Richard Niederbacher im Oktober 1986 im Dress von Rapid. "Ich wäre gerne länger geblieben."
Ettl / APA-Archiv / picturedesk.

Der 61-jährige Richard Niederbacher hat die vergangenen Monate genossen. Er hat im Kaffeehaus eines Freundes ausgeholfen, sein Arbeitsplatz war der Lendplatz in Graz. In Zeiten wie diesen herrscht speziell in der Gastronomie Personalknappheit, und Niederbacher ist es gewohnt zu helfen. Also schleppte er Kisten, servierte Getränke, der kleine Gastgarten war sein Revier. "Es war schön, mit Menschen zu reden." Im Dezember ist er noch Trainer in Liezen gewesen, es hat dort nach drei Jahren nicht mehr gepasst. "Ich muss mich wohlfühlen, bin absolut harmoniebedürftig." Ob es der endgültige Abschied von Fußball war, weiß Niederbacher nicht. "In meinem Alter ist es wichtig, gesund zu sein. Es gibt Schlimmeres, als nicht mehr Trainer zu sein."

Die Zeiten, sagt er, hätten sich geändert. "Nicht immer zum Positiven, alles ist kurzlebiger und hysterischer geworden." Einst sei man nach Spielen noch beisammengesessen, habe geplaudert, analysiert, gelacht. "Heute schauen die Spieler in der Kabine sofort aufs Smartphone, egal ob sie gewonnen oder verloren haben." Anderseits dürfe man nicht jammern. "Es ist halt so, man muss es akzeptieren, aber man muss ja nicht selbst mitspielen."

1.400 Schilling brutto

Am 7. Dezember 1961 war die Welt zumindest in Gleisdorf noch in Ordnung, denn an diesem Tag wurde Richard Niederbacher geboren. Der Vater jobbte als Kühlerspengler, ein beinharter Beruf. Und er kickte in Gleisdorf um Gotteslohn. Die Mutter war zunächst daheim, später half sie in einer Trafik aus. Der Opa war Platzwart beim SV Gleisdorf, Richard ist quasi auf dem Fußballplatz aufgewachsen. Er entwickelte sich zum Mittelstürmer, seine Gier nach Toren wuchs und wuchs, er war ein kleiner Nimmersatt, ohne dem Egoismus anheimzufallen. Im Gleisdorfer Wellenbad (wo sonst?) wurde er von einem Scout von Sturm Graz entdeckt, als er fast 15 Jahre alt war, wechselte er in die steirische Landeshauptstadt. 1979 erhielt er seinen ersten Profivertrag. Monatsfixum: 1.400 Schilling brutto. Für Spätgeborene: Das sind fast 102 Euro.

So nebenbei schloss er die Lehre zum Industriekaufmann ab. "Ich war zufrieden. Die Entwicklung ist ein Wahnsinn. Ich bin keinem etwas neidig. Ich habe ja gerne Fußball gespielt." Trainer war der selige Otto Baric. Niederbacher musste Extraschichten einlegen, Rollen über eine Bierbank machen, Co-Trainer flankten, er musste aufstehen, hinsprinten, köpfeln, schießen. "Die anderen saßen gemütlich in der Kabine. Ich empfand es als Strafe, im Nachhinein weiß ich, Baric wollte mir nur helfen. Ich bin ihm ewig dankbar." Für Sturm bestritt er 95 Partien, erzielte 37 Tore.

Die Sinnhaftigkeit

Niederbacher hatte natürlich Vorbilder. Er musste nicht in die Ferne schweifen, internationale Matches wurden kaum übertragen, abgesehen davon war ein Fernseher ein Luxusgut. "Mein Vorbild war Gernot Jurtin, ich durfte später mit ihm bei Sturm spielen." Und dann gab es noch Hans Krankl, den legendären Goleador. "Er war ein Wahnsinn, ich habe oft gegen ihn gespielt." Irgendwann hat Krankl zu Niederbacher gesagt, sollte er etwas brauchen, könne er jederzeit anrufen. "Er hat mir seine Nummer gegeben, und ich habe ihn tatsächlich ein paar Mal angerufen. Wer kann schon mit seinem Vorbild telefonieren?"

Niederbacher hat ein Motto: "Nichts geschieht ohne Grund, alles hat einen Sinn." 1983 begann seine Reise. KSV Waregem in Belgien, Paris Saint-Germain, Stade Reims, Vienna, Rapid, sechs Jahre Waregem, Vorwärts Steyr, FC Linz, Pecsi MFC in Ungarn, in Leoben war 1997 Schluss. Zwischen 1984 und 1988 spielte er viermal fürs Nationalteam. Ob er ein Rastloser war? "Nein, es hat sich so ergeben."

PSG-Heart of Midlothian 4-0
Richard Niederbacher erzielt den Treffer zum 4:0 für PSG gegen Heart of Midlothian in der ersten Runde des Uefa-Cups 1984.
Fausto Rosas

Die Transferrechte an ihm hatte die ISPRO-Agentur von Josef Schulz und Rainer Ellerich, insofern war Niederbacher in einem Abhängigkeitsverhältnis "Aber nichts geschieht ohne Grund." Die Agentur hatte auch Mario Kempes unter Vertrag, 1986 war der Weltmeister Niederbachers Kollege bei der Vienna. "Ein toller Mensch." Im selben Jahr wechselte Niederbacher zu Rapid, es gab ein Wiedersehen mit Trainer Baric. Nach 19 Partien und acht Toren war schon wieder Schluss, Rapid konnte sich den Mittelstürmer nicht leisten. Er darf sich trotzdem Meister und Cupsieger nennen. "Ich wäre gerne länger geblieben."

In Waregem war er dann sehr lange. 191 Einsätze, 82 Treffer. Waregem ist eine Kleinstadt in Flandern, eine Art Gleisdorf von Belgien. "Ich wurde super aufgenommen, meine zweite Heimat, ich kenne jeden Winkel." Niederbacher bereut nichts. "Es überwiegt das Positive, zu 98 Prozent habe ich alles richtig gemacht."

Kein Marktschreier

Die Erfolge als Trainer waren überschaubar, Gleisdorf, Leoben, Gratkorn, Neusiedl, Frannach, Oberwart, Albersdorf, Schlaining und Liezen zählen vermutlich nicht zu den Sehnsuchtsadressen im globalen Fußball. "Vielleicht bin ich zu brav, ich biete mich nicht an, bin kein Marktschreier." Am Freitag schaut er sich im Happel-Stadion das EM-Qualifikationsspiel zwischen Österreich und Belgien an. "Toll, wie sich unsere Mannschaft entwickelt hat."

Richard Niederbacher im Jahr 2023 mit seiner Ehefrau Ines.
privat

Richard Niederbacher geht es also gut. Er lebt in Graz, ist in zweiter Ehe mit Ines glücklich verheiratet, seine 33-jährige Tochter betreibt in Graz eine Physiotherapiepraxis, sein 29-jähriger Sohn arbeitet in der Gastronomie. Manchmal hat er die Sorge, "dass die Welt verblödet. Ich wünsche mir, dass es wieder ein Miteinander gibt." Irgendwann wird er wieder Hans Krankl anrufen. Ohne Grund. (Christian Hackl, 9.10.2023)