Es waren nur zehn Minuten Kaffeepause, doch diese brachten ihr die fristlose Kündigung. So erging es einer Angestellten in Deutschland Anfang des Jahres. Sie hatte die kurze Pause verschwiegen und wurde vom Chef erwischt. Das Landesarbeitsgericht gab ihm daraufhin recht. "Ausschlaggebend sei nicht der vergleichsweise geringe Schaden, sondern der entstandene Vertrauensverlust", erklärte dazu der Anwalt für Arbeitsrecht Markus Bialobrzeski im Karrierenetzwerk Linkedin. Eine vorherige Abmahnung sei nicht nötig gewesen, weil sie nachträglich geleugnet hatte. "Damit hat sie nicht nur ihre Arbeitszeit falsch erfasst, sondern auch noch ihren Chef, der um Aufklärung bemüht war, angelogen."

Kollegin und Kollege sprechen im Aufzug
Wer als Führungskraft von Lügen erfährt, sollte vor allem das Gespräch suchen.
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Minimale Vergehen wie dieses kosten wohl nicht alle den Job. Trotzdem wird in der Arbeitswelt regelmäßig geflunkert. Manche Mitarbeitende besprechen es vielleicht nicht, wenn sie ihr Homeoffice an einen anderen Ort verlagern wollen. Andere lügen womöglich wegen der Arbeitszeit zu Hause oder wegen des Ablaufs ihrer Aufgaben. Die Studienlage dazu zeigt, dass fast alle Arbeitnehmenden lügen. Laut einer Studie der University of Massachusetts lügen die meisten Personen zwei- bis dreimal alle zehn Minuten. In Deutschland ergab eine Studie des Marktforschungsinstituts Yougov: Fast die Hälfte (45 Prozent) der deutschen Arbeitnehmer lügen, um gut über die Runden zu kommen.

Wer als Chefin oder Chef Lügen entlarvt, steckt in keiner einfachen Rolle. Sie müssen die Konsequenzen kommunizieren, aber auch für ein gutes weiteres Arbeitsklima sorgen. Sie sollen in der heutigen Arbeitswelt empathisch sein, flexibel handeln, aber auch motivieren. Mitarbeiterbindung ist gefragter denn je, und gute Angestellte will heute niemand einfach verlieren. Aber was tun, wenn einem als Führungskraft wenig vertraut wird? Wenn die Mitarbeitenden immer wieder lügen?

Mit der Lüge richtig umgehen

Erst sollte eine Führungskraft vor allem herausfinden, was die Motivation hinter der Lüge war, sagt Angelika Prattes, Expertin und Coach für agile Führung. Es sei auch in Ordnung, die Emotionen mit einfließen zu lassen und deutlich zu machen, dass die Lüge einen Bruch des Vertrauens darstelle. Aber wichtig ist laut Prattes vor allem, wie ab diesem Zeitpunkt kommuniziert wird, wenn das Arbeitsverhältnis weiter bestehen soll. "Eine Lüge sollte als Anlass dafür genommen werden, zu überlegen, warum überhaupt gelogen wird." Wenn eine Person in einem Unternehmen keine sogenannte psychologische Sicherheit spüre, falle es oft leichter Lügen auszudenken als ein Problem anzusprechen – etwa wenn private Konflikte einen belasten und die Leistung in der Arbeit an einigen Tagen darunter leidet.

Die "lügenfördernden" Strukturen zu überdenken sei eine Möglichkeit. Etwa wie nahbar man als Führungskraft ist, wie transparent die Erwartungen an das Team kommuniziert werden und wie angemessen diese Erwartungen sind. "Es muss möglich sein, dass Mitarbeitende ihre Gedanken äußern und auf etwas reagieren können, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen", sagt die Expertin. Führungskräfte sollten sich dabei als Vorbilder zeigen: Sie können signalisieren, dass auch sie Schwächen haben, eine zweite Meinung brauchen und unsicher sein können. Wer Mitarbeitende dann auch regelmäßig fragt, wie es ihnen geht und was sie brauchen, schaffe langsam, aber sicher ein vertrautes Verhältnis im Team.

Angelika Prattes berät Führungskräfte zu der neuen Arbeitswelt.
Linkedin, Angelika Prattes

Rechtlich muss die Lüge schwer wiegen

Rechtlich kann es jedoch vor allem dann Folgen geben, wenn der Arbeitgeber eine Frage stellt, an der "berechtigtes Informationsinteresse" besteht. Dabei geht es um Informationen, die rechtlich wichtiger sind als der Schutz der Privatsphäre. Die Fachanwältin für Arbeitsrecht aus Wien, Jana Eichmeyer, erklärt dazu dem STANDARD, es müsse im Einzelfall abgeklärt werden, wie schwerwiegend die Lüge sei. Dabei wird etwa gemessen, wie stark der Kundenkontakt des Mitarbeiters oder der Mitarbeiterin war oder welche Tätigkeit genau er oder sie ausübt.

Ein Beispiel: Eine Fernfahrerin wird Fragen zu einer ansteckenden Krankheit anders beantworten können als Pflegekräfte oder Kellner. Letztere müssten im Normalfall wahrheitsgemäß antworten, da die Gesundheit der Kundinnen, Patientinnen oder Kollegen geschützt werden muss.

Ein Recht auf Lügen haben Beschäftigte etwa, wenn es um ihr Privatleben geht. Ob sie heiraten oder Kinder bekommen wollen oder welche sexuelle Orientierung sie haben, müssen sie nicht mit der Wahrheit beantworten. Anders ist es aber zum Beispiel im Auswahlprozess von Einsatzkräften und Menschen im Rettungsdienst, wenn sie gefragt werden ob sie gern fortgehen und dabei viel trinken.

Werden zulässige Fragen der Führungskräfte bewusst falsch beantwortet, etwa wenn sie nicht an dem Ort arbeiten, an dem sie arbeiten müssten, oder ihre Arbeitszeit falsch angeben, kann dies zu einer Entlassung aufgrund von Vertrauensunwürdigkeit führen. "Gerade Beispiele unrichtiger Angaben zum Homeoffice können für den Dienstgeber steuerliche Konsequenzen haben. Zudem sollte beim Homeoffice ja gemäß Gesetz eine gültige Vereinbarung bestehen", erklärt Eichmeyer. Auch unwahre Angaben zu Reisen und Spesen wiegen schwer und würden oft eine Entlassung rechtfertigen.

Im Fall einer Pharmareferentin, die ihre wöchentliche Leistung falsch dokumentierte, war die Sache klar, wie Eichmeyer erklärt. Diese hätte an zwei Tagen insgesamt zwölf Kundentermine abhandeln müssen, hat diese aber nicht getroffen und auch nicht mit ihnen telefoniert. Stattdessen ging sie privaten Tätigkeiten nach. Weil sie trotz mehrerer Nachfragen durch den Arbeitgeber gelogen hatte, verlor sie ihren Job. Hier war die Entlassung auch ohne vorangehende Verwarnung wegen Vertrauensunwürdigkeit gerechtfertigt. (Melanie Raidl, 29.8.2023)