ich ohne Höhenträger und ohne künstlichen Sauerstoff klettern werde, stand für mich außer Frage.

STANDARD: Warum?

Wörle: Dadurch nimmt man dem Höhenbergsteigen das, was es so herausfordernd macht. Ich würde gerne verstehen, was Menschen antreibt, die es sich so leicht wie möglich machen.

STANDARD: Wie die Norwegerin Kristin Harila, die in nur 92 Tagen alle 14 Achttausender bestiegen hat?

Wörle: Harila war zur selben Zeit in der Gegend, auf dem Broad Peak habe ich das live miterlebt, sie ist an mir vorbeigegangen. Es ist bekannt, dass sie von Basecamp zu Basecamp geflogen ist. Sie hatte sechs Sherpas bei sich, drei gingen vor ihr, drei hinterher. Ihr wurden die Wege geebnet, das Gepäck getragen. Mit Bergsteigen hat das wenig zu tun.

STANDARD: Steht diese Aktion nicht doch für unsere Zeit?

Wörle: Bestimmt. Auch die Tatsache, dass ein Mensch in Lebensgefahr nicht gerettet wird, weil einige lediglich ihr persönliches Ziel vor Augen haben, ist bezeichnend.

STANDARD: Inwiefern?

Wörle: Ich halte das durchaus für ein gesellschaftliches Problem. Wir müssen lernen, ganzheitlich zu denken und umsichtiger zu handeln. Ich hoffe, dass ich durch diese Rettung Menschen inspirieren kann – sei es auf dem Berg oder im Alltag.

STANDARD: Ihre Aktion hat jedenfalls für Aufmerksamkeit gesorgt.

Wörle: Ja. Ich wurde von der pakistanischen Regierung ausgezeichnet und bin für den Presidential Pride of Performance Award nominiert, den höchsten Orden, den das Land an Zivilistinnen und Zivilisten verleiht. Es ist höchst selten, dass ein solcher an ausländische Personen vergeben wird. Nach der Expedition wurden wir von der österreichischen Botschafterin in Pakistan empfangen.

STANDARD: Die Erfahrungen geben Sie im Rahmen Ihres Berufs weiter.

Wörle: Genau. Mit meinem Bruder Vincent habe ich im vergangenen Jahr eine Beratungsfirma, W8less Consulting, gegründet. In Vorträgen und Workshops legen wir unsere Erfahrungen aus den Expeditionen auf den Arbeitsalltag um.

STANDARD: Was ist das nächste Ziel?

Wörle: Mein großes Ziel ist und bleibt dasselbe: Ich möchte einen 8000er besteigen und vom Gipfel fliegen. Die Allermeisten gehen die Gipfel über die Normalroute. Eine andere Route im Alpinstil selbst zu erschließen wäre ein großer Reiz. Solche Projekte sind aber immer auch sponsorenabhängig, ich möchte deshalb noch kein konkreten Ankündigungen machen. (Maria Retter, 18.8.2023)