Tattoo Mondlandung Raumschiff LVM3 M4
Eine wahre Patriotin lässt sich die Mondlandung von Indiens Raumschiff LVM3 M4 auf den Rücken tätowieren. Ein Peckerl mit Bedeutung!
REUTERS/AMIT DAVE

So kann man sich täuschen. Lange Zeit habe ich die Ministerin Gewessler für eine ernste und emsige Arbeiterin im Weinberg des Herrn gehalten, die von früh bis spät daran werkt, die Raserpopulation auf 100 km/h einzubremsen (volle Solidarität des Krisenkolumnisten). Seit kurzem aber weiß ich: Von wegen schmähbefreit! Mit ihrem bestechenden Klimaticket-Gag hat sich Gewessler als gefinkelte Polit-Humoristin profiliert. Der Frau sitzt ein Mordstrumm Schalk im Nacken.

Grüner Schmäh

Natürlich hat sie diesen Schmäh nicht selbst ersonnen. Er klingt eher so, als stecke ein übermütiger Kreativer dahinter, der, wie ein STANDARD-Poster charmant formulierte, zu lange "am Tisch gerochen" hat. Aber der Sanktus für die Implementierung des farbenfrohen Gestichels stammt garantiert von der lustigen Ministerin höchstselbst. Denn im Umweltministerium ist das Tätowieren Chefinnensache, und böse Zungen behaupten, dass man sich dort erst einmal ein Arschgeweih stechen lassen muss, ehe man überhaupt ins Kabinett eintreten kann.

Mit ihrer Aktion bewegt sich Gewessler populistisch geschickt im Einklang mit dem Volksempfinden. Das Arschgeweih, das um die Jahrtausendwende massenhaft aus europäischen Gesäßfalten zu sprießen begann, war nur ein Anfang. Heute ist das Sich-pecken-Lassen ein Breitensport. Jeder Blick in ein x-beliebiges Freibad zeigt, dass das tätowierende Gewerbe mit der Arbeit kaum mehr nachkommt. Für die Internationale der Nadelartisten ist "Work-Life-Balance" ein Fremdwort.

Unterhaltungsfunktion

Und Gewesslers Anregung, sich Tickets oder ähnliche Gebrauchsobjekte in die Haut zu applizieren, wird zusätzlich inspirierend wirken. Warum muss man etwa Rabattmarken in Papierform mit sich herumtragen? Ebenso gut könnte man sie sich als Intimschmuck ins Perineum stechen lassen. Peckerl statt Pickerl, sozusagen.

Gepeckte erfüllen auch eine wichtige Unterhaltungsfunktion. Wenn ich in der Bim sitze, meine Öffilektüre vergessen habe und der Handyakku leer ist, habe ich immer noch die Möglichkeit, die Hautbotschaften der Mitreisenden abzulesen. Unlängst kam ich vis-à-vis einer Dame zu sitzen, die auf einem Oberarm eine italienische Espressomaschine und auf dem anderen einen Milch-Tetra-Pak tätowiert hatte. Was sie mir damit sagen wollte? Ich habe bis heute nicht die geringste Ahnung. (Christoph Winder, 26.8.2023)