Es ist faszinierend zu beobachten, wie Migrantinnen und Migranten ihre neue Heimat kulinarisch beeinflussen. Rumänische Spezialitäten kann man trotz 140.454 rumänischen Mitbürgern hierzulande kaum kosten, die 218.367 Deutschen bringen zwar häufig Speisen an den Tisch, kochen sie aber vergleichsweise selten, und auch die 94.595 Ungarn haben zu keiner Pörkölt-Renaissance oder Langos-Dämmerung beigetragen.

Bei den Syrern ist das anders. Von denen gibt es zwar immer noch nur 70.901, trotzdem aber haben sie in Wien schon viel zur Esskultur beigetragen.(1) Die Qualität von Falafel, Schawarma und Tandoori-Brot in der Stadt hat sich seit dem syrischen Bürgerkrieg drastisch verbessert, und andere Speisen wie Ful Mudammas, kurz Ful, gibt es überhaupt erst seit ihrer Ankunft hier einigermaßen flächendeckend.(2)

Das Kochen von Ful
Komplettes Ful-Frühstück
Foto: Tobias Müller

Ful ist schlicht das arabische Wort für Favabohne (ein Grundnahrungsmittel überall rund ums Mittelmeer), Mudammas heißt wahrscheinlich "in der Asche gegart".(3) Das Gericht gilt in seinen Heimaten als typisches Frühstück und ist so alt und wichtig, dass es für seine Zubereitung einen eigenen Topf gibt, den (das? die?) Damasa oder auch Qidra al-ful. Er ist in etwa birnenförmig und wurde einst über Nacht in glühende Kohlen gesteckt, etwa in jene, die die Hamams in Kairo beheizten – das stellte sicher, dass das Ful pünktlich zum Frühstück fertig war.

Ful wird im gesamten östlichen Mittelmeerraum und bis nach Saudi-Arabien gern gekocht, niemand aber nimmt Ful so ernst wie die Ägypter. Es gilt dort als eine Art Nationalgericht. Während in Syrien meist sehr große Saubohnen verwendet werden (Ful rumi, sagt der "Oxford Companion to Food"), gilt in Ägypten eine kleinere, hellbraun-beige Variante (Ful baladi sa'idi) als die delikateste und beste.

Das Kochen von Ful
Ful-Frühstückssandwich.
Foto: Tobias Müller

Ägyptisches Ful wird deutlich weicher gekocht als bei den Wiener Syrern üblich, bis die Bohnen fast zerfallen; und es wird nicht nur vom Teller gelöffelt, sondern auch gern in Aisch baladi, das ägyptische Brot, gefüllt.

Das Kochen von Ful
Nadim und der kleine Zier-Qidra-al-Ful seiner Mutter. Für vier Portionen Ful hat er allemal gereicht.
Foto: Tobias Müller

Wie bei jedem wirklich wichtigen Essen gibt es so viele Varianten wie Ful-Köchinnen und -Köche, das System ist aber immer ähnlich: Getrocknete Saubohnen – und manchmal etwas rote Linsen – werden erst ordentlich eingeweicht und dann gekocht, bis sie ganz weich sind. Schon im Topf oder nach dem Garen werden die Bohnen dann mit allerlei Aromaten gemischt – Knoblauch, Zwiebel und Kreuzkümmel sind Standard, daneben wird oft mit etwas Tomaten(mark), Karotten oder Chili gewürzt, zu einem groben Brei gestampft, mit Limettensaft und Fett (Olivenöl, Leinsamenöl oder Ghee) gemischt und zusammen mit Brot und diversen Toppings (Kräuter, Salat, hart gekochte Eier, Pickles …) und etwas Tahina serviert. Zum Schluss wird das alles zu einem komplexen, aufregenden, köstlichen, füllenden und spottbilligen Sandwich vereint. Viel besser wird Frühstück nicht.

Ich hatte in den vergangenen Wochen gleich mehrmals das Vergnügen, Falafel und Ful an den diversen syrischen Ständen zu essen, zu meinem Glück in Begleitung von Nadim Amin, halb Ägypter, halb Steirer und außerdem die eine Hälfte von Centrala Vienna. Und während wir doch immer mit den Falafeln zufrieden waren, hat sich Nadim leise über das Ful beschwert. Ich habe ihn daher gebeten, es doch einmal selbst für mich (und mit mir) zuzubereiten. Vergangene Woche hat er sich erbarmt und ist mit dem Qidra al-Ful seiner Mutter bei uns vorbeigekommen.

