Beate Meinl-Reisinger
Beklagte einen neuen "Tiefpunkt" in der österreichischen Innenpolitik: Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger bei der Pressekonferenz über einen von der ÖVP geplanten U-Ausschuss auch gegen die Grünen.
APA/TOBIAS STEINMAURER

Das Denken in Parzellen hatte in den letzten Tagen Hochsaison. Am deutlichsten zeigte sich das an der patriotischen Überkugelung, mit der ein ungarischer Wissenschafter fast in Attosekunden zum österreichischen Nobelpreisträger nobilitiert wurde, als wäre Nationalität die verlässlichste Grundlage wissenschaftlicher Leistung. Dabei hat Ferenc Krausz seinen vielleicht engsten Bezug zu Österreich selbst hervorgehoben, als er den emeritierten Professor Arnold Schmidt als seinen Mentor nannte, "er gab mir die Freiheit, die diese Forschungserfolge zuließen". Daran könnten auch die Deutschen nichts ändern, sollten sie ebenfalls auf die Idee kommen, Krausz als einen der Ihren zu beanspruchen.

In einem Land, in dem sich, wie auch in diesen Tagen offenbar wurde, führende Geister mit dem Versenden von E-Mails schwertun, muss man dieses versessene Mitnaschen am wissenschaftlichen Ruhm verstehen. In diesem Fall kam die Rolle der Persönlichkeit in der Geschichte Frau Beate Meinl-Reisinger zu, die in der Mail, die ihrem Parlamentsklub irrtümlich zugegangen war, den Zustand der Koalition erkennen, mit dieser Erkenntnis aber nicht leben wollte, ohne die Öffentlichkeit zu alarmieren. Doch was sie von sich gab, war falscher Alarm.

"Prophylaktische Überlegungen"

Denn glaubhaft wie stets konnte der Mann hinter der Absender-Adresse, ÖVP-Klubobmann August Wöginger, versichern, man habe bloß "prophylaktische Überlegungen" angestellt, wie man einen Untersuchungsausschuss der Opposition konterkarieren könnte. Das war insofern vorausblickend, als die Grünen, die in dem Papier der ÖVP der Opposition zugerechnet wurden, sich möglicherweise bald wieder in einer solchen befinden werden. Da sie sich damit offenbar bereits abgefunden haben, ihren künftigen Zustand aber so lange wie möglich herauszögern wollen, zeigten sie sich ob ihrer prophylaktischen Versetzung aus der Koalition lediglich leicht erstaunt. Es blieb ihnen auch nicht anderes übrig. Andernfalls hätten sie der Auffassung Meinl-Reisingers folgen müssen, die in Wögingers prophylaktischen Überlegungen einen Anlauf zum Missbrauch demokratischer Institutionen sah. Um sich nicht der Beteiligung daran schuldig zu machen, wäre ein Bruch der Koalition wohl fällig gewesen, aber so wichtig ist das auch wieder nicht.

Schon gar nicht, wenn man im angelaufenen Wahlkampf mit einer Koalition, deren Grundcharakter weitgehend in wechselseitiger Blockade bestand, nur wenig glaubwürdig vor die Wählerinnen und Wähler treten kann, wenn sie sich auch noch selber in die Luft sprengt. Seit Kommunikationsexperte Karl McDonald’s Nehammer seine Predigt über den Glauben an Österreich mit einer Wutrede gegen teilzeitarbeitende Österreicher jeglicher Überzeugungskraft beraubt hat, darf man gespannt sein, was diese Koalition noch zustande bringt. Das Informationsfreiheitsgesetz ist zunächst nicht mehr als ein Versprechen ab 2025.

Was hätte es schon vor Jahren in Fällen bringen können, wo es um wirklich existenzielle Fragen der Nation geht, wie beim erschütternden Skandal im Kleingartenverein Breitenlee. Da hätte niemand anonym anzeigen müssen, um einen Blick in die Tiefen eines Wiener Sumpfes werfen zu dürfen. Da wäre alles offengelegt worden, und heikle Fragen nach Grenzen der Legalität wären erst gar nicht aufgetaucht. (Günter Traxler, 5.10.2023)