Mana Omar ist besorgt. Die 28-Jährige fürchtet, dass die Gemeinden im Magadi-Gebiet, rund zweieinhalb Autostunden südwestlich von Nairobi, schon bald auseinanderbrechen könnten. Diese seien völlig abhängig von Viehhaltung, doch für Kühe, Ziegen und Schafe gebe es aufgrund stetig steigender Dürreperioden nicht mehr genug Wasser. Die Folge: Die Pastoralisten, wie die indigenen Viehhalter dort genannt werden, müssen das Gebiet immer häufiger verlassen. Nur dann können sie die Tiere mit Wasser und Nahrung versorgen, um sie später zu einem besseren Preis verkaufen zu können.

Während die Männer mit den Tieren weite Strecken zurücklegen, bleiben Frauen und Kinder zurück. "Ihre Lebenssituation wird dadurch noch prekärer", sagt Omar. Die studierte Meteorologin ist selbst in einem Dorf im Magadi-Gebiet aufgewachsen. Allein für die tägliche Wasserversorgung müssten die Frauen nicht selten eine Strecke von bis zu sechs Kilometern zurücklegen – zudem sei der Weg gefährlich. Omar berichtet, dass Frauen häufig angegriffen und überfallen werden.

Das Magadi-Gebiet ist keine Ausnahme, in vielen kenianischen Dörfern gibt es keine geregelte Wasserversorgung. Die Menschen sind also auf naheliegende Flüsse und Regenfälle angewiesen. "Die Wasserstellen sind zunehmend ausgetrocknet, die Auswirkungen des Klimawandels bereits deutlich spürbar", sagt Omar.

Ziegen auf ausgetrocknetem, braunem Feld
Die Auswirkungen des Klimawandels setzen den Hirtinnen und Hirten sowie den Tieren in Kenia immer mehr zu.
Der Standard/Alicia Prager

Prekäre Lage

Inwiefern der Klimawandel und dessen Auswirkungen dazu führen, dass Menschen die Entscheidung treffen, ihre Heimat zu verlassen, versuchen Forscherinnen und Forscher unter anderem im Rahmen eines EU-Projekts herauszufinden. Innerhalb von vier Jahren wollen sie beispielsweise soziale Kipppunkte und die Bewohnbarkeit gewisser Regionen ergründen. Die Wissenschafter nähern sich den Fragestellungen aus verschiedenen Perspektiven, etwa aus politischer Sicht oder unter Einbezug der Geschlechterperspektive. Einer von ihnen ist Diogo Andreola Serraglio. Er forscht am Potsdam Institute for Climate Impact Research und will wissen, wie die Menschen die Auswirkungen des Klimawandels auf ihren Lebensunterhalt, die Viehhaltung, wahrnehmen. "Bevor die Menschen auswandern, probieren sie alles andere aus", sagt der Forscher.

In Kenia, Äthiopien, Mali, Ghana und Thailand wurden Gemeinden untersucht, die bereits unter Dürre, Regenmangel oder extremen Temperaturen leiden. Die geführten Interviews werden derzeit ausgewertet, einige Anhaltspunkte hat Serraglio allerdings schon. In Kenia seien die Menschen hauptsächlich von Dürre betroffen, aber auch Überschwemmungen und generell extreme Wetterereignisse beeinträchtigen etwa die Pflanzenproduktion. Dadurch verschlechtern sich die Bedingungen für den Viehbestand, und das führe schlussendlich zu Ernährungsunsicherheit.

Auch im Norden Kenias haben die Menschen mit langanhaltender Dürre zu kämpfen. Schätzungen zufolge mussten rund 300.000 Menschen ihre Heimat verlassen, genaue Zahlen gibt es nicht. Eine derart lange Dürre gäbe es ohne die Erderhitzung nicht, ist sich ein Forscherteam der World Weather Attribution Initiative sicher. Entwicklungsstaaten wie Kenia argumentierten daher bei der Klimakonferenz in Ägypten vergangenes Jahr, dass sie im Vergleich zu Industriestaaten nur wenig zur Erderhitzung beitragen, gleichzeitig aber schon viel stärker von Wetterextremen beeinträchtigt sind, und forderten Schadenersatzzahlungen. Die Industrieländer sollten einen Fonds einrichten, aus dem Entwicklungsländer Klimaschäden und -verluste bezahlen können. Es blieb bisher bei einer vagen Einigung.

