Im Mai saß die 26-jährige Gabrielle Judge auf einer grauen Couch vor einem Wolkenkratzer-Wandbild und drückte auf den Aufnahmeknopf ihres Handys. Judge – Schlabberpulli, Oversize-Brille, Zöpfe – redete zweieinhalb Minuten in die Kamera über das, was sie "lazy girl jobs" nannte: stressfreie, sichere, flexible und gutbezahlte Jobs mit Work-Life-Balance und Homeoffice. Klingt nach eierlegender Wollmilchsau? Egal. Der Videoclip ging auf Tiktok viral und wurde millionenfach geklickt. Nach dem "Bare Minimum Monday", der den Montag zum Relaxtag ausrief, ist nun ein weiterer Tiktok-Trend entstanden.

Unter dem Hashtag "lazy girl jobs" posten Creator ihre Vorstellungen vom "gechillten" Arbeitsleben: E-Mails per Copy-and-Paste schreiben, drei bis vier Anrufe am Tag annehmen, lange Mittagspausen machen, dazwischen einmal etwas über der Tastatur snacken. Keine Präsenzpflicht, kein Dresscode, kein Termindruck. Hängematte statt Hamsterrad, Hustle-Culture, ade!

Sinnfindung außerhalb des Jobs

Wenig arbeiten, viel verdienen? Für die Babyboomer, aber auch manch hyperkompetitiven Millennial, der im Studium nächtelang durchlernte, um seine Klausuren zu bestehen und eine Chance auf dem Arbeitsmarkt zu haben, muss das wie eine Provokation klingen. Doch die Generation Z tickt anders – für die Angehörigen dieser Alterskohorte, die zwischen 1997 und 2012 zur Welt gekommen sind, ist Arbeit nicht mehr das alleinig Sinnstiftende im Leben, sondern ein reiner Broterwerb. Warum soll man sich groß anstrengen, wenn man eines Tages keine oder kaum Rente erhält und die Welt untergeht? Der demografische Wandel spielt den Jungen dabei in die Hände: Dadurch, dass in den nächsten Jahren die Boomer in Rente gehen und damit den Fachkräftemangel verschärfen, können die Jungen den Preis für ihre Arbeitskraft in die Höhe treiben und offensiv Forderungen stellen.

Der Ennui angesichts einer als monoton und repetitiv empfundenen Arbeitswelt, der gerade in Videoclips provokativ zur Schau gestellt wird, ist Teil eines globalen, generationsübergreifenden Phänomens. Im Zuge der Corona-Pandemie haben sich auch viele ältere Arbeitnehmende still und leise aus dem Erwerbsleben verabschiedet (Stichwort "Great Resignation"), weil sie die Pendelei oder das toxische Betriebsklima satt hatten und mehr Zeit mit ihrer Familie verbringen wollten. Andere, die sogenannten "quiet quitters", haben innerlich gekündigt und machen nur noch Dienst nach Vorschrift.

Frau sitzt mit dem Handy in der Hand und Laptop auf dem Schoß auf einer Fensterbank
Stressfrei, sicher, flexibel und gutbezahlt, mit Work-Life-Balance und Homeoffice – so sieht der perfekte Job für viele junge Menschen aus.
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Die große Resignation ist längst auch in China angekommen, wo sich die Tangping-Bewegung (wörtlich "flachliegen“) dem Leistungsdruck und dem staatlichen Drill an Schulen verweigert. Viele junge Chinesen wollen sich nicht mehr im Hamsterrad der "996"-Arbeitskultur (neun Uhr morgens bis neun Uhr abends, sechs Tage die Woche arbeiten) kaputtschuften und lebenslang eine Immobilie abzahlen, zumal das Aufstiegsversprechen angesichts einer Jugendarbeitslosigkeit von über 20 Prozent brüchig geworden ist. Stattdessen möchten sie ihre Freizeit genießen. Serien schauen, wandern, reisen, solche Dinge. Yolo – you only live once. Man lebt nur einmal. Darin sind sich die jungen Erwachsenen einig.

Sozialistische Wurzeln

Die Idee der "Faule-Mädchen-Jobs" hat ihre historischen Wurzeln im Sozialismus. 1883 postulierte der französische Sozialist Paul Lafargue in seiner bissigen Polemik "Le droit à la paresse" ein Recht auf Faulheit und wies das Dogma der Arbeit zurück. In einer Zeit, in der man weder Burnout noch Internet kannte, schrieb er: "Die blinde, widernatürliche und mörderische Arbeitssucht macht aus der befreiend wirkenden Maschine ein Instrument zur Knechtung freier Menschen: die Produktionskraft der Maschine verarmt die Menschen."

Lafargue setzte der täglichen Fron die Muße als erstrebenswertes Freiheitsideal entgegen: Erst wenn der Mensch aufhöre zu arbeiten, könne er zu seinen natürlichen Instinkten zurückkehren und ein freies Wesen werden. Lafargue, dessen Denken der Strömung des christlichen Sozialismus entsprang, berief sich dabei auch auf die Bergpredigt (Matthäus 6). Darin sagt Jesus: "Und warum sorgt ihr euch um die Kleidung? Schaut die Lilien auf dem Feld an, wie sie wachsen: sie arbeiten nicht, auch spinnen sie nicht."

Revolte oder Spießertum?

Ob die globale Antiarbeitsbewegung eine Revolte gegen den Kapitalismus oder Ausdruck einer postmaterialistischen Gesellschaft ist, wird wohl auch in zehn Jahren noch Gegenstand soziologischer Debatten sein. Dass aber in der Gen Z die einst als spießig verschrienen Nine-to-five-Jobs als "cool" und "sexy" gelten, entbehrt nicht einer gewissen Ironie, schließlich waren es ja vor allem die Jungen, die dieses Arbeitszeitmodell kritisierten.

Doch die Zeiten sind heute andere, und die starren Skripte einer Industriegesellschaft – Familiengründung, Hausbau, Rente – passen nicht mehr in eine krisenhafte Welt, wo die Klimakatastrophe von Tag zu Tag näherrückt. Arbeit ist nicht alles, und die Zeit im Hier und Jetzt scheint für die Generation Z viel zu kostbar, um das Leben mit Videokonferenzen und Mails zu verbringen. (Adrian Lobe, 5.9.2023)