ORF-Journalist Christian Wehrschütz bei den Österreichischen Medientagen 2022
Sorgt für Diskussionen im Vorstand von Reporter ohne Grenzen Österreich: Christian Wehrschütz, vertreten von Gabriel Lanskys Rechtsanwaltskanzlei.
APA Florian Wieser

ORF-Korrespondent Christian Wehrschütz spaltet den Vorstand der Pressefreiheitsorganisation Reporter ohne Grenzen (ROG) Österreich: Rechtsanwalt Gabriel Lansky, seit vielen Jahren Vorstandsmitglied der NGO, hat sein Mandat nach STANDARD-Informationen Montagabend zurückgelegt. Lansky vermisste Aktivitäten von Reporter ohne Grenzen, als die Ukraine versuchte, Christian Wehrschütz als ORF-Berichterstatter im Land loszuwerden. Andere Vorstandsmitglieder warfen Lansky daraufhin vor, er habe nicht darüber aufgeklärt, dass seine Anwaltskanzlei Lansky, Ganzger, Goeth und Partner den ORF-Korrespondenten vertritt. Update: Reporter ohne Grenzen erklärt den Rücktritt mit dem Interessenskonflikt.

"Nicht gewillt, Aufgabe wahrzunehmen"

ROG habe zu den Versuchen der Ukraine, Wehrschütz loszuwerden, "nicht ansatzweise Stellung genommen, ja nicht einmal versucht, den Sachverhalt zu erheben". Lansky beobachtete vielmehr "Strategien, die eine Stellungnahme verhindern sollten", erklärt er auf STANDARD-Anfrage. Eine wichtige Pressefreiheitsorganisation wie Reporter ohne Grenzen müsse Stellung beziehen, wenn ein Land bestimmen wolle, wer über dieses berichten kann.

Der Verein habe in Sachen Wehrschütz gezeigt, dass Reporter ohne Grenzen Österreich "nicht gewillt ist, seine Aufgabe im Interesse der Meinungsäußerungsfreiheit tatsächlich auch wahrzunehmen", erklärt Lansky in einer Stellungnahme zu seinem Austritt: "Ich habe kein Verständnis für diese Art und Weise des Umgangs mit grundlegenden Fragen der Meinungsäußerungsfreiheit."

Christian Wehrschütz sollte "aufgrund massiver Interventionen der ukrainischen Botschaft in Wien beim ORF aus seiner Arbeit als Kriegsberichterstatter abgezogen werden", schreibt Lansky in seiner Stellungnahme: "Seine Berichterstattung entspricht offensichtlich nicht den Vorstellungen der Ukraine und soll daher unter Anwendung kommunikativer Mittel, auch mit dem Wunsch der Verhinderung einer Stellungnahme von ROG, entsprechend unterminiert werden. Ich halte es für vollkommen irrelevant, wie einzelne Kollegen im Vorstand Christian Wehrschütz politisch sehen. Die im Vorstand immer wieder geäußerten, ebenfalls irrelevanten Aspekte, was Wehrschütz in seiner Jugend veröffentlicht hatte (auch das ist bekanntlich überhaupt nicht meine Sicht der Welt), sollte für die Beurteilung unserer jetzt vorliegenden Frage keine Bedeutung haben."

Der Anwalt Lansky weiter: "Hier übt ein Land auf einen zweifellos engagierten Kriegsberichterstatter Druck aus und ist im Begriff, seine Interessen auf einseitige Berichterstattung durchzusetzen. Und dabei geht es, wie gesagt, nicht um die Frage, wer Recht hat oder welcher Narrativ zu bevorzugen ist. Es reicht alleine die Tatsache, dass hier die Medienfreiheit in bedenklicher Form eingeschränkt wird."

"Reporter ohne Grenzen wird stets bei Bedrohungen der Pressefreiheit aktiv werden", erklärt dazu Präsident Hausjell: "Es gibt aber komplexere Fälle, die einen längeren Entscheidungsprozess haben." Man habe über den Fall Wehrschütz gesprochen. Der ORF-Journalist könne aber weiterhin aus der Ukraine berichten, also habe man bisher nicht Stellung genommen. "Selbstverständlich" werde ROG an dem Fall "dranbleiben" und sich "zu einem geeigneten Zeitpunkt" zu Wort melden, erklärt Hausjell.

Interessenkonflikt

Update: Reporter-ohne-Grenzen-Österreich-Präsident Hausjell dankt dem renommierten Anwalt Dr. Gabriel Lansky für sein jahrelanges Engagement für Pressefreiheit und freie Meinungsäußerung in einer Stellungnahme: "Eine weitere Zusammenarbeit scheitert an einem tatsächlichen Interessenskonflikt: Die beruflichen Interessen einer Anwaltskanzlei, die unter anderem Mandantinnen und Mandanten auch bei Klagen gegen Journalisten und Journalistinnen vertritt (und sich zurecht auf das anwaltschaftliche Berufsgeheimnis beruft) kollidiert gelegentlich mit den Interessen einer zivilgesellschaftlichen Organisation, die sich dem Kampf gegen jegliche Form der Einschränkung von Presse- und Meinungsäußerungsfreiheit verschrieben hat. Dieser fallweise auftretende Conflict of Interests ist selbst durch Verhaltensregeln kaum lösbar. Nach intensiver Debatte entschied sich Gabriel Lansky daher zu dem für beide Seiten schmerzhaften Schritt."

