Phlegräische Felder, Supervulkan, Pozzuoli, Eruption, Erdbeben
Unter Pozzuoli nahe Neapel rumort es gewaltig. Manche sehen in der steigenden Erdbebenaktivität Hinweise auf eine Eruption der Phlegräischen Felder.
Foto: AFP/ALBERTO PIZZOLI

Weltweit kennt man weniger als zwei Dutzend sogenannte Supervulkane. Im Unterschied zu anderen Vulkanarten errichten sie keinen Kegel, sondern hinterlassen nach einem Ausbruch große Calderen, Zonen, wo das Gestein wegesprengt wurde oder eingebrochen ist. Ihre Sprengkraft verdanken sie gewaltigen Magmablasen unter der Erdoberfläche, die sich langsam mit Gas anreichern. Dabei steigt der Druck wie in einem Schnellkochtopf. Beim Ausbruch eines Supervulkans können auf einen Schlag mehrere Tausend Kubikkilometer Lava und Gestein ausgeschleudert werden. Der bekannteste Supervulkan liegt im Yellowstone-Nationalpark im US-Bundesstaat Wyoming.

Ein weiterer, der es zuletzt zu wachsender Prominenz gebracht hat, liegt direkt vor unserer Haustür: Die Phlegräischen Felder erstrecken sich rund 20 Kilometer westlich des Vesuv, also nahe der Millionenstadt Neapel, und zeichnen sich durch eine Vielzahl vulkanischer Aktivitäten aus wie etwa Solfataren, Thermalquellen und Fumarolen. Dass es unter der Erde rumort, ist man dort gewohnt, doch in den vergangenen Monaten mehren sich Hinweise darauf, dass etwas Größeres im Gange sein könnte.

Viele Schwarmbeben

Vor allem in den letzten Wochen nahm die Erdbebenaktivität merklich zu. Zuletzt hat am Montagabend ein Beben der Stärke 4,0 die Region um Neapel erschüttert, sein Epizentrum lag bei Pozzuoli in einer Tiefe von drei Kilometern. Am Mittwoch folgten weitere, das stärkste davon erreichte 2,6. Begleitet werden diese größeren Erdstöße von dutzenden geringeren Erdbeben in kurzen zeitlichen Abständen, viele davon kaum wahrnehmbar. Die Fachleute sprechen von "Erdbeben-Schwärmen".

Allein in der Woche vom 25. September bis zum 1. Oktober wurden laut dem Vesuv-Observatorium des Nationalen Instituts für Geophysik und Vulkanologie (INGV) auf dem Gebiet der Campi Flegrei 270 Erdbeben registriert. Dass etwas vor sich geht, zeigen auch andere Indizien: Seit Jänner dieses Jahres hat sich der Boden in der Region mit einer durchschnittlichen Geschwindigkeit von 15 Millimetern pro Monat gehoben, zuletzt nahm das Hebungstempo zu. Insgesamt beträgt die Bodenhebung auf den Phlegräischen Felder seit Jänner 2022 etwa 25,5 Zentimeter, seit 2016 sind es rund 80 Zentimeter.

Das Video des Vesuv-Observatoriums aus dem Jahr 2011 zeigt die Simulation einer Plinianischen Eruption der Phlegräischen Felder, ähnlich der Agnano-Monte-Spina-Eruption, die sich hier vor rund 4.100 Jahren ereignet hat. In rot sind Zonen mit Temperaturen von 100 Grad Celsius dargestellt, rötliche-gelbe Bereiche sind über 350 Grad Celsius heiß.
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Gefährliche Erschütterungen

Dass all dies Anzeichen für einen bevorstehenden Ausbruch sind, bezweifeln die Fachleute allerdings. Auch wenn die Intensität der Beben offenbar zunehme, eindeutige Anzeichen dafür, dass Magma zur Oberfläche aufsteigt, gäbe es nicht, meinte etwa der Vulkanologe Roberto Isaia vom INGV. Die aktuelle seismische Aktivität führen er und seinen Kolleginnen und Kollegen auf aufsteigende Gase zurück, die den Boden in der Tiefe verformen und Verwerfungen aufbrechen lassen.

