Mutter und Tochter
Der autoritäre Erziehungsstil hat ausgedient. Eltern erziehen ihre Kinder heute lieber bedürfnisorientiert.
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Es war ein Montagmorgen, die Nacht davor war kurz. Das Baby plagten die Zähne. Ich hatte gerade einmal drei Stunden Schlaf, nun stand ich in der Küche und rührte Porridge. Meine Brustwarzen schmerzten vom Stillen; die Augen, der Schädel, alles tat weh. Mein Mann musste früher ins Büro, irgendein Termin. "Ich schaffe das schon", habe ich ihm versichert. Sein Blick war besorgt. Zu Recht. Ich habe es nämlich nicht geschafft.

Voll versagt

Dabei lief gar nicht einmal viel schief, es war eher eine Kleinigkeit. Ich habe meine beiden Kinder gefüttert, gewickelt, angezogen, dann wollte ich den Großen in den Kindergarten bringen. Nur hatte der keine Lust. Er hockte sich auf den Boden und saß dort, als wäre er ein Zementpflock: "Ich will noch was essen!" Ein Blick auf die Küchenuhr: Es war bereits kurz vor halb neun, zu spät für "noch was essen". Ich merkte, wie der Stress und Grant in mir kumulierten, trotzdem versuchte ich es mit Erklärung: "Schau, du hattest eine Stunde Zeit fürs Frühstück, jetzt müssen wir los, sonst kommen wir zu spät." Der Zementblock ignorierte mich. Das zweite Kind im Tragetuch fing an zu weinen – der finale Funken an meiner nervlichen Zündschnur: Ich explodierte. Wieso muss ich diskutieren? Schon wieder? Immer wieder? Ein Brüller: "Wenn du jetzt nicht sofort kommst, nehme ich dir das neue Lego weg!"

Das Kind sprang auf, weinte und verschwand in der Garderobe. Die Wenn-dann-Erpressung, das letzte Mittel verzweifelter Eltern, funktioniert immer. Unter Schluchzen zog der Große die Schuhe an, setzte sich den Fahrradhelm auf und trottete traurig zur Tür. Ich hatte es geschafft. Ich hatte mich durchgesetzt. Wie eine Gewinnerin fühlte ich mich aber nicht. Im Gegenteil: Ich fühlte mich mies. Ich habe es nicht hingekriegt, ruhig zu bleiben.

Dieses depressive Gefühl blieb den gesamten Tag über an mir kleben. Da konnte das Baby noch so süß lächeln, ich war gedanklich nur beim Streit am Morgen.

Nur nicht schimpfen

Ich wollte immer eine einfühlsame, verständnisvolle, sanfte Mama sein. Die ihr Kind empathisch und geduldig durch alle Gefühlslagen begleitet. Was ist aus mir geworden? Ich nörgle, ich schimpfe, ich verliere die Nerven. Ich bin die Mutter geworden, die ich nie sein wollte. Wie konnte das passieren?

Schon während meiner Schwangerschaft wusste Social Media, wie anfällig ich für Erziehungsratschläge bin. Der Algorithmus spülte mir synchron zu Schwangerschaft, Geburt, Stillzeit passende Beiträge in den Feed. "Schimpfen tut meiner Seele weh!", stand auf einem der Feed-Bilder, darauf ein kleiner Junge, der traurig zu Boden schaut. Zack, schlechtes Gewissen. Ich inhalierte die Ratschläge von bekannten Erziehungsexperten wie Jesper Juul oder dem Kinderarzt Herbert Renz-Polster in der Hoffnung, die Mutter meines Ideals zu werden. "Bedürfnisorientiert statt autoritär" erzieht man sein Kind heute nämlich, wenn man das Beste für es will. Und das wollte ich. Genau wie viele andere junge Mütter heute.

Die bindungs- und bedürfnisorientierte Erziehung wurde in den 80er- und 90er-Jahren vom amerikanischen Kinderarzt William Sears und seiner Frau Martha geprägt. Das Prinzip des "attachment parenting" besteht aus mehreren Empfehlungen, deren Befolgung ausgeglichene, glückliche und bindungsfähige Kinder verspricht. Kurz zusammengefasst: Lass dein Kind niemals schreien, trage es nah am Körper, lass es im Familienbett schlafen, stille es so lange und so oft es will.

Eigene Bedürfnisse

Und auch später sollten Eltern stets die Bedürfnisse des Kindes im Blick haben. Etwa dann, wenn es in der Autonomiephase ist, sich vor Wut auf den Boden schmeißt und ständig verweigert. Auf keinen Fall sollten Mama und Papa dann schimpfen, schreien oder drohen. Denn für das Kind sei der Wutanfall genauso schlimm.

Ich weiß das alles. Ich habe die Bücher gelesen: Mama, nicht schreien, Kindheit ohne Strafen, Die Schimpf-Diät. Ich finde Strafen auch blöd. Ich bin überzeugt, dass sanfte Erziehungsmethoden zu einer besseren Gesellschaft führen. Jeder Mensch hat es verdient, dass seine Gefühle ernst genommen werden. Jeder hat es verdient, dass jemand da ist, der tröstet, wenn es einem schlecht geht. Besonders Kinder, die auf diese Empathie und Liebe angewiesen sind. Nur: Irgendwo zwischen Familienbett und Wutanfall sind meine eigenen Bedürfnisse liegengeblieben. Während ich noch immer versuchte, als Mutter alles richtig zu machen, hatte ich damit angefangen, alles falsch zu machen. Heraus kam eine Mama, die immer öfter explodierte.

Müsliriegel statt Porridge

Denn bedürfnisorientierte Erziehung heißt nicht, dass nur die Wünsche und Bedürfnisse des Kindes zählen. Und schon gar nicht heißt es, dass man als Eltern, vor allem als Mama, ständig über seine Grenzen geht, sich hinten anstellt. Wer das macht, läuft Gefahr, völlig auszubrennen.

Eltern-Burnout ist ein Thema. Das hat jetzt wieder eine Studie der Johannes-Kepler-Universität Linz gezeigt. Demnach erhöht Elternschaft deutlich die Wahrscheinlichkeit, Antidepressiva verschrieben zu bekommen – besonders für Mütter. Schuld daran ist sicher nicht die bedürfnisorientierte Erziehung. Schuld sind die Rahmenbedingungen, die eine bedürfnisorientierte Erziehung so verdammt schwierig machen. Oder wie es die Journalistin Ana Wetherall-Grujić in ihrem Buchtitel auf den Punkt bringt: Das Baby ist nicht das verdammte Problem. Der Druck auf Müttern, alles richtig zu machen, ist das Problem – ein Optimierungsdruck, dem auch ich zu stark nachgegeben habe.

Nach fünf Jahren Familienleben mache ich heute vieles anders. Ich habe verstanden, dass bedürfnisorientierte Erziehung nicht ohne Selbstfürsorge geht. Oder anders: Es klappt nur, wenn ich als Mutter gut auf mich selbst aufpasse. Ich treffe oft Entscheidungen, die meine Kinder frustrieren. Ich setze Grenzen. Ganz viele. Ich gehe abends aus und drücke den Kindern morgens auch einmal Müsliriegel in die Hand, statt Porridge zu kochen.

Weil es leichter geht und Konflikte vermeidet. Weil es okay ist, wenn man es sich als arbeitende Mutter leichtmacht. Denn eines habe ich gelernt: Eine ausgebrannte Mutter ist keine gute Mutter. (Nadja Kupsa, 30.9.2023)