Neun Wochen Ferien gehen in zwei Staffeln zu Ende. In einer Woche sind dann wieder mehr als eine Million Kinder und Jugendliche in der Schule. Aber werden sie auch alle die Lehrerinnen und Lehrer haben, die sie eigentlich brauchen? Österreich steht vor einer Herkulesaufgabe: Lehrkräfte sind Mangelware.

STANDARD: Was haben Sie in den Ferien von Direktorinnen und Direktoren im ganzen Land zu hören bekommen, die sich hilfesuchend, vielleicht verzweifelt oder auch wütend an Sie gewandt haben, weil sie nicht wissen, wie sie den Unterricht in ihren Schulen organisieren sollen?

Polaschek: Die Rückmeldungen waren eigentlich alle höchst positiv. Wir haben das gesamte Verfahren digitalisiert und deutlich schlanker gestaltet. Die Bewerbungsfristen für alle Bundesschulen wurden vereinheitlicht auf einen sehr frühen Zeitpunkt, und viele Bundesländer haben das System für die Landeslehrerinnen und Landeslehrer übernommen. Auch früher war es immer so, dass kurz vor Schulbeginn noch Stellen offen waren, etwa aufgrund von Erkrankungen. Es ist sicher mehr geworden, weil wir einen massiven Lehrerbedarf haben, aber wir sind auf einem guten Weg, und es wird uns auch heuer gelingen, alle Unterrichtsstunden abzuhalten.

STANDARD: Können Sie also garantieren, dass im Osten Österreichs ab heute und in einer Woche im Rest des Landes jedes Kind für jedes Fach und jede Stunde eine Lehrerin oder einen Lehrer haben wird, die oder der es unterrichtet?

Polaschek: (lacht) Wenn ich jetzt einen Anwalt neben mir sitzen hätte, würde er sagen: Unterschreib das ja nicht. Im Ernst: Wenn Sie bedenken, dass wir 120.000 Lehrerinnen und Lehrer haben und rund 1,5 Millionen Unterrichtsstunden zu halten sind, dann kann ich nicht garantieren, dass nicht möglicherweise ein oder zwei Lehrkräfte kurzfristig krank werden oder sonst wie ausfallen und deshalb in der ersten Woche nicht unterrichten können. Das wäre unseriös, da bitte ich um Verständnis. Was ich auf jeden Fall sagen kann, ist, dass wir jede Unterrichtsstunde abhalten. Einen Teil des Bedarfs fangen wir durch Mehrdienstleistungen auf, einen Teil durch Studierende in höheren Semestern.

Bildungsminister Martin Polaschek in seinem Ministerium.
Martin Polaschek verspricht – überraschende Zwischenfälle ausgenommen –, dass es für jede Stunde Lehrkräfte gibt.
Heribert Corn

STANDARD: In Deutschland, wo auch Lehrermangel herrscht, hat die Ständige Wissenschaftliche Kommission, ein Beratergremium der Kultusministerkonferenz, Vorschläge zur Entspannung der Lage gemacht. Aus Expertensicht sollten ein höheres Unterrichtspensum für Lehrkräfte geprüft, weniger Teilzeitmöglichkeiten eingeräumt und eventuell auch größere Klassen gebildet werden. Was halten Sie von diesen Ideen?

Polaschek: Der größte Teil dieser Anregungen ist nach einer intensiven Diskussion im Sande verlaufen. Ich habe mich dazu mit meiner deutschen Amtskollegin ausgetauscht, und sie hat mit größtem Interesse auf das geschaut, was wir in Österreich machen, zum Beispiel meine Initiative "Klasse Job", die auch den professionalisierten Quereinstieg umfasst. Ich halte Zwangsmaßnahmen für kontraproduktiv, sie sind für mich keine Option. Wenn Menschen, aus welchen Gründen auch immer, nicht Vollzeit arbeiten möchten, und ich sage ihnen, ich gebe ihnen den Job nur, wenn sie Vollzeit arbeiten, dann riskiere ich ja, dass die Person sagt, da gehe ich lieber gleich in einen ganz anderen Bereich. Man darf nicht vergessen: Personen mit einem Lehrerstudium sind ja durch die Unterrichtsfächer sehr breit aufgestellt. Die haben auch andere Möglichkeiten, einen Job zu kriegen. Unser Interesse ist, möglichst viele Menschen in diesen Beruf zu kriegen, und dabei setzen wir auf Anreize und eine positive Grundstimmung.

