Waldbrand
Waldbrände wie dieser auf Teneriffa im August 2023 sind aktuell keine Ausnahme, sondern die Regel.
IMAGO/ABACAPRESS

"Die Welt brennt und ertrinkt vor unseren Augen." So drastisch wandte sich UN-Generalsekretär António Guterres bei der alljährlich stattfindenden Weltklimakonferenz letzten November an die Regierungen der Welt und an die globale Öffentlichkeit – also an uns.

Wir sind es, die uns fragen müssen, wen die Auswirkungen der Klimakrise eigentlich betreffen: Es handelt sich dabei eher um Menschen, die von Hochwasser und Trockenheit unmittelbarer betroffen sind, die weniger geschützt sind vor Hitze, die sich teurer werdende Lebensmittel aufgrund des Klimawandels weniger leisten können.

Klimakiller Kurzstreckenflüge

Und wir müssen uns fragen, welche Gruppen für den Klimawandel und die damit einhergehenden Desaster vor allem verantwortlich sind: Es sind beispielsweise die Nutzer und Nutzerinnen von kleinen Privatjets und Flugtaxis, die durchschnittlich 50-mal mehr Treibhausgase ausstoßen als bei Nutzung des Zuges. Das Absurde: Über die Hälfte dieser Flüge erfolgt über eine Distanz von weniger als 500 Kilometern, und auf den meisten Strecken gäbe es Hochgeschwindigkeitszüge als Alternative.

Die Klimakrise hat also viel mit Ungleichheit zu tun – und mit den diese Ungleichheit verursachenden und stützenden gesellschaftlichen und globalen Machtverhältnissen. Laut einer Ende September 2022 in der Zeitschrift Nature erschienenen Studie von Lucas Chancel emittieren seit 1990 die unteren 50 Prozent der Weltbevölkerung (gemessen an Einkommen und Vermögen) 16 Prozent der globalen Emissionen, das oberste eine Prozent verursacht hingegen 23 Prozent der globalen Emissionen.

Destruktive Raserei

Die Klimakrise ist zwar eine globale Herausforderung, sie wurde allerdings nicht von "der Menschheit" verursacht, sondern insbesondere von einer kleinen Minderheit, die nicht nur auf Kosten anderer und der Natur lebt, sondern mit ihren Investitionsentscheidungen auch die Zukunft bestimmt. Aktuell ist sie nicht bereit, an den bestehenden Verhältnissen etwas zu ändern. Laut Internationaler Energieagentur wurden im Jahr 2022 über 850 Milliarden US-Dollar in die Produktion fossiler Brennstoffe investiert, um damit Gewinne zu machen und Vermögen zu vergrößern (und Staatskassen zu füllen). Das ist mehr als das Doppelte der Investitionen in erneuerbare Energien.

Zahlen müssen (fast) alle, profitiert haben wenige. In diesem Zusammenhang offenbart sich nicht nur der Wahnsinn unserer destruktiven Raserei, sondern auch die Illusion einer Entkopplung von Verbrauch und Wachstum einerseits und Energie- und Ressourcenverbrauch sowie ökologischer Zerstörung andererseits.

Getragen wird diese fortwährende Realität von einer Art kapitalistischer Realutopie, die weiterhin sehr wirkmächtig ist: die imperiale Lebensweise, die zulasten der Natur und international des Globalen Südens geht. Diese herrschaftliche und zerstörerische Realutopie wird von breiten Schichten der Bevölkerung hierzulande im Großen und Ganzen akzeptiert und ganz praktisch gelebt. Das macht es so schwierig, auf einen anderen, nachhaltigen Pfad umzuschwenken. Trotz multipler Krise, trotz der sich vertiefenden Klimakatastrophe. Wie kommen wir aus dieser machtvoll abgesicherten "Normalität" heraus? Eine emanzipatorische Realutopie wäre die solidarische Lebensweise.

Allmählich dämmert vielen die Notwendigkeit einer Transformation, nicht zuletzt wegen der Erfahrungen der letzten Jahre, des Starkregens und der Dürreperioden, des Wassermangels und der Überflutungen. Die wissenschaftlichen Studien des Weltklimarats IPCC zeichnen noch besorgniserregendere Szenarien, und die öffentliche Debatte kreist um die Widersprüche der angebotenen Lösungen. Etwa beim Umstieg auf E-Automobilität – woher sollen die Kupfer- und Lithiumressourcen oder der Strom kommen? Ebenso verdichten sich die Widersprüche der imperialen Lebensweise in den oft wütenden Reaktionen auf die Proteste der Bewegungen für Klimagerechtigkeit. Unter dem Strich bleibt eine Erkenntnis, an der kein Weg vorbeiführt: Die jetzigen Ressourcen- und Energieinputs müssten dramatisch reduziert werden – in zwei Jahrzehnten nicht um 20 Prozent, sondern eher auf 20 Prozent!

