Sebastian Kurz
Die von Kurz als entlastend bewerteten Beweismittel, etwa eine "gutachterliche Stellungnahme" von Strafrechtsprofessor Peter Lewisch, beinhalten laut WKStA "teils verfehlte Rechtsausführungen" und Spekulationen, dem Papier komme "nach dem Gesetz keine prozessuale Bedeutung als Beweismittel" zu.
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Sebastian Kurz wunderte sich nicht, wollte es aber offenbar trotzdem festhalten: Trotz "30 entlastender Zeugenaussagen" habe sich die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) dazu entschlossen, ihn anzuklagen, schrieb er nach Bekanntwerden des Strafantrags auf X, vormals Twitter.

Video: Sebastian Kurz wegen Falschaussage angeklagt.
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Doch die WKStA sieht das mit der Entlastung ganz anders: Sie schrieb von einem "Gesamtbild", wonach Mitbeschuldigte oder Zeugen je nach Nähe und Loyalität zu den Beschuldigten aussagten – einige von ihnen sogar "in offenem Widerspruch" zu objektiven Beweisergebnissen wie zum Beispiel Chats.

"Derartigen Aussagen kommt daher keine 'entlastende' Wirkung zu", argumentiert die WKStA und sieht in diesem Verhalten "Gruppensolidarität": Zeugen wie die Ex-Finanzminister Hartwig Löger und Gernot Blümel oder Unternehmer Siegfried Wolf seien gegenüber Kurz "aufgrund der Parteizugehörigkeit, freundschaftlicher Verbundenheit (…) oder längerer enger Zusammenarbeit loyal eingestellt". Zudem weist die WKStA darauf hin, dass Blümel und Löger bei Fragen zu Postenbesetzungen sogar "wortgleich" ausgesagt hätten.

Aussagen in Chats "richtig und so gemeint"

Einen höheren Beweiswert sieht die WKStA in den sichergestellten Chatnachrichten. Die Formulierungen in diesen seien zwar oft "unüberlegt, 'flapsig' oder emotional gefärbt", der zentrale Aussageinhalt aber zumeist "richtig und so gemeint".

Aber hat Kurz im U-Ausschuss nicht mehr gewusst, was gechattet wurde? Er selbst sagte in seiner Beschuldigteneinvernahme, er sei ja "kein Vollidiot": "Wenn ich weiß, dass Sie all diese SMS haben, dann wäre es ja nahezu absurd, absichtlich etwas davon Abweichendes zu sagen." Laut WKStA war das aber alles anders: Die Chats, die heute weithin bekannt sind und den Staatsanwälten als Beweismittel dienen, waren im Juni 2020 bei Kurz' Aussage vor dem U-Ausschuss noch gar nicht ausgewertet. Vielmehr habe Kurz sich damals von Thomas Schmid versichern lassen, dass "heikle Nachrichten mit Politik- und Medienvertretern" gelöscht seien und der Justiz somit nicht vorlägen. Die Wiederherstellung der Chats sei erst im März 2021 bekannt geworden, führt die WKStA an.

Gutachten für Kurz habe "teils verfehlte Rechtsausführungen"

Die von Kurz als entlastend bewerteten Beweismittel, ein Tonbandmitschnitt von einem Telefonat mit Thomas Schmid sowie eine "gutachterliche Stellungnahme" von Strafrechtsprofessor Peter Lewisch, zählen für die WKStA nicht. Letztere beinhalte "teils verfehlte Rechtsausführungen" und Spekulationen, dem Papier komme "nach dem Gesetz keine prozessuale Bedeutung als Beweismittel" zu.

Das heimlich mitgeschnittene Telefonat sei eine "List" von Kurz gewesen, durch die er Schmid mit Suggestivfragen unter anderem dazu bringen wollte, sich selbst zu belasten und Kurz zu entlasten. Geführt wurde das Telefonat kurz nach den Hausdurchsuchungen in der Causa Inserate im Oktober 2021, als Kurz um sein politisches Überleben kämpfte.

Präsentiert hatte Kurz ein Protokoll des Tonbandmitschnitts erst vergangenen Herbst, als bekannt wurde, dass Schmid den Status als Kronzeuge anstrebt. Aber schon zuvor versuchte der Altkanzler, die Glaubwürdigkeit seines ehemaligen Vertrauten anzugreifen. So gab er in seiner Beschuldigteneinvernahme an, Schmid habe sich "ein bisschen wichtig gemacht". Der Vergleich, den der Ex-Kanzler dazu brachte: "Wenn in der Kantine wer was zum Essen holt und er will sich nicht anstellen, dann sagt er wahrscheinlich auch: 'Ich hole das für den Bundeskanzler.'"

Schmid und dessen Aufstieg vom Finanzministerium an die Spitze der Staatsholding Öbag standen ja im Mittelpunkt der Fragen im U-Ausschuss, die Kurz falsch beantwortet haben soll. Es ging darum, wie sehr sich der damalige Kanzler in diese Angelegenheit eingemischt hat – hätte er das getan, wäre es strafrechtlich irrelevant gewesen, merkt die WKStA sinngemäß an.

Wahrheitsgemäße Aussage hätte "Postenschacher offenbart"

Und warum soll Kurz dann gelogen beziehungsweise relevante Vorgänge verschwiegen haben? "Motiv von Kurz für die Falschaussagen war ausschließlich, politische Nachteile für sich persönlich und die 'neue ÖVP' abzuwenden", heißt es in dem Strafantrag. Eine wahrheitsgemäße Aussage hätte "Postenschacher offenbart", was zu der von Kurz propagierten Marke der "neuen" ÖVP in diametralem Widerspruch gestanden wäre, schreiben die Ermittler. An anderer Stelle ist die Rede davon, dass Kurz "jede eigene Involvierung inhaltlich verleugnet" habe, "wenn auch elegant verkleidet".

All das sei nicht nur vorsätzlich, sondern sogar wissentlich geschehen. Kurz bestreitet das und sagte aus: "Ich habe aber erstens im U-Ausschuss nicht die Unwahrheit gesagt – und zweitens schon gar nicht vorsätzlich." Die vierstündige Befragung sei extrem hitzig, aggressiv, mit Unterstellungen, Suggestivfragen, Schachtelsätzen und Wortklaubereien geführt worden; dies habe nur das Ziel gehabt, ihn in Widersprüche zu verstricken.

Auch dem ist die WKStA nachgegangen, indem sie die Audiomitschnitte der U-Ausschuss-Sitzung analysiert hat. Ihr Fazit: Bei den relevanten Fragen sei Kurz "weder unterbrochen noch abgeschnitten und ebenso wenig zu Antworten gedrängt worden". Seine Darstellung lasse sich "nicht nachvollziehen". Im Gegenteil: Es fänden sich "immer wieder Situationen, bei denen Kurz auf seiner Antwort beharrt, seine Antwort verteidigt und wiederholt oder auch klarstellt, dass seine Antwort sich nicht ändert, auch wenn es der Fragestellerin nicht gefallen möge".

Ein höchstpersönliches Bild davon können sich Gericht und Prozessbeobachter ab 18. Oktober im Großen Schwurgerichtssaal machen: Dort soll dann auch die Tonaufnahme von Kurz' Befragung im U-Ausschuss vorgespielt werden. Wie es in U-Ausschüssen zugeht, weiß Richter Michael Radasztics übrigens aus eigener Erfahrung: Er hat, damals noch als Staatsanwalt, im Eurofighter-U-Ausschuss ausgesagt, zuletzt im Dezember 2018. (Renate Graber, Fabian Schmid, 19.8.2023)