Dieser Bomber vom Typ Tu-95 ist mit alten Autoreifen bedeckt.
AP / Maxar Technologies

Es ist ein Bild, das man wohl bei keiner westlichen Luftwaffe sehen würde: Riesige strategische Bomber – also jene Flugzeuge, mit denen Atomraketen abgeschossen werden können – stehen offen auf den Flugplätzen und sind auf ihren Tragflächen und Teilen des Rumpfs mit alten Autoreifen übersät. Zuerst war das Rätselraten im Westen groß, und man konnte sich keinen Reim auf die seltsamen Vorgänge auf der russischen Luftwaffenbasis Engels 2 machen. Doch im Lauf der Vorwoche tauchten immer mehr Satellitenbilder von solcherart "bereiften" russischen Flugzeugen auf.

Längst wurden nicht nur die für Russland extrem wertvollen propellergetriebenen Tu-95MS (Nato-Codename: Bear) und die strategischen Schwenkflügelbomber Tu-160 Blackjack mit alten Reifen bedeckt. Auch deutlich kleinere Modelle wie Jagdbomber vom Typ Su-34 Fullback erhielten die seltsame Gummibehandlung. Fotos davon kursierten in einschlägigen Telegram-Kanälen. Laut CNN könnte es sich um einen plumpen Versuch handeln, die russischen Flugzeuge vor weiteren ukrainischen Angriffen zu schützen.

Schutz vor Drohnenangriffen

Kein Wunder, jüngst wurden sechs russische Regionen, darunter auch Moskau, angegriffen. Das war der größte Drohnenangriff auf russisches Hoheitsgebiet seit Beginn der Invasion in der Ukraine. In der Stadt Pskow, nahe der estnischen Grenze, wurden Berichten zufolge mehrere militärische Transportflugzeuge beschädigt, als Drohnen einen Luftwaffenstützpunkt angegriffen haben. Anfang August erklärte die Ukraine, sie habe Drohnenangriffe auf Stützpunkte tief im russischen Hoheitsgebiet durchgeführt. Das Ziel dürften die Bomber der russischen Luftwaffe gewesen sein. Bei diesen Angriffen dürfte mindestens ein Mittelstreckenbomber vom Typ Tu-22 zerstört worden sein.

Dieses Bild von Maxar Technologies zeigt eine weitere Tu-95 mit der eigenartigen Schutzmaßnahme.
AP / Maxar Technologies

Kurz darauf tauchten die ersten Bilder von Flugzeugen mit darauf gestapelten Autoreifen auf. Laut Francisco Serra-Martins vom Drohnenhersteller One Way Aerospace ist die Maßnahme wohl eher von begrenzter Wirkung. Die Maßnahme sei zwar dazu angetan, unter Umständen die Wärmesignatur von Flugzeugen ein wenig zu verringern, aber exponierte Bomber seien immer noch mit Infrarotkameras gut sichtbar, meinte Serra-Martins gegenüber CNN.

Wirkung unbekannt

"Auch wenn es ziemlich albern aussieht, scheinen sie ihr Bestes zu geben, um die Flugzeuge, die ansonsten leichte Beute sind, aufzurüsten. Ob das funktioniert, hängt davon ab, welchen Sprengkopf die Rakete/Drohne hat", so Steffan Watkins, ein Open-Source-Forschungsberater, der Flugzeuge und Schiffe verfolgt.

Watkins fügte hinzu, dass die Reifen verwendet werden könnten, um zu verhindern, dass die Splitter einer Explosion über dem Flugzeug die Hülle des Fliegers durchschlagen. Auch in Nato-Kreisen ist die vorherrschende Meinung, dass die Reifen wohl einen Schutz vor Drohnen bieten sollen. "Wir wissen nicht, ob das irgendeine Wirkung hat", wird ein Nato-Offizier zitiert. Wie man bei "The Warzone" zu bedenken gibt, stellen die Reifen wohl eine größere Gefahr für die Flieger selbst dar: Im Fall eines Brandes würde der Gummi sofort Feuer fangen. Selbst Leuchtmittel könnten schon zur Gefahr werden.

Prorussische Kanäle sind besorgt

Im prorussischen Telegramkanal "Fighterbomber" wird die ungewöhnliche Maßnahme ebenfalls heftig diskutiert. Anscheinend deutet der improvisierte Schutz auf einen Mangel an Luftabwehr sowie Personal hin, wird dort gemutmaßt. In dem Kanal wurde die Forderung laut, wonach Russland unverzüglich eine Kampagne zum Bau von Schutzräumen oder Unterständen auf öffentliche Kosten auf Flugplätzen nahe der Ukraine einleitet.

Russische Luftfahrzeuge, egal ob Helikopter oder strategische Bomber, werden häufig einfach im Freien abgestellt. Während im Westen in Hangars Flugzeuge wie der Eurofighter nach jedem Flug minutiös durchgecheckt werden, parkt man in Russland das Fluggerät einfach draußen. Bei Kampfhubschraubern wie dem Ka-52 Alligator wird immerhin das Cockpit noch mit einer Plane abgedeckt, ansonsten ist das Material dem Wetter ausgesetzt.

Zumindest ein Teil der beim russischen Angriff auf die Ukraine aufgetretenen Qualitätsprobleme beim eigenen Material dürfte zum Teil auf diese Form der Lagerung zurückzuführen sein. Auch am Militärflugplatz Engels 2 ist das nicht anders: Hier sind auf Satellitenbildern gut die im Freien geparkten strategischen Bomber vom Typ Tu-160 und Tu-95 zu erkennen.

Die russische Luftwaffe musste seit Beginn des Angriffs auf die Ukraine starke Verluste hinnehmen. So gingen laut der OSINT-Plattform Oryx mindestens 105 Hubschrauber verloren. 89 Flugzeuge wurden ebenfalls zerstört. Darunter befinden sich drei strategische Bomber sowie vier Su-35S, die zu den modernsten Jets der russischen Luftstreitkräfte zählen. (Peter Zellinger, 12.9.2023)