Es wird spürbar ungemütlich, denn die ökologisch stabilen Bedingungen des Holozäns verändern sich drastisch. Die enormen Herausforderungen werden die existierenden Verteilungskämpfe verschärfen, weswegen es jetzt darum geht, diese nicht zynisch hinzunehmen (im Namen ethikbefreiter Slogans wie "nationales Interesse"), sondern zu verstehen und zu verändern.

Dazu einige Überlegungen: Momentan geistert die Vision eines "grünen Kapitalismus" als Teil einer öko-kapitalistischen Modernisierung durch die Köpfe und Strategiepapiere der Herrschenden. Dies ist die bevorzugte Reaktion von Politik und Wirtschaft auf die ökologische Krise. Technologische Neuerung – ja, aber entlang der eigenen, eingefleischten Interessen. Ein Europäischer Green Deal, ein Wiederaufbau-Paket der Europäischen Union, ein im März 2023 vorgelegter Entwurf für eine "EU-Strategie für kritische Rohstoffe", nach dem Motto "Her mit den Ressourcen für unseren Wohlstand!", der bei einigermaßen klarem Kopf nur als neokolonial bezeichnet werden kann.

Rettung in überflutetem Gebiet
Das Sturmtief Daniel sorgte im September 2023 für schwere Überflutungen unter anderem in Griechenland.
EPA/ACHILLEAS CHIRAS

Zerstörte Lebensgrundlage

Der zentrale Gedanke versucht sich an der Quadratur des Kreises: grünes Wachstum und fortwährende Wettbewerbsfähigkeit! Keine Abstriche bei Wachstum und Profit, aber ohne die Lebensgrundlagen weiter zu zerstören. "Grüne Ökonomie" bedeutet oft "Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass". Eine "passive Revolution" ganz im Sinne Antonio Gramscis, bei dem die Mächtigen zwar Veränderungen unter dem Druck der Krise einleiten, aber vor allem im Sinne ihrer Interessen und Machtposition. Doch werden solche Reförmchen, wie mit zunehmender Intensität klar wird, nicht reichen! Mit anderen Worten: Die Tiefe des notwendigen sozio-ökologische Umbaus wird noch nicht verstanden – oder sogar aktiv ausgeblendet.

Die Hauptfrage einer sozial-ökologischen Transformation sollte nicht lauten "Wie werden wir (erneuerbare) Energie gewinnen?", sondern vielmehr: "Wie können wir die imperiale Lebensweise überwinden", die immer auch eine Produktionsweise ist?

Eine große Aufgabe, weil bestimmte Vorstellungen von "gutem Leben" und gesellschaftlicher Entwicklung mental tief verankert sind, eng verknüpft mit dem Interesse, die eigene Herrschaft und Dominanz zu erhalten, wenn nötig mit offener Gewalt. Das offenbart sich an den täglichen Praktiken hierzulande, an unserem Habitus (verinnerlichtes, ja verkörperlichtes Anspruchsdenken, Beharren auf Privilegien, materialistische Prioritäten u. a.). Entscheidend ist nicht das oft beschworene Umweltbewusstsein, sondern die Konsumpraxis, die im Alltag oft nicht reflektiert wird, und die politisch-ökonomischen Rahmenbedingungen.

Jenseits von Profit

Verantwortungsvoller Konsum ist wichtig, aber keine generelle Lösung – schon gar nicht, wenn damit die Verantwortung für die ökologische Krise von den Herrschenden auf die Individuen abgewälzt wird. Ein zweiter Aspekt: Oft werden Technologien und "Effizienzrevolutionen" als Alternativen gepriesen. Technologien sind wichtig, aber ihnen sind Machtverhältnisse und Naturausbeutung eingeschrieben. Wir benötigen ein ganz anderes Verständnis von Technologien.

Entscheidend ist aber: Wir müssen Bedingungen für ein gutes und auskömmliches Leben gesellschaftlich schaffen und verinnerlichen, damit das Leben nicht auf Kosten anderer Menschen sowie der Natur geht. Und das kann nicht gelingen, ohne unser Wirtschafts- und Gesellschaftssystems und damit auch unsere Lebensweise grundlegend infrage zu stellen, auf der Suche nach einer Existenz jenseits von Profit. Und selbstverständlich muss auch die Eigentumsfrage angesprochen werden, zum einen, um den Schutz von Gemeingütern von der Wachstumsdynamik zu befreien, zum anderen, um die wachsende Ungleichheit und die politische Ausnutzung ökonomischer Macht zu beenden. Letztlich geht es bei den ökologischen Kämpfen auch um eine Demokratisierung der Wirtschaft.

Das wird nicht gelingen, wenn wir nicht die offizielle Politik in die Pflicht nehmen, unter Druck setzen. Aber: Der Staat ist meist gegen Nachhaltigkeit, weil er allenfalls im Korridor öko-kapitalistischer Modernisierung verharrt, grundsätzlich nicht bereitund vielleicht auch nicht in der Lage ist –, seine Strukturen zu verändern und die gesellschaftlichen Machtverhältnisse anzugreifen.

