Altkanzler Sebastian Kurz.
Muss vor bald Gericht: der türkise Altkanzler Sebastian Kurz.
Christian Fischer

Was vor drei Jahren mit einer Aussage vor dem Ibiza-Untersuchungsausschuss und einer darauffolgenden Anzeige der Neos wegen Falschaussage begonnen hatte, erreichte Freitagmittag seinen vorläufigen Höhepunkt: Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) erhebt Anklage gegen Ex-Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP). Er muss sich bald schon wegen Falschaussage vor Gericht verantworten. Das wirft einige Fragen auf. DER STANDARD beantwortet die wichtigsten davon.

Video: Sebastian Kurz wegen Falschaussage angeklagt.
APA

Frage: Noch einmal von vorne: Worum geht es in der Causa Falschaussage überhaupt?

Antwort: Es geht um das Delikt der falschen Beweisaussage vor dem Ibiza-Untersuchungsausschuss. Der damalige Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) war am 24. Juni 2020 als Auskunftsperson in das parlamentarische Gremium geladen. Die Abgeordneten wollten von ihm wissen, inwiefern er in Personalentscheidungen rund um die Staatsholding Öbag – konkret geht es um die Bestellung des einstigen Kurz-Vertrauten Thomas Schmid zum Öbag-Chef – involviert war. Kurz hatte seine Rolle bei der Auswahl des Aufsichtsrats sowie bei der Bestellung von Schmid heruntergespielt. Die Neos zeigten Kurz daraufhin wegen Falschaussage an. Die WKStA nahm entsprechende Ermittlungen auf und sah eklatante Diskrepanzen zwischen Kurz' Aussagen und Inhalten in sichergestellten Chatnachrichten.

Frage: Werden neben Altkanzler Kurz noch andere Personen angeklagt?

Antwort: Ja. In diesem Komplex wurde auch gegen Kurz' früheren Kabinettschef Bernhard Bonelli sowie gegen die einstige ÖVP-Vizechefin und Casinos-Managerin Bettina Glatz-Kremsner ermittelt. Auch gegen die beiden hat die WKStA Anklage wegen Falschaussage erhoben. Bonelli soll ebenfalls im U-Ausschuss, Glatz-Kremsner zudem auch bei einer Einvernahme als Zeugin vor den Ermittlern falsch ausgesagt haben. Konkret wird Bonelli vorgeworfen, seine angebliche Involvierung in die Schmid-Bestellung sowie jene des Altkanzlers im U-Ausschuss heruntergespielt zu haben. Bei Glatz-Kremser geht es um eine möglicherweise falsche Beweisaussage hinsichtlich der umstrittenen Bestellung des Freiheitlichen Peter Sidlo zum Finanzvorstand der Casinos Austria im Jahr 2019. Die WKStA geht in ihrem Strafantrag davon aus, dass Kurz und die beiden Mitangeklagten unter Wahrheitspflicht nicht nur mit bedingtem Voratz, sondern "wissentlich" die Unwahrheit gesagt hätten.

Frage: Wann kann der Prozess starten?

Antwort: Der Prozess ist ab 18. Oktober anberaumt.

Frage: Von wem wird Kurz verteidigt?

Antwort: Kurz und Bonelli vertrauen in dieser Angelegenheit auf den Anwalt Werner Suppan. Glatz-Kremsner wiederum setzt auf den Verteidiger Lukas Kollmann. Suppan ist im ÖVP-Universum kein Unbekannter, immer wieder wird er von der Volkspartei mit Rechtsangelegenheiten betraut. Auch die Volkspartei selbst zählt zu den Mandantinnen des Parteianwalts, der gebürtige Kärntner vertritt außerdem zahlreiche Beschuldigte in der Causa Casinos. Suppan hätte es einst fast selbst in die große Politik verschlagen. Schon in jungen Jahren engagierte er sich bei der Schülerunion und in der ÖVP. In Wien war er fast ein Jahrzehnt Bezirksrat in Ottakring, wo sich auch seine Kanzlei befindet. Seine ersten Schritte als Anwalt machte er beim früheren ÖVP-Generalsekretär Michael Graff.

Frage: Welche Zeugen werden geladen?

