Emmy Werner
Emmy Werner, am 13. September 1938 in Wien geboren, hatte als Theaterprinzipalin mit viel Gegenwind zu kämpfen, aber viel erreicht.
Hans Leitner / First Look / pict

Mit Chuzpe war und ist bei Emmy Werner immer zu rechnen. So bot die zwischen 1988 und 2005 amtierende Volkstheaterdirektorin einem Schauspieler, der gierig Titelrollen einforderte, den Part der Möwe aus Tschechows gleichnamigem Drama an. Nie wieder habe der Mime sich beschwert, heißt es, ist diese "Titelfigur" doch erstens stumm und zweitens bei Auftritt tot.

Chuzpe hat die Wiener Theaterleiterin, die morgen, Mittwoch, ihren 85. Geburtstag feiert, auch gebraucht, als sie 1981 das Theater Drachengasse aus dem Nichts stampfte und danach 1988 das Volkstheater und damit als eine der ersten Frauen im deutschen Sprachraum ein Stadttheater dieser Größe übernahm. Abgesehen von den historischen Erfolgen von Helene Weigel und darauffolgend Ruth Berghaus als Intendantinnen am Berliner Ensemble war Werners Direktion ein Dammbruch. Wurde Frauen doch sogar das Hosentragen bis in die 1970er-Jahre als kulturelle Aneignung vorgeworfen.

"Frau führt Regie"

Weibliche Führungskräfte galten bis zur Ära Kreisky als Abnormität. Auch Werner musste sich noch als "Kinderl" bezeichnen lassen. Aber die Tochter einer kunstaffinen Wiener Familie hat auf ihren Moment zielstrebig hingearbeitet und damit über viele Hürden hinweg Theatermacherinnen den Weg geebnet. Anlässlich ihres Volkstheater-Antritts sagte sie trocken: "Es gibt nur ganz wenige Berufe, für die primäre Geschlechtsmerkmale wirklich erforderlich sind, und Theaterleitung gehört sicher nicht dazu."

Das Volkstheater ist die ungleich größere Bühne, doch bis heute ist das Theater Drachengasse Emmy Werners Liebkind geblieben, wie sie in einem STANDARD-Interview bekannte. War es doch ein aus eigener Kraft stur erkämpfter Ort, der abseits männlicher Netzwerke funktionierte und der Regisseurinnen und Autorinnen Platz gewährte, der woanders nicht zu kriegen war. Die Drachengasse war ein Novum. "Frau führt Regie", lautete die Schlagzeile nach einer Premiere.

Dank der Unterstützung von Politikerinnen wie Hilde Hawlicek und Johanna Dohnal, auch dank prominenter Personen im Publikum wie Friedrich Achleitner, Erhard Busek oder Maria Rauch-Kallat wurde die Drachengasse ein bekannter und bald pulsierender Ort für zeitgenössische Dramatik und ist es bis heute geblieben. Heute kaum vorstellbar, aber damals kam sogar der amtierende Bundeskanzler Franz Vranitzky in die Drachengasse.

Mit dem neuen kleinen Theater waren plötzlich auch neue Texte da, von Autorinnen wie Friederike Roth, Christa Wolf, Erika Molny, Ingeborg Bachmann, Käthe Kratz, Brigitte Schwaiger, Marguerite Duras oder Margarethe von Trotta.

Jelinek versus Anzengruber

Wahrlich Geschichte aber schrieb Werner später am Volkstheater mit ihrer Entdeckung von Elfriede Jelinek für die Bühne. Erstmals hat sie 1990 mit Krankheit oder Moderne Frauen ein Stück der im Land geradezu geächteten, von Peymanns Burgtheater lange Zeit ignorierten späteren Nobelpreisträgerin an einem großen österreichischen Theater gezeigt. Emmy Werner musste dafür bei einem tätlichen Übergriff echte Prügel einstecken. Der Angreifer hätte lieber Anzengruber auf dem Spielplan gehabt.

Mag Werners Volkstheater-Ära insgesamt zu wenig international ausgerichtet gewesen sein, so hat sie umgekehrt mutig heimischen Autorinnen und Autoren ein Publikum erschlossen, von Gert Jonke bis Kathrin Röggla, von Wolfgang Bauer bis Franzobel oder Marlene Streeruwitz. In vielem hat ihr Programm, wenn auch nicht immer mit Fortune in der Umsetzung, deutlich weiter in die Zukunft geleuchtet als das ihrer Kollegen. Kämpferisch ist Emmy Werner in frauenpolitischen Fragen geblieben. Im Gespräch 2021 sagte sie: "Ich bin zu alt für die Barrikaden, aber manchmal denke ich mir, ich geh zum Stock-im-Eisen-Platz und halte eine Brandrede. (Margarete Affenzeller, 12.9.2023)