Gastbeitrag: Felix Diefenhardt, Marco Rapp, Petra Eggenhofer-Rehart

Roboter und Menschen warten aufs Bewerbungsgespräch
Nur einzelne Arbeitsprozesse von KI übernommen werden.
Getty Images/iStockphoto

Dass die Veröffentlichung des Chatbots ChatGPT3 einen bis heute anhaltenden Megahype auslöste, kam dem schwächelnden Silicon Valley gerade recht. Die dortige Tech-Branche ist schließlich – neben Niedrigzinspolitik und dem gelegentlichen Pentagon-Großauftrag – maßgeblich von Medien- und Finanzhypezyklen abhängig. Und nach dem Flop des Metaverse oder Musks Übernahme von Twitter gibt es jetzt endlich wieder ein "next big thing", auf das sich Beraterinnen, Konzerne und Investorinnen stürzen können.

Wenn sich diese Akteure seit geraumer Zeit in Vorhersagen darüber übertreffen, wie KI-Chatbots die Wirtschaft, ja das Menschsein an sich revolutionieren werden, ist daher zunächst Vorsicht und Skepsis geboten. Das gilt auch für aktuelle Studien, die durch Pressemitteilungen und Artikel kursieren und epochale Konsequenz der KI-Systeme für unsere Berufswelt verkünden.

Forscherinnen und Forscher von OpenAI, der Firma hinter ChatGPT, berichten, dass rund 20 Prozent der Berufe in den USA zumindest zur Hälfte von einem KI-System ausgeführt werden könnten. Goldman Sachs legt sogar noch eine Schippe drauf: 25 Prozent der Arbeit, die aktuell in den USA und in der EU von Menschen geleistet wird, könnte von KI-Systemen ersetzt werden. 300 Millionen Arbeitsplätze wären somit automatisierungsgefährdet. Das Raunen, das sich seit einiger Zeit in den Bürofluren vernehmen lässt, dass "das doch eh bald die KI machen wird", scheint also durchaus gerechtfertigt.

Skeptisch stimmt jedoch ein Blick in die Methodik dieser Studien. Auf Basis von aktuellen Annahmen über die zukünftige Leistungsfähigkeit von KI-Systemen stuften Forschungsteams individuelle Arbeitsaufgaben als mehr oder weniger automatisierbar ein. Der Anteil an automatisierungsgefährdeten Aufgaben war dann ausschlaggebend für die Anfälligkeit einzelner Berufe.

Undifferenzierte Arbeitsprozesse

Nun gibt es aber einige Probleme damit, aus dem rein technischen Automatisierungsrisiko einzelner Aufgaben Aussagen über Berufe abzuleiten. Erstens sind die eingestuften Aufgaben oft recht generisch: Eine solche Aufgabe, beispielsweise "Informations- und Datenanalyse", umfasst verschiedenste Arbeitsprozesse. Von konkreten Arbeitsprozessen können manche eher und manche höchstwahrscheinlich nie von einer KI übernommen werden. Zudem variieren Aufgabenprofile zwischen organisationalen, industriellen und nationalen Kontexten. Unser Aufgabenprofil der Hochschullehre unterscheidet sich teilweise gravierend zwischen Fachhochschulen und Universitäten oder zwischen dem angelsächsischen und kontinentaleuropäischen Raum.

Zu guter Letzt kommt es auch auf die relative Gewichtung der Aufgaben an. Diese wird von den Studien nicht erfasst. So sind viele der Aufgaben, die wir im Rahmen unserer Lehrtätigkeit an der WU Wien ausüben (z. B. die Erstellung und Korrektur von Klausuren), durchaus automatisierbar. Die Qualität unserer Lehrtätigkeit hängt allerdings maßgeblich von zutiefst menschlichen Kompetenzen (Didaktik, fairer Umgang etc.) ab. Selbst wenn wir davon ausgehen würden, dass ein fortgeschrittener Chatbot mehr als die Hälfte der Aufgaben des universitären Lehrpersonals übernimmt, würde das eher zu einer stärkeren Gewichtung und Unterstützung der nichtautomatisierbaren Aufgaben führen.

Der Beruf wäre somit augmentiert, nicht automatisiert – eine Unterscheidung, die von den obigen Prognosen nicht getroffen wird. Führt man sich diese methodischen Schwachstellen vor Augen, wird klar, warum eine berüchtigte Studie von Frey und Osborne mit einer ähnlichen Methodik schon 2013 47 Prozent aller Berufe ein Risiko der Automatisierung in den nächsten zwei Jahrzehnten attestierte. Dass wir ein Jahrzehnt später mit einem historischen Fachkräftemangel zu kämpfen haben und sich die Arbeitslosenquote halbiert hat, zeigt, wie übertrieben diese Schätzungen waren.

Aufgaben umstrukturieren

Wir wollen nicht unterschlagen, dass KI-Chatbots im Speziellen und die Digitalisierung im Allgemeinen zum Verschwinden bestimmter Berufe beitragen können: Stichwort Reisebüros. Generell lässt sich aber sagen, dass diese Prozesse Berufe und Aktivitäten tendenziell nicht ersetzen, sondern umstrukturieren. Zu einem solchen Ergebnis kommt auch eine in ihrer Methodik und ihren Aussagen vorsichtigere Studie der internationalen Arbeitsorganisation (ILO). Demnach seien in einkommensstarken Ländern nur ca. sechs Prozent der Beschäftigten von einem Automatisierungsrisiko betroffen. Der Anteil der Beschäftigten, deren Arbeit durch den Einsatz von KI signifikant umstrukturiert werden könnte, liegt bei ca. 13 Prozent.

Nicht wenige Berufe werden also in nächster Zukunft keine radikalen Verwerfungen durch ChatGPT zu erwarten haben. Diejenigen, die von der Entwicklung von KI-Systemen betroffen sind, werden sich eher umstrukturieren als verschwinden. Diese Umstrukturierung ist nicht untypisch für bisherige Digitalisierungswellen, denken wir beispielsweise an die räumliche und zeitliche Umstrukturierung unserer Arbeit durch das Homeoffice. Wie sich diese bereits auf Karrieren auswirkt und was es angesichts dessen zu beachten gilt, wird in unserem Buch "Karriereachterbahn" genauer beleuchtet. (Felix Diefenhardt, Marco Rapp, Petra Eggenhofer-Rehart, 6.9.2023)