Tropisches Korallenriff
Die farbenprächtigen Korallenriffe verlieren ihre Farben – schuld daran sind die hohen Meerestemperaturen.
Foto: Getty Images / iStockphoto

Seit mehr als sechs Monaten befinden sich die Temperaturen der Ozeane rund um den Globus auf einem neuen Rekordniveau – und dabei waren schon im vergangenen Jahr die Meere so warm wie nie zuvor seit Aufzeichnungsbeginn. Die Folgen des Klimaphänomens El Niño dürften heuer und besonders im kommenden Jahr für einen weiteren Anstieg der Wassertemperaturen sorgen. Für die Ökosysteme der Ozeane und insbesondere für die wärmeempfindlichen Korallen sind dies äußerst schlechte Nachrichten: Es droht eine regelrechte Korallenbleiche-Epidemie.

Was bei der Bleiche geschieht

Bei vielen Korallenriffen – insbesondere im Atlantischen Ozean – machen sich die Auswirkungen inzwischen deutlich bemerkbar. Aktuell seien etwa Riffe der Karibik und des Golfs von Mexiko stark betroffen, sagte Christian Wild, Leiter der Arbeitsgruppe Marine Ökologie der Universität Bremen. Dort seien die Wassertemperaturen derzeit extrem hoch, erklärte der Meeresbiologe. "Einige Korallen sind dort bereits seit Juni gebleicht, und ein Teil der Korallen wird absterben, denn die Bleiche wird andauern." Auch für viele andere Riffe im Indischen und im Pazifischen Ozean erwarte man in den nächsten Wochen und Monaten umfassendes Bleichen.

Korallenbleiche, Key Largo, Florida
Eine Elchgeweihkoralle (Acropora palmata) im North Dry Rocks Reef vor der Küste von Key Largo, Florida, verliert wegen der hohen Wassertemperaturen ihre symbiontischen Algen und bleicht dadurch aus. Kehren die Algen nicht zurück, stirbt die Koralle.
Foto: AP / Liv Williamson

Die hohen Wassertemperaturen schaden vor allem den empfindlichen "Kooperationspartnern" der farbenprächtigen Nesseltiere: Korallenpolypen leben in Symbiose mit bestimmten verschiedenfarbigen Algen, von denen sie sich mit Nährstoffen versorgen lassen. Bei steigender Meerestemperatur beginnen die Algen Giftstoffe zu produzieren, was den Korallen wiederum gar nicht behagt. Sie stoßen ihre Symbionten ab und verlieren dabei ihre Farbe – man spricht von der sogenannten Korallenbleiche. Sie wachsen nicht mehr und können sich schlechter gegen Feinde und Konkurrenten wehren. Kehren die Mikroalgen innerhalb einer bestimmten Zeit zurück, weil die Wassertemperaturen wieder sinken, kann sich die Koralle erholen – andernfalls stirbt sie. Der Prozess geht meistens mit dem völligen Absterben der betroffenen Korallenbänke einher.

Kaum Erholungszeit

"In den letzten Jahrzehnten hat die Häufigkeit von Korallenbleichen drastisch zugenommen, sodass den Korallen immer weniger Erholungszeit bleibt", erklärte Wild. In diesem Jahr sind die Bedingungen besonders schlimm: Schon seit März weist die Oberfläche der Meere der US-Plattform Climate Reanalyzer zufolge global Rekordtemperaturen für den jeweiligen Monat auf. Im April und nun seit einiger Zeit erneut wurden Tageswerte von 21,1 Grad erfasst – das war in den rund 40 Jahren Aufzeichnung zuvor noch nie der Fall. Regional können die Wassertemperaturen sogar noch wesentlich höher sein.

Grafik zu aktuellen und früheren Meerestemperaturen
So hohe Meerestemperaturen wie aktuell wurden bisher noch nie gemessen. Nächstes Jahr könnte es dank El Niño noch schlimmer werden.
Grafik: NOAA / University of Maine

Ein Extrem mit Folgen: Im Golf von Mexiko und in der Karibik habe die Korallenbleiche dieses Jahr zwei Monate früher als sonst begonnen. "Die Bleiche breitet sich aktuell aus und wird sicherlich noch einige Wochen bis Monate weitergehen, bis die Temperaturen wieder ausreichend gesunken sind", betonte Wild. Typischerweise dauere es nur ein paar Tage, bis die Korallen bei langsam ansteigenden Wassertemperaturen über ihren artspezifischen Wohlfühlbereich zu bleichen beginnen. "Für die meisten Korallenarten beginnt die Bleiche bei circa 32 Grad."

Versauerung, Überdüngung, Überfischung

Neben der Erwärmung des Meerwassers spielten auch die Versauerung sowie Faktoren wie Überdüngung und Überfischung beim Absterben von Korallen eine Rolle, so Wild. Zur Unterstützung der Nesseltiere seien bestimmte Maßnahmen entscheidend: "den Klimawandel stoppen oder zumindest stark einschränken und die Riffe stärken, indem andere Stressfaktoren wie die Überfischung und die Überdüngung stark reduziert werden". Zudem seien wissenschaftliche Ansätze wie das gezielte Ausbringen hitzetoleranterer Steinkorallen und moderne Wiederaufforstungsmethoden hilfreich.

Einer kürzlich im Fachjournal "Nature" vorgestellten Studie zufolge könnte es im Zuge der Erderwärmung regional auch zu einem Mangel an Nährstoffen für Korallen kommen. "Wärmere Oberflächengewässer können weniger Nährstoffe aus tieferen Wasserschichten aufnehmen", erläuterte Mitautorin Cecilia D'Angelo von der University of Southampton. "Die verringerte Wasserproduktivität kann zu weniger Nährstoffen für die Symbionten und damit zu weniger Nahrung für die Korallentiere führen." Den Analysen zufolge können Korallentiere zwar kurze Hungerperioden überstehen, indem sie sich von ihren Symbionten ernähren, zumindest einige Korallenriffe könnten aber im Zuge anhaltender Nährstoffverarmung vom Verhungern bedroht sein. (red, APA, 30.8.2023)