Der Vesuv bereitet derzeit keine Sorgen – im Gegensatz zu den Phlegräischen Feldern (im Vordergrund).
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Die Erde bebte Mittwochfrüh um 3.35 Uhr. Das Epizentrum des Bebens mit einer Stärke von 4,2 auf der Richterskala befand sich in etwa drei Kilometer Tiefe unter den Phlegräischen Feldern, nur wenige Kilometer westlich von Neapel. Die Erschütterungen waren auch in der süditalienischen Metropole wahrnehmbar: Zahlreiche Menschen rannten mitten in der Nacht erschreckt aus ihren Häusern, Sach- und Personenschäden wurden aber keine gemeldet, teilte der italienische Zivilschutz am Mittwoch mit.

Die Erdstöße könnten Vorboten einer möglicherweise verheerenden Katastrophe sein. Denn unter dem Gebiet mit seinen zahlreichen Thermalquellen, Fumarolen und kleineren und größeren Vulkankratern schlummert ein "Supervulkan".

Schlimmer als Pompeji?

Und in diesem rumort es gewaltig: In den vergangenen Monaten wurden tausende kleinere Erdbeben registriert, etwa 40 pro Tag. Die meisten mögen kaum wahrnehmbar sein, aber sie gelten als Anzeichen für enormen Druck. Das Erdbeben in der Nacht auf Mittwoch war das stärkste seit 39 Jahren.

Eine Eruption dieses Supervulkans wäre um ein Vielfaches zerstörerischer als der Ausbruch des östlich von Neapel gelegenen Vesuvs im Jahr 79 nach Christus, bei dem Pompeji und Herculaneum unter einer meterdicken Ascheschicht begraben wurden. Allein auf den rund 120 Quadratkilometern der Phlegräischen Felder leben circa 500.000 Menschen. Zählt man den Großraum Neapel dazu, kommt man auf rund drei Millionen von einem Ausbruch des Supervulkans direkt betroffene Personen.

Eine Eruption dieser Größe hätte Folgen, die weit über das unmittelbare Einzugsgebiet hinausgehen: Bei einem Ausbruch vor rund 40.000 Jahren wurde eine derart große Menge an Asche in die Atmosphäre geschleudert, dass das Klima weltweit massiv beeinflusst wurde.

Der steigende Druck im Innern des neapolitanischen Supervulkans hat bereits dazu geführt, dass sich die Erdoberfläche bei den Phlegräischen Feldern seit dem Jahr 2006 um einen Meter angehoben hat; die Geschwindigkeit dieses Prozesses hat sich in den vergangenen Jahren sogar verdoppelt. Derzeit hebt sich die Oberfläche um rund 15 Millimeter pro Monat.

"Die gute Nachricht ist, dass wir keine Anzeichen für ein Ansteigen des Magmas haben: Der erhöhte Druck, und damit die Erdbeben, sind auf erhöhte Flüssigkeitsmengen und aufsteigendes Gas im Untergrund zurückzuführen", betont Giuseppe Mastrolorenzo, leitender Vulkanologe am italienischen Nationalen Institut für Geophysik und Vulkanologie (INGV).

Die schlechte Nachricht sei hingegen, "dass wir nicht genau wissen, was in diesem komplexen System, das der Vulkankessel der Phlegräischen Felder darstellt, genau passieren wird". Es sei nicht möglich, einen allfälligen Ausbruch exakt vorherzusagen.

Schlafender Riese

In einer jüngsten Studie haben Forscherinnen und Forscher vom University College London und dem INGV den Supervulkan erneut untersucht. Die – nicht sehr beruhigende – Schlussfolgerung: Die Erdkruste der Phlegräischen Felder wurde schwächer und anfälliger für Risse, wodurch ein Ausbruch wahrscheinlicher werde.

Andererseits betonen die Forschenden, dass das nicht heißen müsse, dass eine Eruption unausweichlich sei: Dass sich die Oberfläche im Laufe der Jahrtausende hebt und senkt, entspricht laut den Vulkanologen einem bekannten Zyklus. Man könne sich den Supervulkan als Brustkorb eines schlafenden Riesen vorstellen: Beim Einatmen dehne er sich aus, beim Ausatmen verliere er an Volumen. In diesem Zyklus könne es auch zu vergleichsweise kleinen Eruptionen kommen, wie zur "abgebrochenen Eruption" von 1538, der bisher letzten.

"Die Phlegräischen Felder könnten auch wieder in eine neue Routine des sanften Auf- und Abschwellens übergehen, wie sie bei ähnlichen Vulkanen auf der ganzen Welt zu beobachten ist, oder einfach zur Ruhe kommen", betont der Co-Autor der Studie, Stefano Carlino. Wichtig sei, dass man auf alle Eventualitäten vorbereitet sei.

Doch genau das sei eben nicht der Fall, betont Carlinos INGV-Kollege Mastrolorenzo. Er warnt seit langem, dass die Evakuierungspläne für die hunderttausenden Menschen völlig ungenügend seien. Seine Kritik: Die Notfallpläne würden auf einem Szenario basieren, bei dem mit einer Vorwarnzeit von 72 Stunden gerechnet werde. "Das ist sehr optimistisch. Genauso wahrscheinlich ist eine Eruption, die plötzlich und unerwartet kommt. Wir müssen ein Szenario entwickeln, bei dem wir die Menschen bei bereits laufender Eruption noch evakuieren können", betont der Vulkanologe. Das sei bei den heute bestehenden Fluchtwegen ausgeschlossen. (Dominik Straub aus Rom, 28.9.2023)