Polynesische Ratte klettert auf einem Bau
Die Pazifische Ratte (Rattus exulans) ist in vielen Inselstaaten mittlerweile zu einem großen Problem geworden. Vor allem bodenbrütende Vogelarten sind betroffen.
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Neuseeland verfügt über eine einzigartige Fauna. Das liegt unter anderem daran, dass es sich schon vor rund 80 Millionen Jahren vom Superkontinent Gondwana löste und dadurch seit langem von anderen Landmassen isoliert ist. Landlebende Säuger kamen so gut wie nicht auf, wodurch auch Prädatoren wie Katzen- und Hundeverwandte oder Marder fehlten. Dafür entwickelte sich eine enorme Vielfalt an Vögeln, darunter auch zahlreiche flugunfähige, bodenbrütende Arten wie die bekannten Kiwis.

Problem für Vogelarten

Das änderte sich im 13. Jahrhundert, als Neuseeland von polynesischen Seefahrern – den Vorfahren der Maori – besiedelt wurde. Die Neuankömmlinge bejagten viele der ansässigen Vögel, wobei sie davon profitierten, dass diese keinen Fluchtreflex aufwiesen, den sie bis dahin ja auch nicht gebraucht hatten. Innerhalb eines Jahrhunderts waren etwa die Moas ausgerottet, die bis zu 3,5 Meter groß und 230 Kilogramm schwer werden konnten.

Doch die Bejagung war es nicht allein: Die Siedler hatten Pazifische Ratten (Rattus exulans), auch Kiore genannt, als Haustiere und Nahrungsmittel mitgebracht, die sich rasch auf den Inseln verbreiteten und sich über die Gelege der heimischen Vögel hermachten. Von den geschätzt mehr als 200 ursprünglichen Brutvogelarten starben 35 in dieser Periode aus.

Mit den Europäern, die im 19. Jahrhundert in großer Zahl ankamen, verschärfte sich die Lage, denn mit ihren Schiffen gelangten unbemerkt auch zwei neue, größere Rattenarten an Land: die Schiffs- oder Hausratte (Rattus rattus) und die Wanderratte (Rattus norvegicus).

Leichte Beute

Im Lauf der Zeit kamen absichtlich eingeführte Prädatoren dazu, wie das Hermelin, um die ebenfalls importierten und sich explosionsartig vermehrenden Kaninchen zu dezimieren, Wiesel und Frettchen sowie das Fuchskusu, ein Beuteltier aus Australien, für die Pelzgewinnung. Sie alle fanden in den neuseeländischen Vögeln, deren Eiern und Jungen eine leichte Beute.

Hermelin
Auch das Hermelin wurde eingeschleppt.
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Seit 1800 sind weitere 16 Vogelarten für immer verschwunden. Von den heute dokumentierten 252 Arten und Unterarten ist jeweils ungefähr ein Drittel gefährdet beziehungsweise vom Aussterben bedroht.

Phoenix aus der Asche

Mit rund 25 Millionen erbeuteten Vögeln pro Jahr stellen Ratten, die verschiedenen Marderarten und Kusus die größte Gefahr für die Vielfalt von Neuseelands Vogelwelt dar. Wo die Räuber konsequent ausgesperrt werden, steigen die Vögel wie Phoenix aus der Asche: 1999 wurde in der Hauptstadt Wellington ein Areal von 225 Hektar eingezäunt, aber nach oben hin offen gelassen.

Heute beherbergt das Ökoreservat mit dem Namen Zealandia neben zahlreichen darin freigelassenen Vogelarten auch solche, die von selbst gekommen sind. Insgesamt kommen hier rund 40 Vogelarten vor – und die positive Wirkung dringt auch nach außen: Die Zahl der heimischen Vögel in ganz Wellington hat sich seit 2011 verdoppelt.

Ambitioniertes Projekt

Etwa zwei Drittel von Neuseelands kleineren Inseln wurden in den letzten 60 Jahren vollständig von Prädatoren befreit und sehen seitdem eine massive Zunahme der Vogelvielfalt. Außerdem gibt es insgesamt 27 eingezäunte Waldreservate auf den Hauptinseln, die eine ganz ähnliche Entwicklung zeigen.

Nun haben sich die Neuseeländer aber noch mehr vorgenommen: Unter dem Motto "Predator Free 2050" soll ganz Neuseeland bis 2050 frei von Ratten, Mardern und Fuchskusus gemacht werden. Dabei arbeiten alle zusammen: die Regierung, Universitäten, Naturschutzorganisationen und jede Menge Privatleute. Auch das Wissen der Maori, die Ratten seit Jahrhunderten in Fallen fangen, fließt in die Kampagne ein.

Braune Ratte hinter Blumentopf
Mehrere Rattenarten tummeln sich mittlerweile in Neuseeland.
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Trotz der vielen Freiwilligen sind die Kosten enorm: mit den derzeit üblichen Methoden mehrere Hundert Euro pro Hektar. Die Regierung will umgerechnet 18 Millionen Euro in die Kampagne investieren und hofft auf weitere Beiträge, etwa durch Firmen. Fortschritte in der Technik sollen die Effizienz von Maßnahmen außerdem erhöhen: An manchen Orten, die für einen Hubschraubereinsatz ungeeignet sind, wurden erste gute Ergebnisse mit Drohnen erzielt, die Giftköder punktgenau an Hotspots von Rattenaktivitäten abwerfen. Zur Überwachung von bereits befreiten Gebieten könnten sie ebenfalls kostengünstig eingesetzt werden. Auch über genetische Möglichkeiten wird nachgedacht beziehungsweise diskutiert.

Hohe Erfolgsquote

Aber ist ein solches Unternehmen überhaupt machbar? Wolfgang Rabitsch, Spezialist für invasive Arten am österreichischen Umweltbundesamt, sieht die Sache pragmatisch: "Natürlich ist es eine Herausforderung, aber Neuseeland hat enorme Probleme mit eingeführten Prädatoren, und wenn sie das Aussterben von vielen Vogelarten verhindern wollen, müssen sie etwas tun." Und auch er setzt Hoffnungen in die Zukunft: "Bis 2050 dauert es ja noch ein bisschen."

Eine Studie aus dem Jahr 2022, die in "Nature Scientific Reports" erschienen ist, stimmt zuversichtlich: Die Forschenden analysierten die Ergebnisse von mehr als 1500 Versuchen auf knapp 1000 Inseln in den letzten 100 Jahren, invasive Wirbeltiere auszurotten, und fanden eine Erfolgsquote von 88 Prozent.

Biodiversität in Europa

In Europa halten sich derartige Schwierigkeiten bisher in Grenzen. Eine EU-Verordnung aus dem Jahr 2015 verpflichtet die Mitgliedsstaaten aber, auf den Handel mit 88 Pflanzen- und Tierarten zu verzichten, ihr Auftauchen und ihre Ausbreitung zu überwachen und gegebenenfalls zu bekämpfen.

Hierzulande sind Lebensraumverlust und die Verschlechterung der Lebensraumqualität aber die größere Gefahr für die Biodiversität, wie Rabitsch erklärt. Das zeigt auch der Maßnahmenkatalog, den das Klimaschutzministerium im Rahmen der Biodiversitätsstrategie Österreich 2030+ veröffentlicht hat. (Susanne Strnadl, 2.9.2023)