Am 24. Juni 2020 sagte Ex-Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) vor dem parlamentarischen Ibiza-U-Ausschuss aus. Jetzt, mehr als drei Jahre später, ist die Befragung ein Fall für das Strafgericht.
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Nach zwei Jahren Ermittlungen ist es nun also fix: Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) wird Anklage gegen Sebastian Kurz erheben. Der Ex-Kanzler (ÖVP) soll im Ibiza-U-Ausschuss falsch ausgesagt und seine Rolle bei der Besetzung von Spitzenposten unterspielt haben. Kurz bestreitet die Vorwürfe, es gilt die Unschuldsvermutung. Ab 18. Oktober wird das Straflandesgericht Wien über den Fall entscheiden.

Video: Sebastian Kurz muss sich ab 18. Oktober am Wiener Landesgericht für Strafsachen verantworten
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Johann Fuchs, Leiter der Oberstaatsanwaltschaft Wien, hat einen ähnlichen Prozess bereits hinter sich. Fuchs wurde ebenfalls vorgeworfen, im U-Ausschuss falsch ausgesagt zu haben. Die Richter am Innsbrucker Landesgericht sprachen ihn allerdings frei: Fuchs durfte falsch aussagen, weil gegen ihn ermittelt wurde und er deshalb entschuldigt sei. Es habe ein sogenannter Aussagenotstand vorgelegen. Könnte Kurz also ähnlich argumentieren?

Verbot mit Ausnahmen

Grundsätzlich gilt: Falschaussagen sind verboten – sowohl in Einvernahmen bei der Polizei, vor Gericht als auch im Zuge von Untersuchungsausschüssen im Parlament. Bei Lügen droht im schlimmsten Fall eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren.

Es gibt jedoch Ausnahmen: Wer bei einer wahrheitsgemäßen Antwort strafrechtliche Konsequenzen fürchten muss, darf sich entschlagen und muss nicht aussagen. Begründet wird das mit dem sogenannten Verbot der Selbstbezichtigung. Laut der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) darf niemand dazu gezwungen werden, sich selbst zu belasten.

In Extremfällen dürfen Betroffene deshalb sogar lügen. Wer bei einer Einvernahme gar nichts sagt und sich auf ein Entschlagungsrecht stützt, lenkt nämlich unter Umständen einen Verdacht auf sich. Juristinnen und Juristen sprechen dabei von einem Aussagenotstand, der explizit im Strafgesetzbuch geregelt ist. Eine Strafe wegen falscher Beweisaussage ist in derartigen Fällen ausgeschlossen.

"Großzügige" Regelung

Seit 1998 ist der Aussagenotstand in U-Ausschüssen sogar explizit im Strafgesetz geregelt. Dort heißt es nun in einem Zusatz, dass ein Täter nicht bestraft werden darf, "wenn sich die Untersuchung des Ausschusses gegen ihn gerichtet und er eine falsche Beweisaussage abgelegt hat, um die Gefahr strafrechtlicher Verfolgung von sich abzuwenden".

Beschlossen hat die Regelung die damalige große Regierungskoalition zwischen ÖVP und SPÖ. In einem Bericht zum Gesetz hieß es damals, dass die Regelung aufgrund des Verbots der Selbstbezichtigung notwendig sei. Eine Aussageverweigerung könne vom U-Ausschuss nämlich als "Schuldeingeständnis" interpretiert werden.

Aus Sicht von Strafrechtler Richard Soyer ist die Regelung des Aussagenotstands in U-Ausschüssen "besonders großzügig". Amtsträger, Parteifunktionäre oder Wirtschaftsbosse, gegen die sich der Ausschuss richtet, seien schon dann strafrechtlich entschuldigt, wenn sie nur die Absicht verfolgen, die Gefahr strafrechtlicher Verfolgung abzuwenden. Das privilegiere politische Entscheidungsträger.

Und bei Kurz?

Kurz hat sich laut dem Strafantrag der WKStA nicht auf einen Aussagenotstand berufen. Das ist theoretisch aber auch gar nicht nötig: Das Gericht muss schon von Amts wegen – also von sich aus – prüfen, ob die Voraussetzungen vorliegen. Entscheidend ist dabei, ob sich die Untersuchung im Ausschuss gegen ihn gerichtet hat und ob Kurz deshalb falsch ausgesagt hat, weil er eine strafrechtliche Verfolgung abwenden wollte.

Die erste Voraussetzung dürfte gegeben sein: Der Ibiza-U-Ausschuss widmete sich offiziell der "mutmaßlichen Käuflichkeit der türkis-blauen Bundesregierung". Untersuchungsgegenstand war unter anderem die "Umstrukturierung der Öbib zur Öbag einschließlich der Bestellung der jeweiligen Organe" – also genau jener Themenbereich, in dem Kurz laut WKStA falsch ausgesagt haben soll.

Schwieriger ist aus der Sicht der Verteidigung von Kurz der zweite Punkt: Fraglich ist nämlich, ob der Ex-Kanzler wirklich die Gefahr einer strafrechtlichen Verfolgung abwenden wollte. Laut WKStA war das nicht der Fall. Sie betont in ihrem Strafantrag, dass Kurz "aus rein politischen und optischen Gründen" falsch ausgesagt habe.

Zudem habe es auch auf "objektiver Ebene" keine "konkrete Gefahr" für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegeben. Selbst wenn Kurz zu den Postenbesetzungen wahrheitsgemäß ausgesagt hätte, wäre das strafrechtlich nicht relevant gewesen, argumentieren die Staatsanwältinnen und Staatsanwälte. Das zeige sich auch darin, dass die WKStA keine Ermittlungen hinsichtlich der Postenbesetzungen eingeleitet habe – sondern eben nur in Sachen mutmaßliche Falschaussage.

Die Entscheidung über den Strafantrag und einen möglichen Aussagenotstand liegt jetzt freilich beim Strafgericht. Der Prozess startet am 18. Oktober. (Jakob Pflügl, 19.8.2023)