Ansätze für Nichtorte

Die Utopie ist bekanntlich ein Nichtort und somit der Entwurf einer möglichen, zukünftigen, noch überwiegend fiktiven Lebensform oder Gesellschaftsordnung, die nicht an gegenwärtige Rahmenbedingungen gebunden ist. Es gibt aber viele Ansätze, die sich in der Idee der solidarischen Lebensweise bündeln lassen.

Beispiele für Alternativen – Räume für eine solidarische Produktions- und Lebensweise – gibt es viele, etwa das Prinzip der Sorge-Wirtschaft, bei der sozial-ökologische Infrastrukturen zur Daseinsvorsorge bereitgestellt werden. Es gibt viele Vorschläge und Initiativen betreffskonkreter Veränderungen in den Bereichen Ernährung und Wasser, Mobilität und Transport, Wohnen, urbaner Raum etc.

Es geht dabei nicht um "Verzicht" oder Schrumpfen (wie oft geunkt wird), sondern um einen selektiven Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft. In Lateinamerika wird seit einiger Zeit heftig über "Buen Vivir", das gute Leben, debattiert, inklusive eines Wegkommens von der Extraktionswirtschaft, die den Kontinent seit Jahrhunderten in die Mangel nimmt. Dabei werden indigene oder andere Lebensentwürfe keineswegs romantisiert, es wird aber zugelassen, dass andere Erfahrungen und Sichtweisen zu Wort kommen, darunter solche, die weniger kapitalistisch subjektiviert sind.

Es gibt dynamische Widerstände gegen das dominante Entwicklungsmodell, das sich derzeit auch verändert, allerdings nicht zum Guten! Denn das Projekt einer kapitalistischen Modernisierung wird vielerorts von autoritär-progressiven Regierungen vorangetrieben.

Buen Vivir

Buen Vivir bedeutet, bestimmte althergebrachte Lebensweisen zu verteidigen, wo nötig Alternativen zu entwickeln und sowohl die innergesellschaftlichen als auch die internationalen Bedingungen zu ändern. Der Horizont des Buen Vivir trennt nicht scharf zwischen gesellschaftlichen, individuellen und spirituellen Bedürfnissen, ein rundum erfülltes gemeinsamen Leben anzustreben. Ein wichtiger Aspekt sind auch die Naturrechte, die in Ecuador zum ersten Mal weltweit Verfassungsrang erhielten. Das geht mit Konflikten mit herrschenden Interessen einher. Am 20. August haben in einem historischen Referendum fast 60 Prozent der Wahlberechtigtenin Ecuador dafür gestimmt, das Öl in der Kernzone des Yasuní-Gebiets im Boden zu lassen. Damit bleibt eines der an Biodiversität reichsten Gebiete der Welt intakt. Zu hoffen ist nun, dass sich die Regierung an die Entscheidung hält.

Der Bruch mit bisherigen Entwicklungsmodellen liegt auch darin, dass dem häufig geäußerten Diktum – "der Süden muss doch wachsen dürfen" – widersprochen wird. Es sollen nicht nur die patriarchalen, rassistischen und Klassenverhältnisse überwunden und für eine sozial und ökologisch verträgliche Neuregulierung des Weltmarktes gekämpft werden, sondern auch eine solidarische Ökonomie basierend auf einem anderen Naturverständnis entwickelt werden, um den kapitalistischen Wachstumszwang zurückzudrängen. Das ist die Bedingung für ein gutes Leben für alle!

Ulrich Brand
Ulrich Brand, geboren 1967, ist Professor für Internationale Politik an der Universität Wien und prägte zusammen mit Markus Wissen den Begriff der "imperialen Lebensweise".
privat

Willensbildung von vielen

Viele der Vorschläge für systemische Alternativen fordern entweder neue Strukturen oder einen Bewusstseinswandel. Dabei lassen sich beide Facetten miteinander verbinden. Denn zentral ist der Mensch, zentral sind wir! Nicht in einem voluntaristischen Sinn, nicht als nettes Zusammenkommen am Mittwochabend, sondern als eine Willensbildung von vielen.

Dabei stehen wir vor einer großen Herausforderung in "postpolitischen" Zeiten: Die Menschen müssen die Transformation auch wollen! Das ist neben den genannten Bedingungen für ein gutes Leben auch eine Frage der politischen Bildung, aber auch des Wunsches nach einem auskömmlichen und sinnerfüllten Leben. Wir brauchen politische Subjekte, die nicht nur utopisch träumen, sondern ihre Utopien in den praktischen Arbeits- und Lebensalltag hineintragen. Und die sich trauen, sich für eine bessere Zukunft zu organisieren. (Ulrich Brand, 29.9.2023)