Sebastian Kurz
Sebastian Kurz wird ab 18. Oktober vor Gericht stehen
AP/Lisa Leutner

Die Entscheidung wurde mit Spannung erwartet, seit Freitag steht fest: Zum ersten Mal seit mehr als 30 Jahren muss sich ein früherer österreichischer Kanzler vor Gericht verantworten. Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) hat einen Strafantrag gegen Sebastian Kurz (ÖVP) eingebracht, ab 18. Oktober soll am Straflandesgericht Wien verhandelt werden. Genau wie damals, in den 1990er-Jahren bei Altkanzler Fred Sinowatz (SPÖ), geht es auch bei Kurz um den Vorwurf der Falschaussage.

Video: Sebastian Kurz muss sich ab 18. Oktober am Wiener Landesgericht für Strafsachen verantworten
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Die Ermittler werfen Kurz vor, am 24. Juni 2020 vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss falsch ausgesagt zu haben. Der damalige Bundeskanzler und ÖVP-Chef sagte vor dem Ibiza-U-Ausschuss aus – konkret ging es um die Besetzung des Aufsichtsrats der Staatsholding Öbag und um die Bestellung des Alleinvorstands Thomas Schmid.

Kurz spielte seine Rolle herunter: Er sei zwar informiert, aber nicht in die Vorgänge involviert gewesen – und verwies auf die formalen Zuständigkeiten des Finanzministers und des Öbag-Aufsichtsrats. Ähnlich argumentierte Kurz’ damaliger Kabinettschef Bernhard Bonelli vor dem U-Ausschuss.

Informiert oder involviert

Zu dieser Zeit wertete die WKStA noch intensiv Chats aus, die sie im Herbst zuvor bei Schmid sichergestellt hatte. Aufgrund dieser Chatnachrichten geht die Staatsanwaltschaft aber davon aus, dass der ehemalige Kanzler und sein Kabinettschef sehr wohl intensiv in die Personalie eingebunden waren.

Daher leitete die Behörde am 12. Mai 2021 ein Verfahren gegen Kurz ein. Nun hat sie einen 108-seitigen Strafantrag in der Sache eingebracht, der frühere Bundeskanzler und ÖVP-Obmann wird sich also vor Gericht verantworten müssen. Bei einer Verurteilung drohen Kurz bis zu drei Jahre Haft.

Auch Bonelli und Kurz’ einstige Stellvertreterin an der ÖVP-Spitze, die frühere Casinos-Austria-Managerin Bettina Glatz-Kremsner, werden wegen des Vorwurfs der Falschaussage angeklagt. Bonelli soll ebenfalls im U-Ausschuss, Glatz-Kremsner zudem auch bei einer Einvernahme als Zeugin falsch ausgesagt haben. Sie alle bestreiten diese Vorwürfe, und es gilt die Unschuldsvermutung.

Die Öbag-Bestellung

Bei der Anklage gegen Kurz und Bonelli geht es vor allem um Vorgänge rund um die Staatsholding Öbag. Thomas Schmid, damals Generalsekretär im Finanzministerium, soll den Job als Öbag-Vorsitzender intern recht offen und offensiv als seinen Traumjobwunsch deponiert haben, und er soll auch am entsprechenden Gesetz für die neue Staatsholding mitgearbeitet haben – und am Ausschreibungsverfahren sowie an der Auswahl der Aufsichtsratsmitglieder. Deren Aufgabe ist die Vorstandsbestellung.

Ein republiksrelevanter und hochpolitischer Vorgang, der viel Kritik ausgelöst hat und in den beiden jüngsten U-Ausschüssen behandelt wurde – und über den Sebastian Kurz das Parlament damals nicht wahrheitsgemäß und vollständig informiert haben soll.

Bettina Glatz-Kremsner und Sebastian Kurz
Die einstige ÖVP-Vizeparteichefin Bettina Glatz-Kremsner wird auch wegen Falschaussage angeklagt
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Aus Sicht der Ermittler hat Kurz den Abgeordneten einiges verschwiegen: Er habe etwa "tatsachenwidrig ausgeführt", dass er selbst keine Aufsichtsratsmitglieder für die Öbag ausgewählt habe, obwohl er sich "bei vielen Gesprächen zur Besetzung des Aufsichtsrats" beteiligt und aktiv eingebracht habe. Laut WKStA haben "sämtliche von der ÖVP zu benennenden Aufsichtsräte (…) faktisch seiner Zustimmung bedurft", auch wenn der Finanzminister formal für deren Ernennung zuständig sei.