Antwort: Die gewünschte Zeugenliste der WKStA umfasst insgesamt 21 Namen, darunter tummelt sich reichlich Prominenz: etwa Thomas Schmid, Ex-Finanzminister Hartwig Löger, dessen Nachfolger Gernot Blümel, der ehemalige Vizekanzler Heinz-Christian Strache, der langjährige Kurz-Vertraute und türkise Stratege Stefan Steiner, der Unternehmer Siegfried Wolf oder der Mann im Mittelpunkt der Casinos-Affäre: Ex-Casinos-Finanzvorstand Peter Sidlo.

Frage: Wie wahrscheinlich ist eine Verurteilung?

Antwort: Grundsätzlich ist es so, dass die Staatsanwaltschaft laut Gesetz nur dann Anklage erheben darf, wenn sie aufgrund ihrer Ermittlungen eine Verurteilung des Beschuldigten für wahrscheinlicher hält als einen Freispruch. Dass Gerichte sich in etlichen Fällen nicht der Ansicht der Staatsanwälte anschließen, zeigen zahlreiche Freisprüche vor Gericht. Im Falle von Kurz müsste das Gericht aber nicht nur Widersprüche zwischen dessen Aussagen vor dem Untersuchungsausschuss und den Chatnachrichten feststellen, sondern es müsste auch ein Vorsatz nachgewiesen werden.

Frage: Gibt es die Möglichkeit einer Diversion?

Antwort: Das wäre laut Strafantrag bei Delikten mit "einem solchen Strafrahmen" zwar möglich. Kurz & Co könnten bei einem entsprechenden "Angebot" so einer möglichen Verurteilung entgehen, in dem sie eine Schadenswiedergutmachung in bestimmter Höhe leisten. Dagegen spricht sich die Strafverfolgungsbehörde in ihrem Antrag aber vehement aus. Dies komme "mangels Verantwortungsübernahme und zusätzlich auch aus generalpräventiven Gesichtspunkten nicht in Betracht".

Frage: Müsste Kurz bei einer Verurteilung ins Gefängnis?

Antwort: Das erscheint aus heutiger Sicht unwahrscheinlich. Im Falle einer Verurteilung bei einer falschen Beweisaussage geht es zwar um einen Strafrahmen von bis zu drei Jahren. Kurz ist allerdings unbescholten.

Frage: Es herrscht Verwirrung darüber, ob Kurz im U-Ausschuss "Na" oder Nein" gesagt hat. Was hat es damit auf sich?

Antwort: Die Diskrepanz brachte unlängst der "Kurier" auf – via Tonmitschnitt aus dem U-Ausschuss. Zu hören ist Kurz, den der Neos-Abgeordnete Helmut Brandstätter danach gefragt hatte, ob er mit Thomas Schmid darüber gesprochen habe, dass er Chef der Öbag werden könne. Kurz dementierte laut Protokoll wie folgt: "Nein, es war allgemein bekannt, dass ihn das grundsätzlich interessiert." Das protokollierte "Nein" war ein "Na". Ob das einen gravierenden Unterschied macht, ist fraglich.

Frage: Wurde schon einmal ein Ex-Kanzler Österreichs wegen Falschaussage verurteilt?

Antwort: Ja, tatsächlich. Der Fall ist zwar anders gelagert, betraf aber Ex-Kanzler Fred Sinowatz (SPÖ). Der Burgenländer kündigte 1985 im Vorstand seiner Landespartei an, die "braune Vergangenheit" des späteren Bundespräsidenten Kurt Waldheim untersuchen zu wollen. Als die Geschichte öffentlich wurde, strengte Sinowatz einen Prozess wegen Ehrverletzung an und leugnete die Aussage. Sinowatz wurde damals wegen falscher Zeugenaussage zu einer Geldstrafe von 360.000 Schilling verurteilt.

Frage: Wird gegen Kurz noch anderweitig ermittelt?

Antwort: Ja. Kurz wird auch vorgeworfen, an Deals mit den Boulevardblättern "Österreich", "Heute" und "Kronen Zeitung" mitgewirkt zu haben, um sich positive Berichterstattung und frisierte Umfragen zu sichern – finanziert über Inserate des Finanzministeriums. Hier wird unter anderem gegen ihn wegen des Verdachts der Untreue, Bestechlichkeit und Bestechung ermittelt. Diese Ermittlungen führten im Herbst 2021 auch zum Rücktritt von Kurz als Bundeskanzler. Bis dieses Verfahren abgeschlossen sein wird, dürfte es aber noch länger dauern.

