Pensionist mit Katze und Zeitung
Wer von Demenz betroffene Angehörige zu Hause betreut, steht oft vor ungeahnten Herausforderungen, die auch die eigene Psyche in Mitleidenschaft ziehen können.
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Viele Angehörige von Menschen mit Demenz wollen ihre Lieben zu Hause betreuen, fast 120.000 tun das in Österreich auch – und viele fühlen sich überfordert. Wie Angehörige in der informellen Pflege von Menschen mit Demenz am besten durch eine Onlineplattform unterstützt werden können, steht im Zentrum des Leitprojekts "Tele Care Hub", das von der Forschungsförderungsgesellschaft FFG und vom Klimaschutzministerium gefördert wird. Welche Möglichkeiten es dafür gibt, erforscht ein sektorenübergreifendes Konsortium aus Kliniken, Sozialdiensten und Technologieunternehmen. Federführend beteiligt sind auch die FH Kärnten, die FH Vorarlberg, die Uni Innsbruck und die Forschungsgesellschaft Salzburg Research.

Im Projekt will man einem Problem beikommen, das häufig auftritt: Zwar gebe es heute zu Demenz von vielen Institutionen bereits eine Vielzahl von Informations- und Hilfsangeboten. "Viele Angehörige nehmen Hilfe aber oft erst sehr spät in Anspruch", sagt Daniela Krainer von der Forschungsgruppe Active und Assisted Living an der FH Kärnten und Mitarbeiterin des Tele-Care-Hub-Projekts. "Wer aber zu lange zuwartet, für den kann die Belastung oft schon zu einer Überforderung geworden sein."

Belastend für Angehörige

Gerade zu Beginn haben viele Angehörige noch kaum Vorstellungen davon, was sie erwartet. Anfangs sieht die Situation noch nicht nach klassischer Pflege aus, man leistet Gesellschaft, springt beim Kochen ein oder erledigt Einkäufe. Demenz entwickelt sich aber ständig weiter. Früher oder später sehen sich Angehörige in der häuslichen Pflege – auch informelle Pflege genannt – mit Situationen konfrontiert, auf die sie, da sie keine Pflegeprofis sind, nicht vorbereitet sind.

Demenz kann herausforderndes Verhalten, Angst, Wut und Stress hervorrufen oder das Bedürfnis, (nachts) die Wohnung zu verlassen, ohne die Ressourcen zu haben, den Weg zurückzufinden. Mit fortschreitender Demenz steigt auch der Betreuungsaufwand, die Pflege wird immer mehr zu einer Doppelbelastung, während die eigene Freizeit immer geringer wird.

Frühzeitige Unterstützung

In der Bedarfserhebung des Projekts zeigt sich, "dass viele Angehörige in solchen Situationen immer stärker das Gefühl der Einsamkeit erleben", erklärt Krainer. "Denn oft ist es ihnen nicht einmal mehr möglich, schnell auf einen Kaffee mit Freunden zu gehen."

Die psychischen Folgen reichen von Burnout bis hin zu Depressionen. Frühe Informiertheit könne die Situation verbessern, sagt Krainer: "Vorbereitetsein erzeugt das Gefühl der Selbstwirksamkeit. Wer schon zu Beginn weiß, was einen erwartet, kann auch rechtzeitig gegensteuern."

Erforscht wird nun, ob und wie gut Angehörige via Internet schon frühzeitig erreicht und unterstützt werden können. Im Projekt wird dafür eine barrierefrei zugängliche Onlineplattform entwickelt, die Angehörige schnell und strukturiert über Krankheitsbild und Interventionsmöglichkeiten informiert: Was man etwa tun kann, um in Stresssituationen besser mit herausforderndem Verhalten umzugehen, oder welche Tools es gibt, um noch vorhandene Ressourcen zu aktivieren – etwa Unterlagen für die Biografiearbeit oder Spiele und Apps fürs Gedächtnistraining.

Sensoren bis Selbsthilfe

Angehörige sollen auch schnell und unkompliziert Rat von Expertinnen und Experten einholen können – etwa durch Videotelefonie oder Onlinechats. Gedacht ist auch daran, Online-Selbsthilfegruppen von Angehörigen aufzubauen oder Hilfe bei Fragen zum assistierten Wohnen zu geben. Das kann etwa die Installation von Sensoren sein, die einen Alarm senden, wenn die Türen geöffnet werden. Entwickelt wird im Projekt auch ein Konzept, um Apps für die Demenzdiagnostik und -begleitung als medizintechnische Produkte zertifizieren zu lassen. Diese Apps auf Rezept sind in einigen Ländern Europas, darunter Frankreich, Belgien und Deutschland, bereits eingeführt. Österreich will nun nachziehen.

Im Projekt Tele Care Hub will man nun Grundlagen erarbeiten, um "digitale Gesundheitsanwendungen" (Digas) auch für andere Krankheitsbilder zertifizieren zu können. In Deutschland sind mittlerweile mehr als 50 Digas von Ärztinnen und Ärzten verschreibbar – von Apps fürs Rückenschmerztraining über Psychotherapie-Apps für die Angststörungs- oder Depressionsbehandlung bis hin zu Apps zur Vitalparameterkontrolle von Herzinsuffizienzpatienten und -patientinnen.

Das Projekt, das bis Februar 2026 läuft, ist jetzt in der Phase 2, in der die technische Umsetzung erfolgt. In einem nächsten Schritt werden Krainer zufolge in einem Pilotbetrieb Testpersonen eingeladen, um zu erforschen, ob und wie gut das neue Angebot angenommen wird. (Norbert Regitnig-Tillian, 16.9.2023)