So habe Kurz Vorschläge des damaligen Finanzministers Hartwig Löger (ÖVP) abgelehnt, etwa jenen, KTM-Chef Stefan Pierer ins Kontrollgremium der Öbag zu berufen.

Schmid: Kurz habe ihn beauftragt

Thomas Schmid, der Kronzeuge werden will, belastete in seinen Einvernahmen seinen früheren Vertrauten. Kurz habe nicht nur gewusst, dass Schmid Öbag-Chef werden wollte; er habe Schmid sogar aktiv mit den Vorbereitungen der Öbag-Reform beauftragt und ihm mitgeteilt, dass er Schmids "Rolle in der Leitung" der Beteiligungsgesellschaft sehe.

Konfrontiert mit einer Chatnachricht vom damaligen FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache an Löger, in der von einem Deal zwischen FPÖ-Verhandler Arnold Schiefer und Schmid die Rede war, meinte Kurz vor dem U-Ausschuss, er habe "keine Ahnung, was die vereinbart" hätten. Laut WKStA habe er aber gewusst, dass Schmid und Schiefer "ein Personalpaket betreffend Postenbesetzungen" ausarbeiteten.

Kurz bestreitet die Vorwürfe. Man habe ihm im U-Ausschuss "das Wort im Mund umgedreht" und Suggestivfragen gestellt, klagte er nach Bekanntwerden der Ermittlungen. Auch vor einem Haft- und Rechtsschutzrichter, der ihn im Ermittlungsverfahren befragte, blieb der Ex-Kanzler dabei, nicht falsch ausgesagt zu haben.

Am Freitag schrieb Kurz auf X, vormals Twitter: "Die Vorwürfe sind falsch, und wir freuen uns darauf, wenn nun endlich die Wahrheit ans Licht kommt und sich die Anschuldigungen auch vor Gericht als haltlos herausstellen." Dreißig Zeugen hätten ihn entlastet.

Bonelli
Auch Kurz' Kabinettschef Bernhard Bonelli landet wegen seiner Aussagen vor dem U-Ausschuss vor Gericht.
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Bei Bonelli, seinem damaligen Kabinettschef, geht es im Grunde um ähnliche Aussagen. Zudem habe Bonelli falsch ausgesagt, dass er nicht wisse, wer nach Schmids Abgang zur Öbag im April 2019 das neue Kabinett für Finanzminister Löger zusammengestellt habe – war Schmid doch dessen Kabinettschef gewesen. Laut WKStA hat Bonelli aber den Auswahlprozess "organisiert" und mitgeteilt, dass Kurz, der damalige Kanzleramtsminister Gernot Blümel und der damalige Parteigeschäftsführer Axel Melchior Lögers Vorschläge "genehmigt" hätten.

Beinahe Finanzministerin

Nur indirekt mit der Öbag und Thomas Schmid zu tun haben hingegen die Anklagepunkte gegen Bettina Glatz-Kremsner. Die damalige Casinos-Managerin hätte unter Sebastian Kurz eigentlich Finanzministerin werden sollen, entschied sich aber, bei der Casinos Austria AG (Casag) zu bleiben.

Dort wurde sie unter Türkis-Blau im Mai 2019 zur Vorstandsvorsitzenden, der frühere FPÖ-Bezirksrat und Finanzmanager Peter Sidlo zum Finanzchef. Dessen Bestellung sorgte für heftige Verwerfungen inner- und außerhalb der Casinos. Sidlos Qualifikationen wurden bestritten, als Finanzchef setzte ihn die damalige Casag-Miteigentümerin Novomatic durch. Wenige Tage nach Sidlos und Glatz-Kremsners Amtsantritt in den neuen Funktionen erschien das berühmte Ibiza-Video, in dem Strache behauptete, Novomatic "zahlt alle". Diese Behauptung zog Strache später zurück. Dennoch führte sie zu den Casinos-Ermittlungen, zur Sicherstellung von Schmids Chats und damit zum jetzigen Strafantrag.

