ORF-Korrespondent Christian Wehrschütz bei der Arbeit.
ORF-Korrespondent Christian Wehrschütz bei der Arbeit.
Foto: Wehrschütz

ORF-General Roland Weißmann war auch am Donnerstag noch guter Hoffnung, dass Christian Wehrschütz (61) der Mann in Kiew bleiben kann. Im obersten ORF-Gremium, dem Stiftungsrat, äußerte er sich zuversichtlich, dass das Akkreditierung* für Wehrschütz doch noch verlängert wird.

"Einen so verdienten und erfahrenen Journalisten" wie Wehrschütz nicht mehr in der Ukraine einzusetzen könne sich der ORF nicht leisten, findet Stiftungsrat Heinz Lederer (SPÖ). Und grundsätzlicher sagt er: Eine Regierung könne sich nicht nach Gutdünken oder Gusto aussuchen, wer über sie, ihre Politik und ihr Land berichtet. "Das würde ein Präjudiz schaffen", warnt Lederer.

Seminar zu Videoquellen

Am anderen Ende des weitläufigen ORF-Zentrums fand zeitgleich eine Schulung statt über Quellen und Verifizierung von Videomaterial. Christian Wehrschütz könnte das Seminar interessieren – er sorgte mit zwei in falschem Zusammenhang in der Zeit im Bild ­präsentierten Videosequenzen aus fragwürdiger Quelle erst im August für eine große Fake-News-Debatte. Der ORF musste den Fehler in der weitaus meistgesehenen Nachrichtensendung bestätigen. Er selbst hat sich in einer ZiB-Moderation entschuldigt. ORF-Chef Weißmann erklärte nach dem Stiftungsrat, man habe ein "internes Kontrollsystem aufgesetzt, damit so etwas nicht mehr passiert".

Für die in falschen Zusammenhang in einem "ZiB"-Beitrag präsentierten Videos entschuldigte sich Wehrschütz im August mit der Formulierung: "In der ZiB1 zur Korruption in der Ukraine wurden Videos verwendet, die ich nicht zusätzlich überprüft habe, weil sie aus seriöser Quelle stammten. Der Fehler wird mir eine Lehre sein, der erste in 23 Jahren Korrespondent. An der Richtigkeit des Beitrags ändert der Fehler nichts!"

Nicht mehr allein

Wehrschütz nahm an dem ORF-Videoseminar am Donnerstag im ORF-Zentrum nicht teil. Donnerstag hielt er als "Botschafter der Demokratie", wie der ORF Burgenland berichtete, einen Vortrag vor 900 Schülerinnen und Schülern im Landtag in Eisenstadt. Ein ORF-Sprecher wiederholte am Donnerstag die Hoffnung, dass die Ukraine Wehrschütz’ Papiere verlängert.

Eines aber ändert sich nun jedenfalls: Wehrschütz soll nicht mehr als One-Man-Show mit einem Technikteam im Einsatz sein. Das könnte eine Bedingung der Ukraine für eine Verlängerung von Wehrschütz' Papieren sein.

Neue Vorwürfe

Gegen Wehrschütz tauchten inzwischen neue Vorwürfe auf, von denen "Die Presse" berichtet. Der ORF-Journalist habe im Juli Videomaterial von der Luftabwehr über Odessa in Aktion auf Facebook gepostet, deklariert als "ZiB"-Beitrag. Auch wenn die Bilder nach oben gefilmt waren und so keine Standorte erkennbar waren: Die Ukraine untersagt Journalisten, Bildmaterial über die Luftabwehr auf Social Media zu posten. Wehrschütz müssten diese Auflagen bekannt sein.

Es lag nicht allein am ORF, dass der Mann so lange im journalistischen Alleingang unterwegs war in den Kampf- und Kriegsgebieten auf dem Balkan und in der Ukraine. Christian Wehrschütz weiß, dass er selbst am besten weiß, wo es langgeht. Das liegt an seiner reichen jahrzehntelangen Erfahrung im Außeneinsatz, zumindest so aber an Christian Wehrschütz’ überaus selbstbewusstem Naturell zwischen Workaholic und Welterklärer.

Ende Oktober 2022 schlugen Granaten in Christian Wehrschütz’ damaligem Hotel in Nikopol ein.
Ende Oktober 2022 schlugen Granaten in Christian Wehrschütz’ damaligem Hotel in Nikopol ein.
Foto: APA/ORF/Wehrschütz

2011 überrascht der ORF-Korrespondent mit einer Bewerbung für den Job des Alleingeschäftsführers von Österreichs größtem Medienkonzern. Er bewirbt sich als Generaldirektor des ORF, gegen den ­damals amtierenden ORF-General Alexander Wrabetz. Mit waidmannsgrünem Jackett und Halstuch mit Hirsch und "Habsburg"-Schriftzug wird er als Einziger neben Wrabetz zum Hearing eingeladen. "Nach 20 Jahren Balkan – warum soll ich es nicht probieren?", sagt er vor dem Hearing. Im Stiftungsrat bleibt er ohne Stimmen, selbst der FPÖ-Vertreter reihte sich damals unter die Wrabetz-Fans.

