Gemeinsam gegen "das System" und gegen "die Eliten": Was haben Herbert Kickls FPÖ und Alice Weidels AfD gemeinsam? Was verbindet diese zwei Parteien, und was bedeutet das für die Demokratie? Die deutsche Ampel sei "eine Politik gegen die eigene Bevölkerung", sagte Weidel bei einem Vortrag in Wien, zu dem sie von der FPÖ eingeladen wurde, und diese Politik würde "gegen die ureigensten Interessen der Deutschen" verstoßen. "Die Agenda des Systems" sei, wie man das Erstarken patriotischer Kräfte verhindern könne, erklärte Kickl und drohte: "Da werden wir uns entsprechend zur Wehr setzen." Der Verfassungsschutz stuft die AfD in Deutschland als rechtsextremistischen Verdachtsfall ein.

Bröckelnde "Brandmauer"

Wie schätzt eine AfD-Expertin diesen Schulterschluss zwischen AfD und der FPÖ ein? Die beiden Parteien seien nicht sehr verschieden, sagt "Spiegel"-Journalistin Ann-Katrin Müller bei Armin Wolf in der "ZiB 2", "wir haben in Deutschland die Besonderheit, dass der Verfassungsschutz sich mit Parteien befasst". Deutschland habe "aus der Geschichte gelernt", es gebe "schon noch das Verständnis", dass eine Partei, "die in großen Teilen rechtsextrem ist, hier nicht an der Macht sein soll". Aber auch in Deutschland bröckle diese "Brandmauer" schon. Es gebe "in doch relativ großen Teilen der CDU" die Bewegung, über eine Zusammenarbeit noch einmal nachzudenken.

Der erste Landesrat und der erste Bürgermeister der AfD seien in jenen Landkreisen gewählt worden, in denen die CDU-Kollegen sagten, dass es diese Abgrenzung nicht geben solle, womit "eben eine gewisse Normalität stattfindet und auch eine Entskandalisierung", so Müller. Das habe der AfD natürlich geholfen.

Eine Partei sei "nicht automatisch normal", nur weil sie von vielen gewählt werde, sagt Müller, "das hätte man dann ja auch über andere Parteien in der deutschen Geschichte sagen können". Ihr Nachsatz: "Ohne jetzt diesen Vergleich aufmachen zu wollen." Die AfD sei und bleibe "eine Partei, die die Demokratie und vor allem das Vertrauen in sie zerstören will, die rassistisch ist, die menschenfeindlich ist". Sie könne die Gründe, die Verunsicherung nachvollziehen, warum Menschen sie wählen, "aber nicht die Schlussfolgerung".

ZIB 2: "Spiegel"-Journalistin zum FPÖ-AfD-Schulterschluss
Ann Katrin Müller, Innenpolitikjournalistin und AfD-Expertin des deutschen Nachrichtenmagazins "Spiegel", kommentiert das Treffen von FPÖ-Parteiobmann Herbert Kickl und AfD-Fraktionsvorsitzende Alice Weidel.
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Nachdenken über Verbote

Aber wie soll man mit Parteien wie der AfD umgehen? Mit Verboten? "Lösungen", die die AfD oder die FPÖ vorschlagen, würden Kriterien wie Menschenfeindlichkeit und Rassismus erfüllen. "Insofern muss man tatsächlich darüber nachdenken, wie mit dieser Partei umzugehen ist", sagt Müller und plädiert dafür zu überlegen, ob man eine solche Partei mit Staatsgeldern unterstützen müsse oder ihr vielleicht die Parteienfinanzierung kappt. Dann könne man über ein Verbot nachdenken.

Aber man müsse den Wählerinnen und Wählern auch erklären, warum diese Partei das Land so weit verändern würde, dass "die wenigsten Wählerinnen und Wähler irgendwas davon" hätten. Sei es nicht ein Versagen der anderen Parteien, aber auch der Medien, wenn sie den Wählerinnen und Wählern nicht klargemacht hätten, wofür die Partei steht?, fragt Armin Wolf. Müller stimmt dem zu, man habe immer gehofft, dass die, die radikale Dinge sagen, das nicht so meinten. "Das haben wir auch schon bei Donald Trump gesehen." Und die AfD brüste sich jetzt damit, dass sie sich "kein bürgerliches Gewand mehr gibt".

Ist die FPÖ eine demokratische Partei?

Wie sieht der deutsch-französische Publizist und Philosoph Michel Friedman diesen Schulterschluss zwischen AfD und FPÖ? "Da haben sich zwei zusammengetan, die auch wirklich zusammenpassen", sagt er in der "ZiB 3". Beide Parteien hätten das gleiche geistige Thema, "nämlich wie können wir die Demokratie zerstören, wie können wir wieder das Reaktionäre einführen". Die EU mit ihren Menschenrechte und ihrem Humanismus stehe auf "wackeligen Füßen", sagt Friedman und erwähnt Le Pen, Meloni, Orbán, Kaczyński.

ZIB 3: Publizist Friedman zur FPÖ-AfD-Annäherung
Der Publizist und Philosoph Michel Friedman über den Schulterschluss von FPÖ und AfD sowie dem generellen rechten Aufwind in Europa.
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Ob es zu weit gefasst sei, die FPÖ als antidemokratisch zu bezeichnen? Dass die FPÖ demokratisch gewählt werde, mache sie noch nicht zu einer demokratischen Partei, sagt auch Friedman. "Wer bereit ist, Minderheiten sündenbocktheoretisch in die Öffentlichkeit der politischen Debatte zu ziehen, und gegen Gruppen hetzt", stehe nicht auf der Grundlage der Menschenrechte. Und Friedman fragt: "Kann eine Partei, die diskriminierend über Menschen redet, demokratisch sein?" Seine Antwort: "Ich glaube, nein." Jetzt sei die Zeit, in der Demokratinnen und Demokraten in den öffentlichen Raum gehen und leidenschaftlich für die Demokratie kämpfen müssten.

Die FPÖ sei deshalb so erfolgreich, weil die ÖVP mit ihr koaliert habe, das mache die FPÖ hoffähig, so Friedman. In Deutschland kann er sich die AfD derzeit nicht in einer Bundesregierung vorstellen. Die demokratischen Parteien müssten sich also entscheiden, dass die FPÖ nicht in einer Regierung sein dürfe. "Wenn man sich anders entscheidet, dann wird man zum Steigbügelhalter einer extremistischen Partei." Die ÖVP, aber auch andere stünden hier in der Verantwortung. Sagen Sie nicht, Sie wurden nicht gewarnt.

Update: FPÖ-Mediensprecher Christian Hafenecker sieht mit der ORF-Berichterstattung über Weidels Besuch in Wien "eine rote Linie überschritten". "Die Aufgabe eines öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist eine neutrale Berichterstattung. Wenn nun Journalisten mit dem ORF-eigenen 'Experten-Gütesiegel' ausgezeichnet werden, damit sie dann locker und flockig über FPÖ und AfD herziehen, ist das unredlicher Journalismus und zugleich ein leicht durchschaubares Manöver", so Hafenecker in einer Aussendung. (Astrid Ebenführer, 20.9.2023)