Links streitet mit Rechts über den Gottseibeiuns 32-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich und glüht damit ordentlich für den "heißen" Herbst der Kollektivvertragsverhandlungen vor. Das ist ein Schauspiel ohne jedwede vernünftige Auseinandersetzung über Szenarien und ihre Konsequenzen. Weit schlimmer ist aber, dass die beiden Blöcke gar nicht merken, dass sie längst links und rechts von der unternehmerischen Wirklichkeit überholt wurden in ihrem eindimensionalen Schlagabtausch über vermeintliche Werte einer Leistungsgesellschaft.

Die Bundesbahnen haben verstanden, dass auch bei steigender Arbeitslosigkeit und Wirtschaftsschrumpfung sowohl die demografische Kurve als auch das fehlende Know-how für die grüne Transformation den Fachkräftemangel zunehmend schmerzhaft gestalten, und experimentieren nun mit der Viertagewoche.
APA/ALEX HALADA

Während hier nur weniger Arbeitsstunden neues Thema sind, haben Firmen aller Größen und Branchen bereits umgesetzt, was wirklich Zug der Zeit ist: Flexibilität. Also das Einteilen der Arbeit je nach der jeweiligen Lebensphase oder dem jeweiligen Lebensentwurf. Das klappt extrem heterogen und offenbar gut: Während die Onlineagentur eMagnetix in Oberösterreich seit Jahren #30SindGenug, also Verkürzung bei Lohnausgleich, umsetzt, seither keine Probleme mehr beim Mitarbeiterfinden hat und auch andere Unternehmen berät, schöpft der steirische Maschinenbauer Koller etwa jedwede Möglichkeit aus, die 38,5 Wochenstunden flexibel so einzuteilen, dass die Maschinen durchlaufen, aber niemand wie früher jede Woche fünf Tage im Betrieb sein muss.

Flexible Einteilung

Eine aktuelle Studie der Boston Consulting Group (BCG) bestätigt: Arbeitszufriedenheit bedeutet, individuell möglichst viel Gestaltungsspielraum bei der flexiblen Einteilung zu haben – in puncto Verteilung und in puncto Arbeitsort. Je normativer das Korsett, desto größer die Unzufriedenheit.

Dazu ist noch kein Großangriff auf die Arbeitsschutzbestimmungen nötig, keinesfalls muss um Höchstarbeitszeiten oder Ruhezeiten gebangt werden. Allerdings könnte Arbeitsminister Martin Kocher wohl ein paar Regulierungen – Durchrechnungsbeschränkungen, Gleitzeiten oder Pausenbestimmungen – zur Diskussion stellen. Es geht klar um die Wahlmöglichkeit als Zeichen der Wertschätzung als Mensch mit Lebensphasen, wobei in manchen eben mehr, in anderen weniger, jedenfalls anders, gearbeitet werden will. Verdichten und Entzerren im Wechsel.

Dass das kein Berater-Blabla ist, zeigt einer der größten Arbeitgeber des Landes, die ÖBB: So wie bei den meisten Großunternehmen gehen dort demnächst 20 Prozent der Belegschaft in Pension, weswegen 18.000 Neue querbeet gesucht werden.

Größtmögliche Individualität

Die Bundesbahnen haben verstanden, dass auch bei steigender Arbeitslosigkeit und Wirtschaftsschrumpfung sowohl die demografische Kurve als auch das fehlende Know-how für die grüne Transformation den Fachkräftemangel zunehmend schmerzhaft gestalten, und experimentieren nun mit der Viertagewoche. Schichtpläne für eine Drei- oder Viertagewoche gibt es schon. Jetzt soll am Freitag für alle, die das wollen, die Kernarbeitszeit 38,5 Stunden fallen. Ähnliches probiert im Herbst ein weiteres Unternehmen der Daseinsvorsorge, die Wiener Linien, mit ihren 37,5 Stunden.

Angesichts der vielen Laboratorien der Arbeitswelt wirkt die Diskussion auf politischer Ebene wie von vorgestern. Von neun bis fünf an fünf Tagen zu arbeiten ist schon lange nicht mehr die einzige Norm. Es geht um größtmögliche Individualität im Jobleben. Und um eine neue Gesundheitskompetenz dafür. (Karin Bauer, 3.9.2023)