Vorstandsmitglieder von Reporter ohne Grenzen hätten ihm auf seine interne Kritik hin vorgeworfen, er habe nicht darauf hingewiesen, dass seine Kanzlei Wehrschütz vertritt. Lansky erklärt dazu: "Faktum ist, dass ich weder einen Antrag in Richtung einer ROG-Stellungnahme zu Wehrschütz gestellt hatte noch an einen Beschluss über diese Causa beteiligt gewesen war (den gab es ja auch bei uns im Vorstand nicht). Ich hatte auch keinerlei Funktion bei der Aufarbeitung des Sachverhaltes, zumal ja keine einzige Maßnahme im Vorstand beschlossen wurde, die eine solche auch nur ermöglicht hätte. Ich habe in der Sitzung auch dargestellt, dass ich, wenn ich in irgendeiner Art und Weise mit dem Fall im Vorstand beschäftigt gewesen wäre, selbstverständlich vor einer derartigen Beschlussfassung darauf hingewiesen hätte und mich auch möglicherweise einer Mitbeschlussfassung enthalten hätte. Nicht weil wir als Kanzlei in der Causa Wehrschütz/Ukraine irgendein Mandat hätten, das haben wir nicht. Sondern weil unsere Kanzlei Christian Wehrschütz in zwei Fällen vertreten hat – die wir gewonnen haben – und ich gefunden hätte, dass ich bei einer Beschlussfassung in einer solchen Sache besser nicht mitwirken sollte."

"Organisation wie ROG darf dazu nicht schweigen"

Warum war Anwalt Lansky Mitglied im Vorstand von Reporter ohne Grenzen? "Die Freiheit der Meinungsäußerung ist eines meiner zentralen Lebensthemen", sagt Lansky auf STANDARD-Anfrage. Er sei einer von "nicht so vielen Anwälten" in Österreich, die mehrfach in Sachen Meinungsfreiheit Causen vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gebracht hätten, die auch in Grundsatzurteilen mündeten.

Er habe in rund vier Jahrzehnten "in zahllosen Fällen vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu Art 10 Menschenrechtskonvention Seite an Seite mit Medienunternehmen und Journalisten gekämpft, immer wieder sehr erfolgreich", heißt es in Lanskys Stellungnahme: "Genau deswegen war ich auch bei Reporter ohne Grenzen und bin auch davon überzeugt, dass ich zur Meinungsäußerungsfreiheit auf der Welt beitragen kann. Wenn einem österreichischem Journalisten die Lizenz zur Berichterstattung aus dem Kriegsgebiet von einem Land, von dem aus er berichtet, gerade dabei ist, entzogen zu werden, so bin ich überzeugt, dass eine Organisation wie ROG nicht schweigen darf, auch wenn nicht alle Vorstände sämtliche Aspekte der jeweiligen Berichterstattung teilen mögen." Lansky wirft dem Vorstand von Reporter ohne Grenzen Österreich vor, er arbeite "nicht im Interesse des Vereinszweckes".

Der Präsident von Reporter ohne Grenzen, Medienwissenschafter Fritz Hausjell, wurde vom STANDARD kontaktiert, wir ergänzen seine Stellungnahme bei Vorliegen.

Klagen von Wehrschütz-Anwalt

Lanskys Kanzlei-Partner Gerald Ganzger klagte 2022 in Wehrschütz' Auftrag einen Grazer Schriftsteller, der dem ORF-Korrespondenten unter anderem mit NS-Symbolen auf X (damals: Twitter) vorgeworfen hatte, Wehrschütz verbreite russische Propaganda und er sei eine Marionette Wladimir Putins. Der Grazer Schriftsteller wurde rechtskräftig zu Unterlassung und Widerruf verurteilt.

Ein finnischer Blogger – Pekka Kallioniemi – sagte Wehrschütz auf seiner Webseite vatniksoup.com russische Propaganda nach und argumentierte anhand von Beispielen, als in einem "ZiB"-Beitrag von Wehrschütz zwei Videos aus der Ukraine in falschem Zusammenhang gezeigt wurden. Von Wehrschütz' Anwalt Ganzger erhielt der finnische Blogger eine Aufforderung zur Unterlassung der Behauptungen mit Androhung von rechtlichen Schritten.

In dem Schreiben verlangte Ganzger die Löschung zweier Vorwürfe der Propaganda. Die "falschen Behauptungen" über Wehrschütz würden dessen Ruf als Journalisten und ORF-Korrespondenten schädigen und könnten seine Karriere negativ beeinflussen, heißt es in dem Schreiben. Ganzger verweist auf und zitiert die Entscheidung des Grazer Landesgerichts für Zivilrechtssachen gegen den steirischen Schriftsteller, das keine einseitige, sondern ausgewogene Berichterstattung über den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine sah. Kritische Haltung auch gegenüber der Ukraine sei für objektive Berichterstattung notwendig, heißt es in der zitierten Entscheidung. Ganzger schreibt zudem, der Vorwurf russischer Propaganda gefährde Wehrschütz und sein Team bei der Arbeit in der Ukraine. Er fordert den Blogger auf, die Vorwürfe zu löschen und zu unterlassen. Andernfalls werde er rechtliche Schritte gegen ihn ergreifen. Der Blogger erklärte zuletzt gegenüber dem STANDARD, er werde den Eintrag nicht ändern. (fid, 3.10.2023)