Seit 1999 ist Wehrschütz ORF-Korrespondent, erst in Brüssel, dann auf dem Balkan. 2014 wurde er von der Branchenjury des Magazins Journalist:in als Journalist des Jahres ausgezeichnet, in diesem Frühjahr als Außenpolitikjournalist des Jahres. Der Jurist spricht Russisch, Serbisch und Ukrainisch.

Von Bacher geholt

ORF-General Gerd Bacher hat Wehrschütz 1991 zum ORF geholt, zunächst zum Teletext. Menschen mit freiheitlichem Hintergrund waren rar in der ORF-Information, und Wehrschütz war Chefredakteur des Parteiorgans Neue Freie Zeitung. Bis 1983 schrieb er für die heute eingestellte rechtsextreme Aula. Bis zu seinem Abgang sei diese Publikation nicht rechtsextrem gewesen, forderte Wehrschütz’ Anwalt einmal zur Löschung dieser Qualifikation auf, das ließ sich nicht nachvollziehen.

Längst dürfte Wehrschütz dem bürgerlichen Lager näherstehen als dem freiheitlichen. 2015 erinnerte der ORF-interne Ethikrat daran, dass ORF-Journalistinnen und Journalisten besser nicht auf Parteiveranstaltungen auftreten sollten. Anlass damals: Wehrschütz referierte über die Lage im Ukrainekrieg bei einer ÖVP-Klubklausur. Wehrschütz erklärte, er habe als Experte vorgetragen, und würde ebenso bei Neos, "Grünen, SPÖ oder FPÖ referieren"

Auf Twitter ritt der Sprecher von Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) im August aus, um Wehrschütz in Sachen Videos zu verteidigen.

Klage und Anwaltsbrief

Die Kanzlei von Gabriel Lansky und Gerald Ganzger setzt sich in Marsch, wenn man Milizmajor Wehrschütz nachsagt, er würde, hier moderat formuliert, russlandfreundlich berichten. Ein Grazer Schriftsteller wurde rechtskräftig zu Unterlassung und Widerruf verurteilt, weil er Wehrschütz 2022 auf Twitter (mit Bezügen zum Nationalsozialismus) nachgesagt hatte, dieser sei eine Marionette Putins.

Ein finnischer Blogger - Pekka Kallioniemi - sagte Wehrschütz auf seiner Webseite vatniksoup.com nach der Videopanne russische Propaganda nach und argumentierte anhand von Beispielen. Wehrschütz' Anwalt Gerald Ganzger bestätigte dem STANDARD am Freitag, dass auch der finnische Blogger eine Aufforderung zur Unterlassung der Behauptungen erhielt.

In dem Schreiben verlangt Ganzger konkret die Löschung zweier Vorwürfe der Propaganda. Die "falschen Behauptungen" über Wehrschütz würden desssen Ruf als Journalist und ORF-Korrespondent schädigen und könnten seine Karriere negativ beeinflussen, heißt es in dem Schreiben. Ganzger verweist auf und zitiert die Entscheidung des Grazer Landesgerichts für Zivilrechtssachen gegen den steirischen Schriftsteller, das keine einseitige, sondern ausgewogene Berichterstattung über den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine sah. Kritische Haltung auch gegenüber der Ukraine sei für objektive Berichterstattung notwendig, heißt es in der zitierten Entscheidung.

Ganzger schreibt zudem, der Vorwurf russischer Propaganda gefährde Wehrschütz und sein Team bei der Arbeit in der Ukraine. Er fordert den Blogger auf, die Vorwürfe zu löschen und zu unterlassen. Andernfalls werde er rechtliche Schritte gegen ihn ergreifen. Bisher liege ihm keine Reaktion Kallioniemis vor, erklärt Ganzger auf Anfrage.

Wird Kallionemi nach dem Anwaltsbrief etwas ändern? "Absolut nicht", erklärt er am Freitag auf STANDARD-Anfrage.

Darth Vader und Jungfrau Maria

Wehrschütz beschrieb sich im ORF-Satiretalk Willkommen Österreich 2022 zur Promotion seiner neuen Autobiografie als Mischung aus Bud Spencer, Darth Vader, Bruce Lee und der Jungfrau Maria. Und könnte sich dieses eigene Mischwesen Wehrschütz ein Leben ohne seinen Korrespondentenjob, ohne Auslandseinsätze vorstellen, fragte Christoph Grissemann. "Nein!", rief seine Frau Elisabeth aus dem Publikum dazwischen, bevor der Vater zweier Töchter antworten konnte. (Harald Fidler, 15.9.2023)