Skelett einer Kuh liegt auf Knochen in der Steppe.
Die dreijährige Dürre in Kenias größtem Bundesstaat Marsabit tötete unzählige Ziegen, Kühe und Kamele.
Der Standard/Alicia Prager

Die Lebenssituationen werden daher immer prekärer. Laut Serraglio berichten Eltern in den Interviews, auf Mahlzeiten zu verzichten, um ihre Kinder ernähren zu können. Kinder brechen teilweise die Schule ab und arbeiten in der Landwirtschaft, und immer öfter wandern die sogenannten Haushaltsvorstände in Städte ab, um Geld zu verdienen. Dadurch steigt die Belastung für Frauen. Waren sie zunächst für den Haushalt und die Kinder zuständig, müssen sie nun auch die Landwirtschaft übernehmen und weite Strecken zurücklegen, um Wasser und Feuerholz zu holen.

Bildung und Bäume

Diese Entwicklung will Mana Omar nicht ohne weiteres hinnehmen. Sie hat die NGO Sasal, kurz für Springs of the Arid and Semi-Arid Lands, gegründet und mit anderen Aktivistinnen und Aktivisten einen Plan ausgearbeitet, der in den kommenden fünf Jahren umgesetzt werden soll. Das erklärte Ziel: Die Dörfer in der Region sollen klimaresilient, die Position der Frauen gestärkt und somit das Leben der Viehhalter und ihrer Familien generell verbessert werden.

Laut Plan soll Wissen zum Klimawandel und Maßnahmen vermittelt und beispielsweise während des Baus von Dämmen oder des Pflanzens von Bäumen umgesetzt werden. Zudem sollen Frauen- und Jugendgruppen entstehen, die Frauen ermächtigen, ein emanzipiertes Leben zu führen.

Das erste Dorf soll schon bald nahe einem Fluss gebaut werden, erzählt Omar im Gespräch mit dem STANDARD. 63 Haushalte könnten dorthin übersiedeln. Ihre Idee: In 52 Prozent der Haushalte sind Frauen das Familienoberhaupt und treffen wichtige Entscheidungen, in 48 Prozent übernehmen das Männer. "Wir wollen den Menschen damit zeigen, wie wichtig weibliche Führung ist", sagt die Aktivistin. In den 63 ausgewählten Haushalten sollen 357 Menschen wohnen, 221 davon sind Frauen.

Vom Kuhmist zum Wellblech

Der nächste Schritt sei nun, Manyattas, wie die Häuser im Magadi-Gebiet genannt werden, zu bauen. Deren Form soll zwar erhalten bleiben, die Bauweise aber modernisiert werden. "Derzeit bestehen die Mauern und das Dach aus Kuhmist", erzählt Omar. Künftig sollen Wellbleche zum Einsatz kommen. Es sei der günstigste Ersatz. Feuerholz müssen die Bewohnerinnen künftig auch nicht mehr sammeln, stattdessen sind Solarzellen geplant und somit "Zugang zu sauberem Strom."

Damit die Pastoralisten nicht mehr ausschließlich auf Ziegen und Kühe angewiesen sind, will Omar den Menschen neue Zugänge beibringen. Künftig soll das Weidegras Brachiaria angebaut werden. Es hat hohen Proteingehalt für die Nutztiere und wächst schnell, erklärt Omar. Tendenziell sollen nicht mehr Ziegen im Fokus stehen, stattdessen wird der Anbau von Obst und Gemüse vorangetrieben. Es könne zusätzliches Einkommen generieren und außerdem wichtige Nährstoffe für die Bewohnerinnen und Bewohner liefern. Die Menschen würden sich derzeit von Maismehl, Milch und gelegentlich Fleisch ernähren.

Diverse Vertretung

Auch die Organisation des Dorfes soll anders ablaufen, als die Pastoralisten es bisher kannten. Ein siebenköpfiges Komitee, das die Gemeinde leiten wird, ist laut Omar bereits gegründet. Deren Besonderheit: Frauen, Junge und Menschen mit Behinderung sind ebenfalls vertreten. Dieses Komitee trifft alle Entscheidungen und arbeitet mit der Bezirks- und Landesvertretung zusammen.

Auch Kindern kommt eine besondere Rolle in den neuen Dörfern zu. Sie sollen die Rolle von sogenannten "change agents" einnehmen und dadurch positiven Einfluss auf die Entwicklungen in der Gemeinde haben. Um Kindern Wissen über die Erderhitzung zu vermitteln, hat Omar den "Climate Action Club" in ihrer ehemaligen Schule gegründet. "Kinder sind im Kampf gegen den Klimawandel sehr wichtig", sagt sie. In Zuge des Action Club sollen sie Klimaschutzmaßnahmen kennenlernen und betroffene Gebiete besichtigen, damit sie sich der Auswirkungen bewusst sind. (Julia Beirer, 07.11.2023)