In Bildungsdebatten wird in Österreich traditionell meist reflexartig auf das skandinavische Idealbild verwiesen. Seit etlichen Jahren halten etwa die finnischen und schwedischen Schulsysteme her, wenn es darum geht, die Trägheit, Ungerechtigkeit oder Rückständigkeit an den heimischen Bildungsstätten anzumahnen. Nicht zuletzt die hervorragenden Pisa-Ergebnisse im hohen Norden würden zweifelsfrei aufzeigen, worin jedwede Abweichung vom dortigen Weg münden müsse.

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Österreichs Bildungsministerium will die Digitalisierung der Schulen vorantreiben. Ein guter Plan?
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Vor diesem Hintergrund mag es fast verwundern, wie die Ankündigung einer fundamentalen Änderung im schwedischen Bildungsbereich hierzulande nahezu unbeachtet blieb. Bildungsministerin Lotta Edholm verlautbarte nämlich jüngst, bei der Digitalisierung an Schulen einen Schritt zurück zu machen. Man wolle wieder verstärkt auf analoge Lehrmittel setzen und die Bildschirmzeit der Kinder und Jugendlichen maßgeblich reduzieren.

Kein Zweifel

In Österreich hingegen – dieser Eindruck drängt sich förmlich auf – scheint die Digitalisierung des Unterrichts über jeden Zweifel erhaben. Immer mehr Kinder werden mit Endgeräten ausgestattet – von der fünften Schulstufe weg bis hin zu den Abschlussjahrgängen. Sogar in einigen Volksschulen hat das Tablet als Unterrichtsmittel bereits Eingang gefunden. Versprochen wird sich davon einiges: Das Lernen ließe sich mittels Computern spielerisch arrangieren, die Lernenden würden fortwährend ihre Digitalkompetenz stärken und darüber hinaus über all das Wissen verfügen, das Suchmaschinen und künstliche Intelligenzen bereitstellen.

Die Schule der Zukunft, so das scheinbar zugrundeliegende Credo, habe ein digitales Fundament. Ähnlich euphorische Vorstellungen dürften wohl auch in Schweden eine Rolle gespielt haben, als man dort 2017 die "Nationale Digitalisierungsstrategie" für beinahe alle Bildungsebenen etablierte. Keine sechs Jahre später allerdings sieht die Sache anders aus: Eine Stellungnahme des renommierten Karolinska-Instituts, das damit betraut wurde, die Digitalisierungsmaßnahmen zu evaluieren, zeichnet ein ernüchterndes Bild. Der Bericht zeigt auf, dass die erhofften positiven Effekte durch empirische Daten nicht zu stützen seien.

Vielmehr zeige die Forschung Gegenteiliges: Der Wissenserwerb würde durch den Computereinsatz in jungen Jahren behindert, und die Schülerinnen und Schüler seien durch die gesteigerte Bildschirmzeit einem erhöhten Risiko für negative psychische und körperliche Folgeerscheinungen ausgesetzt. Die schwedische Bildungsministerin bringt die kritische Stellungnahme auf den Punkt, wenn sie von "großen Nachteilen" spricht, die Kindern zuteilwürden, die vorwiegend mit dem Bildschirm lernen.

Nur Technik?

Die hohen digital-romantischen Erwartungen, so ließe sich zusammenfassen, sind in Schweden am Kriterium der Praxis gescheitert. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang vor allem, dass die beschriebenen empirischen Erkenntnisse nicht erst in den letzten Jahren in Schweden gewonnen wurden, sondern vieles davon bereits lange darüber hinaus bekannt ist. Nicht das fehlende Wissen ist das Problem, sondern die Ignoranz ebendieses.

Im Norden ist nun eine Kehrtwende die Folge. Im Vorschul- und Grundschulbereich etwa werde man künftig wieder vermehrt auf das gedruckte Buch anstatt auf sein digitales Pendant setzen. Auch die handschriftliche Heft- und Mappenführung wird wieder forciert. Nicht zuletzt soll auch die Rolle der Lehrperson in Lernprozessen wieder gestärkt werden – als Gegenmodell zur suchmaschinenbasierten Informationsgewinnung.

Vor dem Hintergrund der Entwicklungen in Schweden ließe sich auch in Österreich die Frage nach den Zukunftsplänen bei der Digitalisierung neu stellen. Die Sinnhaftigkeit des eingeschlagenen Weges, der vorsieht, langfristig alle Kinder ab zehn Jahren mit Laptops oder Tablets auszustatten, erscheint nun im besten Falle zweifelhaft. Die Technik vermag das Erhoffte nicht zu leisten. Schwedens Erfahrungen könnten vorbildgebend sein, auch bei uns auf eine deutliche Reduzierung der Bildschirmzeit im Unterricht zu setzen und damit der empirischen Evidenz endlich Rechnung zu tragen. (Georg Platzer, 29.9.2023)