Langsam nur kommt die ukrainische Sommeroffensive voran. Sie ist nicht gescheitert, sie hat aber die erwarteten oder auch erhofften Ziele bislang nicht erreicht. Angestrebt war die Eroberung der Stadt Melitopol in der Region Saporischschja und vielleicht sogar ein Vorstoß an die Küste des Asowschen Meeres. Die von Russland besetzten Gebiete wären dadurch in zwei Teile aufgespalten worden. Dazu wird es dieses Jahr wohl nicht mehr kommen.

Beobachter nehmen an, dass bei einem solchen mäßigen Verlauf der Offensive der Druck aus einigen westlichen Staaten auf die ukrainische Führung zunehmen könnte, sich doch auf Verhandlungen über eine Waffenruhe einzulassen. Zu rechnen ist aber nicht damit, dass dies im Globalen Westen mehrheitlich so gesehen wird. Vielmehr dürfte dieser durch die Lieferung von neuen Waffen und mehr Munition eine neuerliche ukrainische Offensive im Frühjahr 2024 unterstützen. Dazu zählen die F-16-Kampfflugzeuge, die von Norwegen, Dänemark und den Niederlanden geliefert werden sollen, wie auch möglicherweise der deutsche Marschflugkörper Taurus und das US Army Tactical Missile System. Für eine Verhandlungslösung gibt es derzeit keinerlei Perspektive.

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Kaputte Wohngebäude: Kriegsschäden in Charkiw-Saltiwka.
EPA/CATHAL MCNAUGHTON

Beide Kriegsparteien sind davon überzeugt, auf dem Schlachtfeld letztlich erfolgreich zu sein. Russland und die Ukraine erklären sich zwar grundsätzlich für verhandlungsbereit, stellen dafür aber Vorbedingungen, die für die jeweils andere Seite nicht annehmbar sind. Russland fordert von der Ukraine die "Anerkennung der neuen Realitäten". Das bedeutet, dass die ukrainische Führung die von Russland teilweise besetzten ukrainischen Regionen Donezk, Luhansk, Cherson und Saporischschja als Territorium Russlands anerkennen müsse; und zwar nicht nur die besetzten Teile dieser Regionen, sondern in deren vollen Verwaltungsgrenzen.

Die ukrainische Führung, aber auch die große Mehrheit der ukrainischen Bevölkerung ist gegen territoriale Zugeständnisse an Russland. "Land für Frieden" wird als unbrauchbares Konzept abgelehnt.

Nicht mit Putin

Die Ukraine will auf Basis der "Friedensformel" von Präsident Wolodymyr Selenskyj mit der russischen Seite erst verhandeln, wenn alle russischen Truppen das gesamte Territorium der Ukraine verlassen haben, das heißt auch die Krim und die Hafenstadt Sewastopol. Das wäre aber gleichbedeutend mit einer desaströsen Kriegsniederlage Russlands; dazu ist die russische Führung freiwillig aber nicht bereit. Zudem will die Ukraine nach einem Dekret Selenskyjs nicht mit Wladimir Putin verhandeln: "Wir werden mit dem nächsten Führer Russlands sprechen", heißt es aus Kiew.

Die Absage an eine Verhandlungslösung gilt dabei sowohl für eine Waffenruhe als auch für eine Friedensregelung, die nach Ansicht der ukrainischen Führung einen "dauerhaften und gerechten Frieden" bringen soll. Wenn der Krieg also weitergehen wird, stellt sich die Frage, welche Kriegsziele der Westen erreichen will. Offiziell natürlich ist die westliche Position, dass die Ukraine alleine über ihre Kriegsziele entscheiden soll. Hinter den Kulissen ist dem aber nicht so. Das hängt auch damit zusammen, dass der Globale Westen durch die Lieferung von Waffen und Munition mitentscheidet, wozu die Ukraine militärisch befähigt werden soll.

Mehrheitlich stellen sich die Staaten hinter das maximale Ziel der Ukraine, die russischen Truppen vom gesamten völkerrechtlichen Territorium zu vertreiben. Besonders stark ist die Haltung in Osteuropa und im Vereinigten Königreich. Es gibt aber noch Regierungen, die vor diesem maximalen Kriegsziel warnen oder die sich damit zumindest unbehaglich fühlen. Sie fürchten die militärische Eskalation des Krieges, wenn die Ukraine in der Lage und entschlossen wäre, auch die Krim zurückzuerobern – eine horizontale Eskalation, also die Ausdehnung des Krieges auf zusätzliche Staaten, oder eine vertikale Eskalation, das heißt der Einsatz von taktischen Nuklearwaffen durch Russland. Letzteres ist zwar nicht wahrscheinlich, aber es bleibt ein Restrisiko bestehen, das politisch bearbeitet werden muss.

Ein Bluff?

Die Unterstützer der ukrainischen Maximalziele stufen das Risiko einer derartigen Eskalation als gering ein. Die impliziten russischen Drohungen mit Nuklearwaffen wären nur ein Bluff, der Angst in den westlichen Bevölkerungen säen soll. Der Westen dürfe sich nicht selbst abschrecken, das heißt, die Unterstützung der Ukraine aus Furcht vor dem Einsatz russischer Nuklearwaffen begrenzen. Die Regierungen, die dieses Restrisiko nicht ausblenden wollen, argumentieren, dass die Folgen eines Nuklearwaffeneinsatzes in mehrfacher Hinsicht dramatisch wären; daher solle man es nicht darauf ankommen lassen, ob die russischen Drohungen nur ein Bluff sind.

Der Krieg wird also weitergehen. Darüber, wie lange, gibt es keine Einigkeit unter den Militärexperten. Grundsätzlich kann er auf drei Weisen enden: Das erste Szenario wäre die Intervention eines dritten Akteurs, der die Kriegsparteien zur Einstellung der Kämpfe zwingen wird; das ist sehr unwahrscheinlich. Die zweite Option ist ein Siegfrieden durch eine Kriegspartei, die die Verhandlungslösung dann diktiert. Die dritte Option ist die militärische Erschöpfung beider Kriegsparteien; wenn sie keinen militärischen Erfolg mehr erwarten, werden sie sich zu Verhandlungen bereiterklären. Im Krieg in der Ukraine sind wir von allen drei Szenarien noch weit entfernt. (Gerhard Mangott, 21.9.2023)