Eine Ansammlung rosafarbene Röhrenwürmer in der Tiefsee.
Röhrenwürmer am Ostpazifischen Rücken in 2.500 Metern Tiefe. Auch in einem Höhlensystem in hydrothermalen Schloten siedeln sich Tiere an.
ROV SuBastian / Schmidt Ocean Institute

Die Meere gelten zu Recht noch als großes Mysterium. Nur schätzungsweise fünf Prozent der Tiefsee sind erforscht. Daher heißt es oft, man wisse weniger über sie als über andere Planeten und Galaxien, obgleich diese viel weiter entfernt liegen. Als Tiefsee gilt alles, was mindestens 200 Meter unter der Wasseroberfläche liegt, der tiefste Punkt befindet sich im Marianengraben, der bis zu elf Kilometer tief ist. Ebenfalls im Pazifik stieß ein Forschungsteam nun auf ein bislang unbekanntes Ökosystem. Es liegt unterhalb von hydrothermalen Schloten. Aus ihnen strömt heißes Wasser, das durch unterirdisches Magma erhitzt wird.

Durch die extremen Temperaturen handelt es sich um eine relativ unwirtliche, aber dennoch nicht unbelebte Gegend. Spezialisierte Lebewesen wie bestimmte Archaeen, die zu den Mikroorganismen gehören, fühlen sich dort wohl. Ein besonderes Ökosystem versteckt sich offenbar auch unter der Oberfläche der hydrothermalen Schlote: Dort spürte eine internationale Expedition unter der Leitung der Meeresbiologin Monika Bright von der Universität Wien ein Höhlensystem auf, das bisher noch unentdeckt war.

Aus einer schwarzen Platte ragen weißliche organische Strukturen hervor
So sieht eine auf den Kopf gestellte Gesteinskrustenprobe aus. Durch Risse in der Kruste dürften sich beispielsweise Oasisia- und Riftia-Röhrenwürmer ins Innere der Schlote ausbreiten.
Mónika Naranjo-Shepherd / Schmidt Ocean Institute

Schnecken, Bakterien und lange Würmer

Ziel der 30-tägigen Expedition mit dem Forschungsschiff Falkor (too) des US-amerikanischen Schmidt Ocean Institute war ein Unterwasservulkan am Ostpazifischen Rücken vor Zentralamerika auf dem Pazifischen Feuerring. Monika Bright und Sabine Gollner vom Königlich Niederländischen Institut für Meeresforschung zeigte sich bei den Unterwassererkundungen in 2.500 Meter Tiefe ein bemerkenswerter Lebensraum. In Hohlräumen im Gestein unter Hydrothermalquellen lebt eine Vielzahl von Würmern, Schnecken und Bakterien, die in der sonnenlichtfreien Tiefe statt per Fotosynthese durch Chemosynthese Energie gewinnen.

Das blau-weiß lackierte Forschungsschiff Falkor (too) auf dem Ozean.
Das Forschungsteam war auf dem Schiff Falkor (too) unterwegs.
Mónika Naranjo-Shepherd / Schmidt Ocean Institute

Sie müssen nicht einmal an eine extrem heiße Umgebung angepasst sein, denn im Höhlensystem hat es für sie angenehme 25 Grad Celsius – im Gegensatz zum üblicherweise kalten Tiefseegrund, wo es (wie auch am Boden anderer Gewässer) durch die Dichteanomalie des Wassers wenige Grad über null hat. Die Entdeckung dieses speziellen Ökosystems kam nicht nur für Monika Bright sehr überraschend. Man wisse aber noch nichts über die Dimension des unterirdischen Höhlensystems, in dem sich etwa auch Röhrenwürmer (Riftia pachyptila) mit einer Länge von bis zu 50 Zentimetern tummeln.

Die Röhrenwürmer zählen zu den am besten untersuchten Tieren der Hydrothermalquellen. Auch der Vulkan selbst sei bereits seit 30 Jahren ein gut untersuchtes Objekt der Forschung, da es hier durch ein relativ schnelles Auseinanderdriften der zwei tektonischen Platten zu regelmäßiger vulkanischer Aktivität kommt, sagt Bright. Fauna wie auch Mikroben in dem östlichen Bereich des Pazifischen Rückens seien sehr gut bekannt und aufgearbeitet.

Zwischen den Systemen wandern

"Wir haben aber erstmals entdeckt, dass unter dem basaltischen Vulkangestein ein ganzes System von Höhlen existiert, das von einer Vielzahl von Tieren – Arten, wie sie auch oberhalb des Basalts an den hydrothermalen Schloten vorkommen – besiedelt ist." Es gebe also zwei dynamische Lebensräume in den Quellen. Bestimmte Tiere wie Würmer und Schnecken könnten durch die Risse auch von einem System ins andere wandern. Röhrenwürmer besiedeln den Lebensraum über Larven, die mit dem Meerwasser ins Erdinnere vordringen.

Am Meeresboden befestigte Boxen
Die am Meeresboden befestigten Boxen ermöglichten dem Forschungsteam, die Artenvielfalt zu erforschen.
ROV SuBastian / Schmidt Ocean Institute

Hydrothermalquellen entstehen an Rissen in der Erdkruste, die sich durch tektonische Aktivität gebildet haben. Der Unterwasserroboter ROV SuBastian des Schmidt Ocean Institute ging der internationalen Crew zur Hand. Mit seiner Hilfe wurden Boxen über Risse der Vulkankruste geklebt und die Ränder abgedichtet. Als die Boxen nach einigen Tagen entfernt wurden und der Teil des Gesteins, auf dem sich die Boxen befanden, aufgestemmt und umgedreht wurde, habe sich eine hohe Anzahl bereits ausgewachsener Tiere gezeigt, hieß es in einer Aussendung der Universität Wien.

Schnell etabliert

Entsteht eine neue hydrothermale Quelle, kann sich solch ein Ökosystem schnell etablieren, da Tiere das Gebiet rasch besiedeln können. Die gewonnenen Beobachtungen liefern Hinweise, wie dieser Besiedelungsprozess ablaufen könnte. Die Auswertung der erhobenen Daten erfolgt in den kommenden Monaten. "Wir haben genetisches Probenmaterial gesammelt, um über das Leben in diesem neuen unterirdischen Lebensraum wie auch oberhalb des Basalts mehr zu erfahren, um zum Beispiel durch Gen-Sequenzierung die genaue Anzahl unter den Bakterien, Pilzen und weiteren Lebensformen zu beziffern", sagt Bright.

Eine Frau in grauem Oberteil mit Brille auf dem Kopf - die Meeresbiologin Monika Bright - blickt durch ein Mikroskop in einen hell erleuchteten Behälter
Meeresbiologin Monika Bright betrachtet Röhrenwurmlarven, die nur wenige Millimeter lang sind und sich in das Gesteinslabyrinth vorwagen.
Monika Naranjo / Schmidt Ocean Institute Mónika Naranjo-Shepherd / Schmidt Ocean Institute

"Diese wirklich bemerkenswerte Entdeckung eines neuen Ökosystems, das sich unter einem anderen Ökosystem verbirgt, ist ein neuer Beweis dafür, dass Leben an unglaublichen Orten existiert", teilte Jyotika Virmani, Geschäftsführerin des Schmidt Ocean Institute, mit. "An Land wissen wir seit langem von Tieren, die in unterirdischen Höhlen leben, und im Ozean von Tieren, die in Sand und Schlamm leben, aber zum ersten Mal haben Forschende nach Tieren unter Hydrothermalquellen gesucht." (APA, red, 9.8.2023)