Eines vorweg: Im Bürgermeisterbüro von Andreas Babler steht tatsächlich eine Büste. Aber eine andere, als es die Gerüchte besagen. Seit einiger Zeit geistert herum, dass im Büro des aktuellen SPÖ-Vorsitzenden eine Büste des sowjetischen Revolutionsführers Lenin stünde. Im ORF-Sommergespräch wurde er auf dieses Gerücht angesprochen und dementierte es.

Video: "Schwachsinn" nennt Andreas Babler die Gerüchte um eine Lenin-Büste in seinem Büro im ORF-Sommergespräch.
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Das Gerücht, um das es da ging, hat etwas mit dem STANDARD zu tun, auch wenn DER STANDARD es nicht in die Welt gesetzt hat. Es ist vor allem eine Geschichte davon, wie Details verzerrt werden, je weiter sie sich verbreiten.

Im Jänner 2020, also vor über dreieinhalb Jahren, erschien im STANDARD ein Babler-Porträt. Es war eine etwas andere Zeit: Er war noch nicht Bundespolitiker, sondern Bürgermeister von Traiskirchen und linker "Parteirebell" in der SPÖ. Der Text stellte übrigens die Frage, warum "so einer" in der SPÖ nicht mehr wird. Im Nachhinein war das durchaus ein bisschen zukunftsweisend.

Der Satz, um den es geht

Der dritte Absatz des Porträts lautete folgendermaßen: "Müsste sich der linke Rand der Sozialdemokratie einen Politiker schnitzen, dann wäre das wahrscheinlich jemand wie Babler. Sohn einer Semperit-Arbeiterfamilie, gelernter Schlossermeister, rhetorisch versierter Klassenkämpfer. Hemdsärmelig und direkt. (…) In seinem Bücherregal stehen Werke wie Große Revolutionen der Geschichte neben kleinen Büsten von Marx und Lenin, wohl nicht ganz so ironisch wie bei anderen Roten." Der Satz mit dem Bücherregal hat da eine Funktion. Er soll dem Leser zeigen: Schaut her, hier geht es wirklich um einen Linken.

SPÖ-Chef Andreas Babler im Rahmen des ORF-"Sommergesprächs" im Parlament.
APA/HELMUT FOHRINGER

Das Bücherregal mit den Große Revolutionen der Geschichte und den kleinen Büsten von Marx und Lenin gab es, zumindest im Jänner 2020, wirklich. Die "kleinen Büsten" waren aus Plastik und eher Ramsch, den man in letzter Sekunde am Flughafen als Mitbringsel kauft. Und das Regal stand bei Babler zu Hause neben seinem Schreibtisch im Wohnzimmer, wo ihn der Autor besuchte. Das steht so nicht direkt im Text. Es steht aber auch nicht dort, dass es im Büro war.

Als das Porträt Ende Jänner 2020 erschien, interessierte das Detail mit den Büsten niemanden. Auch Babler hatte damit kein Problem. Der damalige Bürgermeister verbreitete den Text sogar selbst auf X, vormals Twitter.

Die Büsten tauchen wieder auf

Drei Jahre später, nach Bablers holpriger Wahl zum Parteichef der SPÖ, änderte sich das. Oliver Pink, Innenpolitik-Chef der Presse, erinnert sich an das Detail und schrieb es Mitte Juni in seinen Newsletter. Von da an verbreitete sich vor allem die "Lenin-Büste". Sie tauchte in der Furche auf, auf heute.at, in den sozialen Medien. Herbert Kickl erwähnte sie im Profil-Interview, DER STANDARD fragte den neuen SPÖ-Klubchef Philip Kucher danach. Für Babler-Gegner war sie der Beweis: Der neue SPÖ-Chef ist eigentlich ein in Watte gepackter Kommunist.

Ende Juni entdeckte dann die Wiener ÖVP die Büsten. Die Partei forderte in Wien einen "Marxismus-Check" für Fördernehmer. Im entsprechenden Antrag im Wiener Gemeinderat hieß es, in Bablers Büro stünden eine Lenin- und eine Marx-Büste. Man bezog sich dabei auf "Medienberichte aus dem Jahr 2022". Da waren gleich zwei Fehler drin. Der Medienbericht war von 2020. Aber schwerwiegender: Plötzlich waren die Büsten in Bablers Büro.

Der Autor versuchte auf Twitter, die Information richtigzustellen, aber es war nicht mehr aufzuhalten. Von da an standen die Büsten – wobei es immer um Lenin ging, nie um Marx – "im Büro von Babler". Nicht nur auf Telegram, wo sich die Falschinfo verbreitete. Auch die neue stellvertretende SPÖ-Klubobfrau Eva Holzleitner verwies in der ZiB 2 Anfang Juli, als sie nach den Büsten gefragt wurde, darauf, dass ihr Parteichef in einem Zoom-Call einen Videoschwenk durch sein Büro gemacht habe und es keine Büsten gegeben habe.

Die Reaktion im "Sommergespräch"

Im Sommergespräch wurde der SPÖ-Chef nun das erste Mal direkt gefragt, ob "bis vor kurzem" eine Lenin-Büste in seinem Büro gestanden sei. Das Gerücht hat offenbar seine Spuren hinterlassen, denn Babler reagiert nicht ganz entspannt auf die Frage: "Wie kommt so etwas in eine Diskussion?" Auch Berührungspunkte zu Lenin seien "ein wirklicher Schwachsinn".

Bablers Dementi ist, das muss man festhalten, richtig. Daran gibt es nichts zu rütteln. Im Englischen nennt man so was aber manchmal "technically correct": Man antwortet korrekt auf die spezifische Frage, ist aber an weiterer Aufklärung nicht unbedingt interessiert.

Die Berichterstattung war korrekt

DER STANDARD hält an dieser Stelle zwei Dinge fest: Im STANDARD wurde niemals behauptet, dass eine Marx- und/oder Lenin-Büste in Bablers Büro stehe. Und der Bericht von 2020 ist völlig korrekt. Es gab das Bücherregal, und es gab die Büsten. Nur eben nicht so, wie es dann in den verzerrten Gerüchten weitergetragen wurde.

Im Sommergespräch erzählt Babler dann auch, was es in seinem Büro wirklich an Schmuck gibt: ein Bild von seinem Vorgänger als Bürgermeister. Ein vom Papst geweihtes Kruzifix, das ihm der Bürgermeister der Flüchtlingsinsel Lampedusa geschenkt hat. Und eine Büste. Nicht von Lenin, nicht von Marx, sondern von Viktor Adler, dem Gründungsvater der Sozialdemokratie.

Das stand übrigens auch schon mal in den Medien. Nämlich im STANDARD. Mitte Juni 2023 – einen Tag nachdem die Büsten in Bablers Bücherregal im Wohnzimmer aus der Versenkung geholt wurden. (Jonas Vogt, 28.8.2023)