Man könne jedoch "nicht die Möglichkeit ausschließen, dass sich kleine Mengen Magma in mehreren Kilometern Tiefe bewegen", ergänzt er. Dass es zu einem tatsächlichen "Superausbruch" mit überregionalen Auswirkungen kommen könnte, sei unwahrscheinlich, denn dass größere Magmamengen im Spiel seien, habe sich bisher nicht gezeigt.

Giuseppe De Natale, ehemaliger Präsident des Vesuv-Observatoriums, warnte freilich vor den Beben selbst, die man nicht unterschätzen dürfe. Die anhaltenden Erschütterungen mit womöglich zunehmender Stärke würden die Gebäude der Region auf eine harte Probe stellen. Besonders jene Bauten im Umkreis von eineinhalb Kilometer um das Solfatara-Agnano-Gebiet würden sich in Gefahr befinden, so der Vulkanforscher.

Phlegräische Felder, Solfataren, Supervulkan, Pozzuoli, Eruption, Erdbeben
Rauch steigt aus dem Boden der Phlegräischen Felder auf. Diese sogenannten Solfataren sind in der Region häufig anzutreffen.
Foto: AFP/ALBERTO PIZZOLI

Heben und Senken

Klar sei allerdings auch, dass das Gestein an der Oberfläche dem steigenden Druck tief unter der Erde irgendwann nichts mehr entgegenzusetzen hat. "Derzeit kennen wir leider die Widerstandsgrenze der Gesteine in den ersten drei Kilometern Tiefe nicht, sodass wir keine Ahnung haben, wie hoch die Gefahr einer Eruption tatsächlich ist", sagte Di Natale. Ein britisches Team befürchtete allerdings im vergangenen Juni, dass der Deckel über dem Vulkan bereits brüchig sein könnte.

Dass Magma aus den tieferen Schichten in der Region unter Pozzuoli aufsteigt, ist ein sich wiederholender Vorgang. In der Vergangenheit war dieser Prozess immer wieder für die Hebung des Gebietes verantwortlich. Sobald das Magma wieder absinkt, geht die Ausbeulung an der Erdoberfläche zurück. Die Wissenschafter halten es für wahrscheinlich, dass dies auch nach der aktuellen Aktivitätsperiode wieder geschehen wird.

Rekordhebung

Zuletzt sorgten die Phlegräischen Felder Anfang der 1980er-Jahre für eine deutliche Hebung der Gegend. Der neue Zustand hielt mehrere Monate an und war ebenfalls von zahlreichen Erdbeben begleitet. Ein Unterschied zu damals besteht allerdings: "Heute ist das Bodenniveau so hoch wie nie zuvor in den letzten Jahrhunderten", meint Di Natale.

Phlegräische Felder, Supervulkan, Pozzuoli, Eruption, Erdbeben
Im August zählte das Vesuv-Observatorium insgesamt 1118 Erdbeben in der Region um Pozzuoli.
Grafik: INGV

Für einen echten Ausbruch muss man freilich viel weiter in die Vergangenheit zurückblicken: Die letzte größere Eruption ereignete sich im Jahr 1538. Der Ausbruch hielt acht Tage lang an und brachte einen neuen Berg hervor, den Monte Nuovo. Den heftigsten bekannten Ausbruch der Phlegräischen Felder datieren die Fachleute auf ein Alter von etwa 39.300 Jahren. Bei dieser gewaltigen Eruption wurden gut 500 Kubikkilometer Material ausgestoßen. Immer noch 40 Kubikkilometer waren es bei einem weiteren Großausbruch vor 15.000 Jahren. Die zerstörte Bodenfläche umfasste fast 1.000 Quadratkilometer.

Hoher Druck

Mit einem solchen dramatischen Ereignis rechnen die Expertinnen und Experten zwar derzeit nicht, aber ausschließen können sie einen Ausbruch auch nicht gänzlich, dafür fehlen einfach die nötigen Daten. "Der Innendruck im Boden ist vermutlich so stark wie seit dem letzten Vulkanausbruch vor 500 Jahren nicht mehr", warnt Di Natale. Deshalb arbeitet der italienische Zivilschutz bereits an umfangreichen Evakuierungsplänen. Schlimmstenfalls müssten binnen 72 Stunden mindestens 1,3 Millionen Menschen aus dem Großraum Neapel evakuiert werden. Dass eine Vorwarnzeit von drei Tagen realistisch sei, bezweifeln allerdings viele Wissenschafter. (tberg, red, 5.10.2023)