Wer selber kosten will, wie gut Nadims Essen ist: Er und seine Frau Ola Szwarc sperren bald ihr erstes eigenes Lokal auf, ein Bistro, wie es ihre polnische Oma in Paris bekocht hätte. Ich glaube, das wird die Eröffnung des Jahres, und freue mich schon sehr!

Ful, mehr wie in Ägypten als in Syrien

Die größte Schwierigkeit für den Ful-Koch ist das Besorgen der Zutaten: Gute getrocknete Favabohnen sind bei uns nur schwer zu bekommen und gutes ägyptisches Brot so gut wie gar nicht.

Gehen Sie für die Bohnen am besten in das arabische/syrische Lebensmittelgeschäft Ihres Vertrauens und fragen nach Ful. Rund um den Hannovermarkt gibt es einen schönen Cluster, aber auch am Brunnen- und Viktor-Adler Markt sind einige zu finden. Auch in italienischen Spezialitätengeschäften sind mitunter getrocknete, geschälte Favabohnen zu kaufen – die werden aber eine andere Konsistenz haben als jene mit der Schale und kosten um einiges mehr. In jedem Fall sollten sie, einmal eingeweicht, sich gut vollgesaugt haben und prall, nicht runzelig wirken – sonst sind sie wahrscheinlich schon ein wenig alt.

Das Kochen von Ful
Links frische, kleine Favabohnen, rechts eine große, schon etwas ältere.
Foto: Tobias Müller

Ägyptisches Brot ist etwas dicker und weicher als die sehr dünnen syrischen Fladen, die es in Wien oft zu kaufen gibt. Wir haben trotzdem syrisches verwendet, und es hat sehr gut funktioniert. Legen Sie es vor dem Essen kurz in den heißen Ofen, damit es sich leichter öffnen lässt. Wenn Sie in Wien wohnen: Am Hannovermarkt gibt es eine sehr gute syrische Tandoori-Bäckerei – leicht zu erkennen an der langen Schlange, die stets davorsteht.

Für das Ful brauchen Sie:

Zum Servieren ist super:

Die Bohnen über Nacht in reichlich Wasser einweichen. Am nächsten Tag das Einweichwasser wegschütten, mit frischem Wasser bedecken, gut salzen und zum Köcheln bringen. Sanft köcheln, bis die Bohnen ganz weich sind, mindestens eine Stunde, je nach Bohnengröße und -alter auch länger.

Das Kochen von Ful
Foto: Tobias Müller

Inzwischen den Kreuzkümmel in einer trockenen Pfanne rösten und dann mit dem Knoblauch zu einer Paste mörsern. Den Großteil der weichen Bohnen mit der Paste, dem Öl, Limettensaft und ein wenig Kochwasser in einer Schüssel mit einer Gabel zerdrücken, sodass ein cremiger Brei entsteht. Am besten in mehreren Durchgängen und mit kleinen Mengen arbeiten, um die Konsistenz besser kontrollieren zu können. Zum Schluss noch einige ganze Bohnen untermischen.

Tahina mit etwas Wasser vermischen und gut salzen. Ful mit Gurken-Tomaten-Salat, Tahina-Mischung, hart gekochten Eiern, frischen Kräutern, Pickles oder in Essig eingelegten Zwiebeln servieren. Alles ins Brot füllen und als Sandwich genießen. (Tobias Müller, 17.9.2023)

Das Kochen von Ful
Foto: Tobias Müller

(1) Alle Zahlen von hier: https://www.statistik.at/fileadmin/announcement/2022/07/20220725MigrationIntegration2022.pdf

(2) Am Wiener Brunnenmarkt hat sich mittlerweile ein beachtlicher Cluster an nicht nur syrischen Falafel-, Grill- und Ful-Ständen gebildet. Mein aktueller Favorit ist der relativ neue Falafelstand schräg vis-à-vis vom Bohnenkönig, der mit "arabischem Shawarma" (mit Pommes) wirbt. Das Shawarma ist gut, die Falafel noch besser. Direkt daneben (Richtung Yppenplatz) werden auch sehr gute Spieße über Kohlen gegrillt. Am Hannovermarkt gibt es zwar kein gutes Shawarma mehr (das hier hat leider zugesperrt), dafür ebenfalls einen neuen passablen Falafelstand – in der gleichen Zeile wie das Tandooribrot.

(3) "Fûl is the Arabic word for fava beans, cognate with the Hebrew pûl. Mudammas looks like the passive participle of a verb derived from the noun dims, which means 'ashes' in the Egyptian dialect of Arabic; the sense would be 'cooked over coals'. As we know, the beans are traditionally cooked overnight in a big pot set over coals." Davidson, Alan. The Oxford Companion to Food (Oxford Companions) (S. 333).