STANDARD: Wäre es nicht überhaupt an der Zeit für radikalere Ansätze? Mehr Geld für Lehrkräfte, die Mangelfächer studieren, Gehaltszuschlag für Unterricht in Brennpunktschulen oder strukturschwachen Regionen und Vorteile für die, die später in Pension gehen oder zurückkehren?

Polaschek: Was die Fächer angeht, wird ja jetzt schon der Unterricht in bestimmten Fächern wie Mathematik oder anderen aufwendigeren Fächern mit einem höheren Stundensatz abgegolten. Die Frage, wie weit man durch mehr Geld Motivation schaffen kann, in Brennpunktschulen zu arbeiten, habe ich mir auch gestellt. Fachleute haben mir gesagt, dass finanzielle Anreizmodelle in diesem Bereich nicht funktionieren. In Berlin hat man das auch überlegt. Es zeigt sich, dass die Motivation, in bestimmte Berufe zu gehen, nur zum Teil mit pekuniären Anreizen zu tun hat.

STANDARD: Als ein verschärfender Faktor gilt die neue Pädagogenausbildung. Für Volks- und Mittelschulen hat sich die Ausbildungsdauer mit der einjährigen Induktionsphase beim Berufseinstieg im Vergleich zu früher auf sechs Jahre verdoppelt. Für AHS und BMHS dauert sie eineinhalb Jahre länger. Es gibt immer wieder Rufe nach Ausbildungsverkürzung. Was planen Sie?

Polaschek: Es gab schon damals Bedenken, und Befragungen von jungen Menschen zeigen, dass ein vierjähriger Bachelor generell abschreckend wirkt, wenn man sieht, dass man für andere Studien nur drei Jahre braucht. Nicht zuletzt aus diesem Grund habe ich mich entschlossen, nach intensiven Gesprächen mit Fachleuten, vorzuschlagen, für die Primarstufe auf einen drei- statt bisher vierjährigen Bachelor und zweijährigen Master zu gehen. Wir bleiben bei fünf Studienjahren, bringen die jungen Leute aber mit einem Abschluss schneller in den Beruf und können mit dem zweijährigen Master durch Anrechnung von Praxisteilen auch flexibler reagieren. So kommen wir de facto zu einer wesentlichen Entschlackung des Studiums. Für die Sekundarstufe soll die Ausbildung von zwölf auf zehn Semester reduziert werden. Dieses Modell besprechen wir gerade mit dem Koalitionspartner, und ich werde mich dafür einsetzen, dass wir in den nächsten Monaten einen Gesetzesentwurf vorlegen können.

STANDARD: Ein großer Schmerzpunkt in den Schulen ist die Überfrachtung mit Bürokratie.

Polaschek: Ja, wir haben die Zahl des administrativen Unterstützungspersonals bereits auf über 700 Personen gesteigert und die Stellen in der Sozialarbeit auf 240 verdoppelt. Und wir arbeiten gerade mit der Gewerkschaft an weitere Entlastungsmaßnahmen. Was mir ganz wichtig ist: Wir brauchen auch pädagogisches Assistenzpersonal. Wenn sich in einer Klasse zeigt, dass Kinder besonderen Unterstützungsbedarf haben, dann soll es qualifiziertes Zusatzpersonal geben und multiprofessionelle Teams, um die Lehrkräfte zu entlasten und für das Unterrichten freizuspielen. Da ist Österreich ja weit hinten im Vergleich zu anderen europäischen Ländern. Es gibt dazu auch ein Modell von uns, und ich hoffe, dass die Finanzausgleichsverhandlungen zu einem entsprechenden Ergebnis führen.

STANDARD: Generell gefragt: Sind all diese Krisensymptome nicht ein alarmierendes Zeichen dafür, dass das ganze Schulsystem im Moment in einer höchst prekären Schieflage ist?

Polaschek: Wir haben diese Probleme nicht nur in Österreich, auch Deutschland und die Schweiz stehen vor den gleichen Herausforderungen. Wir brauchen ganz allgemein immer wieder auch die Diskussion darüber: Was kann die Schule leisten? Was sind ihre Aufgaben im 21. Jahrhundert? Das ist ein ständiger Prozess, dem wir uns als Gesellschaft stellen müssen. Die Schule ist immer in Bewegung. (Lisa Nimmervoll, 4.9.2023)