Eine Frage der Unterstützung

Konkret wirft die WKStA Glatz-Kremsner vor, die Managerin habe im U-Ausschuss und als Zeugin vor den Ermittlern mehrere Sachverhalte verheimlicht. Sie habe etwa behauptet, von einem Termin zwischen Löger, Novomatic-Gründer Johann Graf und dem damaligen Novomatic-CEO Harald Neumann nichts gewusst zu haben, obwohl Thomas Schmid mit ihr darüber gesprochen habe.

Zudem habe sie laut dem 108-seitigen Strafantrag, der dem STANDARD vorliegt, angegeben, keine Signale aus der Regierung erhalten zu haben, dass ihre Bestellung als Casinos-CEO befürwortet werde. Laut WKStA hatten ihr das aber "Schmid, Löger und Kurz (…) signalisiert und zumindest teilweise ausdrücklich mitgeteilt". Auch zu den Hintergründen von Sidlos Bestellung wollte sie nichts gewusst, ebenso wenig ihre Unterstützung zugesagt haben. Dem widerspricht eine Chatnachricht an Strache, in der sie bezüglich Sidlo mitteilte: "Unterstützung sehr gerne und aus Überzeugung".

"Meine Mandantin ist sehr zuversichtlich, dass sie ihren Standpunkt gegenüber dem Gericht umfassend wird darlegen können, und sie geht von einem positiven Verfahrensausgang aus", sagt ihr Anwalt Lukas Kollmann.

Dass Bonelli, Glatz-Kremsner und Kurz gemeinsam vor Gericht müssen, kommt durchaus überraschend – vor allem weil es bei Glatz-Kremsner eben doch um andere Themenkomplexe als bei Kurz und Bonelli geht. Die 21 geladenen Zeuginnen und Zeugen können meistens aber sowohl zur Öbag als auch zur Casag aussagen: etwa die früheren Finanzminister Blümel und Löger oder der einstige Vizekanzler Heinz-Christian Strache. Auch Thomas Schmid soll erstmals vor Gericht erscheinen; geladen sind auch der Manager Siegfried Wolf und Sidlo.

Nur "wahrheitsgemäß" aussagen

Deshalb sei eine "Konnexität" gegeben, argumentiert die WKStA. Für alle vom Strafantrag umfassten potenziellen Falschaussagen seien "dieselben zentralen Beweise" aufzunehmen, etwa umfangreiche Auswertungsberichte und Datenquellen wie "Mobiltelefone von Schmid, Löger, Strache".

Spannend wird, mit welcher Strategie sich Kurz und die anderen Angeklagten verteidigen werden. Im Strafantrag will die WKStA dem Argument eines sogenannten Aussage-notstandes schon einen Riegel vorschieben: Man darf falsch aussagen, wenn man Angst hat, bei wahrheitsgemäßer Aussage strafrechtlich verfolgt zu werden. Aus diesem Grund war zuletzt etwa der Leiter der Oberstaatsanwaltschaft (OStA) Wien rund um dessen Aussagen vor dem Ibiza-U-Ausschuss freigesprochen worden. Die WKStA betont bezüglich Kurz, Bonelli und Glatz-Kremsner, diese hätten "aus rein politischen und optischen Gründen" falsch ausgesagt.

Außerdem wird im Strafantrag auf ein "Vorbringen" von Werner Suppan, dem ÖVP-Parteianwalt, eingegangen, der Kurz und Bonelli vertritt. Suppan hatte darin behauptet, dass man zwar vor Ermittlern und vor Gericht "richtig und vollständig" auszusagen habe, im U-Ausschuss jedoch nur "wahrheitsgemäß". Diese Argumentation sei "nicht nachvollziehbar" und eine "juristische Spitzfindigkeit", schreiben die Staatsanwälte.

Ab 18. Oktober wird unter Vorsitz von Michael Radastics, einem einstigen Staatsanwalt (Causa Eurofighter), verhandelt. Zudem sind noch Termine für 20. und 23. 10. anberaumt. (Renate Graber, Fabian Schmid, 18.8.2023)