Erziehungswissenschafter Karl Heinz Gruber kritisiert in seinem Gastkommentar, wie Österreich versucht, den Mangel an Lehrkräfte auszugleichen. Er schlägt auch Anpassungen beim Lehramtsstudium vor.

Bunte Illustration mit Schülern, Lehrer, Schultischen, Gemäuer, dahinter blickt Minister Polaschek hervor.
In Österreich fehlt es an Lehrkräften.
Illustration: Fatih Aydogdu

Der Begriff "Quereinsteiger" ist auf dem besten Wege, zum "Unwort" des Jahres 2023 zu werden. Er steht nämlich nicht bloß für den Versuch, den gegenwärtigen gravierenden Mangel an Lehrerinnen und Lehrern durch Personen mit "ähnlichen" akademischen Ausbildungen zu beheben. Er ist zugleich Ausdruck einer alarmierenden Geringschätzung des Lehrberufs, eines weitreichenden bildungspolitischen Versagens und eines daraus resultierenden systemweiten Unbehagens im Schulwesen.

"Pädagogische Nottaufe"

Vor manchen österreichischen Kindern werden in diesen Tagen Personen stehen, die nach einem Schnellsiedekurs und einer Art "pädagogischer Nottaufe" zu Lehrerinnen und Lehrern erklärt wurden. Welche andere Berufsgruppe würde sich diese Geringschätzung ihrer professionellen QualitätsStandards gefallen lassen? Es ist erstaunlich, wie gelassen sowohl die Lehrerschaft als auch die Elternschaft auf den Umstand reagiert, dass ihre Kinder von diesen Greenhorns etwa zur Matura geführt werden sollen. Bei der Qualifikation für den Lehrberuf scheint neuerdings die Umkehr der traditionellen Frage der Wurstverkäuferin zu gelten: "Darf’s ein bisschen weniger sein?"

Bildungsminister Martin Polaschek beteuert immer wieder, der Lehrpersonalmangel sei nicht vorhersehbar gewesen. Einmal davon abgesehen, dass die Statistik Austria und die Lehrergewerkschaft seit langem auf die drohende Pensionierungswelle in der Lehrerschaft hingewiesen haben: Am 16. 9. 2003 stellte die OECD, der bildungspolitische Thinktank der hochentwickelten Länder, eine Warnung vor dem Lehrermangel auf seine Homepage: "OECD Report Warns of Growing Risk of Teacher Shortages in OECD Countries". Ja, Sie haben recht gelesen: 2003, vor fast genau 20 Jahren! Viele Länder haben aus dieser Warnung vorsorgliche Konsequenzen gezogen, die deutschsprachigen Länder Österreich, Deutschland und Schweiz, die sich nach wie vor für "Bildungsnationen" und daher als erhaben über internationale Expertise halten, jedoch nicht – und bezahlen nun den Preis dafür.

Zusätzliche Option

Quereinsteigen, also die Möglichkeit, nach Jahren anderer beruflicher Erfahrungen in den Lehrberuf umzusteigen, gibt es seit der Warnung der OECD in vielen Ländern als zusätzliche Option zur regulären Lehrerbildung. Allerdings nicht als Schnellschuss wie zurzeit in Österreich, sondern nach sorgfältigen subjektiven Erwägungen, professioneller Beratung, angemessenen Ausbildungsprogrammen vor Berufsbeginn und berufsbegleitender Weiterbildung.

Dass in Österreich nunmehr Feuer am (Schul-)Dach ist und die Bildungsdirektionen froh sein müssen, vor manche Klassen irgendjemanden Lehrerähnlichen stellen zu können, hat auch mit der 2015 erfolgten "LehrerInnenbildung NEU" zu tun. Dass das "neu" in allen offiziellen Dokumenten mit Großbuchstaben (wie "Persil NEU" oder "Nivea NEU") geschrieben wird, dürfte, wie der Mangel an studentischem Nachwuchs zeigt, wenig zur Attraktivität der reformierten Ausbildung beigetragen haben, denn diese ist nicht besonders neu, sondern länger, bürokratischer und komplizierter geworden.

Bachelor, dann Lehramt

Das Lehramtsstudium ist wie bisher als Begleitstudium konzipiert und in einen achtsemestrigen Bachelor- und einen viersemestrigen Masterabschnitt gegliedert; Letzterer kann unmittelbar an den Bachelor anschließend oder innerhalb von fünf Jahren berufsbegleitend erworben werden. Die Schwächen dieses Modells sind offensichtlich. Die Entscheidung für den Lehrberuf muss bereits zu Studienbeginn mit 18 oder 19 Jahren getroffen werden, wodurch jede Menge Studierende, die noch "unsicher" sind, verlorengehen, und die Doppelbelastung von Berufsanfang und Masterstudium ist schwierig zu meistern. Zudem erweist sich die Erwartung, dass das universitäre Fachstudium didaktisch durchdrungen ist von der zukünftigen schulischen Vermittlung, angesichts der unterschiedlichen Logiken, nach denen Hochschullehrende und die Schulpraxis ticken, vielfach ein frommer Wunsch.

Mit großer Wahrscheinlichkeit wäre es klüger und tatsächlich NEU gewesen, sich für das "consecutive model" zu entscheiden, bei dem die Studierenden sich erst nach einem Bachelor-Fachstudium für das Lehramt entscheiden und sodann ein kompaktes pädagogisch-theoretisches und schulpraktisches Jahr absolvieren. Wenn sie gewiss oder "vielleicht" Lehrerin oder Lehrer werden wollen, können sie in ihrem Bachelor-Studienprogramm im Wahlfachbereich pädagogische Lehrveranstaltungen absolvieren, die später anrechenbar wären. Der große Vorteil dieser Studienorganisation ist, dass sich die Studierenden erst mit etwa 22 Jahren für das Lehramt entscheiden müssen: menschlich reifer und selbstbewusster, in Kenntnis anderer Studien und Lebensentwürfe und möglicherweise mit Erfahrungen aus relevanten Teilzeitjobs.

Taugliches Modell

Es ist nun davon die Rede, dass das Ministerium aus Anlass der gegenwärtigen Malaise eine Reform und Kürzung der Lehrerinnen- und Lehrerausbildung beabsichtigt. Die Tauglichkeit des "consecutive model", bei dem auf ein vierjähriges Bachelor-Fachstudium ein Lehrerbildungsjahr folgt, ergänzt durch professionelles Mentoring in den ersten Berufsjahren, sollte ernsthaft geprüft werden.

Nur so nebenbei: Welche (sicher nicht billige) Agentur hat dem Ministerium geraten, das Portal, bei dem sich Interessierte für den Quereinstieg anmelden können, "Get your Teacher" zu benennen? Das soll vermutlich Englisch sein und modern klingen, aber was in aller Welt bedeutet es? (Karl Heinz Gruber, 10.9.2023)