Frage: Welche laufenden Verfahren betreffen ÖVP-Politiker und ihr Umfeld noch?

Antwort: Alle laufenden Ermittlungen aufzuzählen, würde den Rahmen sprengen. Neben der Causa Inserate gibt es aber beispielsweise noch mehrere Fälle, in denen ÖVP-Politikern Interventionen um Postenbesetzungen vorgeworfen wird. Ein prominentes Beispiel dafür ist der türkise Klubobmann August Wöginger. Er soll bei Thomas Schmid, einst Generalsekretär im Finanzministerium, interveniert haben, um einen ÖVP-Bürgermeister zum Chef eines oberösterreichischen Finanzamtes zu machen. Wöginger bestreitet seinen Einsatz für seinen Parteifreund gar nicht, sieht darin aber keine strafbare Handlung. Es gilt die Unschuldsvermutung.

Frage: Mit der ehemaligen Bildungsministerin Sophie Karmasin stand kürzlich schon eine prominente ÖVP-Politikerin vor Gericht. Wie ging die Verhandlung aus?

Antwort: Sophie Karmasin wurde Ende Mai schuldig gesprochen, zwei Meinungsforscherinnen dazu animiert zu haben, Scheinangebote für sie an ein Ministerium gelegt zu haben. Karmasin wurde deshalb zu 15 Monaten bedingter Haft verurteilt – ins Gefängnis muss sie daher nicht. Vom Betrugsvorwurf wurde Karmasin freigesprochen. Sowohl die WKStA als auch die Verteidigung Karmasins brachten Rechtsmittel ein. Daher ist das Urteil noch nicht rechtskräftig. Die Verhandlung beschäftigte sich damals allerdings grob gesagt "nur" mit einem Auswuchs der Causa Inserate, deren Ermittlungen noch weiter andauern.

Frage: Welchen Schaden nimmt die ÖVP durch die Anklage gegen Kurz?

Antwort: Der Politikexperte Thomas Hofer ist da in seiner Analyse sehr klar: "Es ist natürlich ein Rückschlag für die ÖVP." Die nächsten Nationalratswahlen stünden zwar offiziell erst im kommenden Jahr an, aber "wir befinden uns ja bereits spürbar im Wahlkampf". Und da könne die Kanzlerpartei um Karl Nehammer ein "Erinnerungsstück" an die vergangenen zweieinhalb Jahre, die vor allem von türkisen Korruptionsvorwürfen bestimmt gewesen seien, so gar nicht brauchen, sagt Hofer. In dieser Zeit habe das Narrativ "einer womöglich korrupten Partei, die es sich richtet und aus der Regierung gehört", immer mehr Nahrung bekommen. Diese Erzählung könnte durch die Anklage gegen Kurz neuerlich wiederbelebt werden.

Es gebe nicht wenige in der ÖVP, sagt Hofer, die meinten, Kurz hätte sich zumindest für die Zeit der Ermittlungen stärker von der Partei abkoppeln und etwa seine Mitgliedschaft ruhend stellen müssen. Nehammer und Co hätten das von ihm nie verlangen können, schon gar nicht öffentlich, zu sehr seien sie mit der türkisen Ära verwoben. Aber genau diese fehlende Klärung könnte nun zu einem Problem für die ÖVP werden.

Frage: Und was sagt Kurz zu alldem?

Antwort: Der Altkanzler gab sich vor allem verwundert. Auf X (vormals Twitter) monierte Kurz, dass Medien "einmal mehr vor den Betroffenen" über den Verfahrensstand informiert gewesen seien. Das hält der ehemalige ÖVP-Chef für "bemerkenswert und rechtsstaatlich nicht unbedenklich". Die Vorwürfe bezeichnete er als falsch, "und wir freuen uns darauf, wenn nun endlich die Wahrheit ans Licht kommt und sich die Anschuldigungen auch vor Gericht als haltlos herausstellen". (Jan Michael Marchart, Sandra Schieder, 18.8.2023)