Baby trinkt am Busen seiner Mutter
Noch immer wird darüber gestritten, ob es sich gehört, dass eine Mutter ihr Baby in der Öffentlichkeit stillt.
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Zwei junge Mütter sitzen mir im Café gegenüber. Sie haben ihre Babys dabei. Plötzlich beginnt eines zu weinen. Die ersten Gäste drehen sich um. Ein paar ziehen genervt die Augenbraue hoch. Als die Mama ihre Bluse hochschiebt, um ihr Kind zu füttern, folgen verstörte Blicke.

Uff, ich fühle mich sofort zurückversetzt ins erste Lebensjahr meiner Tochter. Ich kann mich noch so gut an unsere Stillzeit erinnern. Bevor ich selbst ein Kind hatte, dachte ich ja immer, stillen wäre einfach nur schön und liebevoll. Da hatte ich nur die Bilder aus der Werbung im Kopf, wo Mütter im Schaukelstuhl sitzen und beseelt lächeln, während ihr Kind am Busen trinkt.

Was mich tatsächlich erwartete, war alles andere als romantisch: Meine Brust tat höllisch weh, jedes Anlegen war furchtbar, und ich hatte nicht einmal eine Idee, ob ich es richtig machte oder nicht. Nach der Geburt sagte ich der Krankenschwester, dass ich nicht stillen will, dass ich mich mit Flascherlgeben wohler fühle. Sie ignorierte meinen Wunsch. "Je öfter du das Baby anlegst, desto besser wird es", sagte sie.

Anfangs weinte ich nur, wenn ich mein Kind an den Busen legte. Die Schmerzen waren kaum auszuhalten. Am Ende des Tages plärrte ich einfach die ganze Zeit, weil ich mich selten so fremdbestimmt und übergangen gefühlt habe. Mein Kind war keine 72 Stunden auf der Welt, und schon hatte ich in meinen Augen als Mutter versagt.

Stillen hat viele Vorteile

"Genau das erlebe ich in meinem Praxisalltag häufig", sagt Hebamme Christine Ruthofer, die in ihrer Ordination in Wien-Meidling schwangere Frauen und Mütter von Neugeborenen begleitet. "Viele Frauen werden während ihrer Zeit im Krankenhaus beim Stillen nicht ausreichend unterstützt, stillen deshalb häufig ab oder haben einen schlechten Stillstart. Das ist dem riesigen Personalmangel in den Kliniken geschuldet."

Abgestillt habe ich nicht. Ganz im Gegenteil: Nach ein paar Wochen hat das mit dem Stillen sogar ganz gut geklappt. Ich fand es irgendwann sogar richtig schön. Ja, ich konnte das Stillen richtig genießen, weil es auch praktisch ist: keine Flascherln, die man überall hin mitschleppen muss. Kein Pulver, kein heißes und kein kaltes Wasser. Plus, so lehrt es mich die Hebamme: "Muttermilch hat eine besondere Zusammensetzung und enthält lebende Zellen sowie Antikörper, die für das Kind wichtig und förderlich sind. Sie passt sich außerdem immer an die Bedürfnisse der Babys an. Frühchenmilch etwa ist anders zusammengesetzt als für reif geborene Babys. Sie enthält spezielle Wirkstoffe, die das Frühchen vor schweren Erkrankungen schützt." Aber auch ich als Mama profitiere vom Stillen: Das Risiko, später an Herzkrankheiten und Typ-2-Diabetes sowie an Brust-, Eierstock- und Gebärmutterkrebs zu erkranken, wird mit jedem Monat länger stillen gesenkt.

Stillen ist nicht immer das Ideal

Stillen bringt also jede Menge Vorteile mit sich, dennoch ist es wichtig, das Thema differenziert zu diskutieren. "Es gibt mittlerweile unfassbar gute Alternativen für Kinder, die nicht gestillt werden", sagt Ruthofer. "Die Präparate kommen nicht zu 100 Prozent an Muttermilch heran, man kann sie seinem Kind dennoch mit gutem Gewissen füttern." Ob die Kinder deswegen mehr oder weniger krank sind, hängt auch von anderen Faktoren ab. Die Hebamme erzählt: "Meine Schwester und ich wurden auch voll gestillt, wir waren trotzdem dauernd krank. Das Nachbarskind hat Pre-Nahrung bekommen und war immer gesund. Man darf also die Kirche im Dorf lassen." Sie findet es wichtig, Familien individuell zu betreuen und sie in ihren informierten Entscheidungen zu unterstützen. Stillen als Ideal zu betrachten sorge bei vielen Müttern nur für ein schlechtes Gewissen. Und davon haben weder Mutter noch Baby was.

Zum schlechten Gewissen gesellten sich bei mir ganz viele Momente, in denen ich als Mama überfordert war. Allein das Wissen, dass man als stillende Mutter allein für die Ernährung des Kindes verantwortlich ist, kann Druck machen. Bei der Gleichzeitigkeit, dass ich als Mama ja nicht so denken darf. "Doch", sagt Ruthofer, "darf man. Die Bedürfnisse von Müttern sind genauso wichtig wie die des Kindes. Ist die Mama überfordert oder unglücklich, kann sie auch nicht mehr auf die Bedürfnisse des Babys eingehen. Allerdings sind nur die wenigsten darauf eingestellt, wie anstrengend und zeitintensiv das Stillen, besonders am Anfang, sein kann. Es ist ein Fulltimejob für Mütter und darüber hinaus. Wer sich dazu entscheidet, zu stillen, übernimmt auch eine unfassbare Verantwortung."

Lange hieß es, wir verwöhnen unsere Babys, wenn wir sie schnell füttern. Man weiß zum Glück mittlerweile, dass Kinder in dem Alter noch nicht verstehen können, dass sie jetzt bitte fünf bis zehn Minuten auf den Busen zu warten haben. Die Hebamme sagt: "Wenn Babys länger auf die Milch warten müssen, lernen sie, dass nicht auf ihre grundlegendsten Bedürfnisse reagiert wird, wenn sie es brauchen. Das kann psychische Folgen haben." Außerdem haben Babys einen sehr kleinen Magen und sind auf eine regelmäßige Nahrungszufuhr angewiesen. Aber auch für die Mama kann es unangenehm sein, wenn sie das Baby nicht regelmäßig anlegt. Es kann etwa zu einem schmerzhaften Milchstau kommen.

Mütter können es niemandem recht machen

Während die Mutter im Café ihr Kind noch immer stillt, kommt ein Kellner und bittet sie, ihr Baby woanders zu füttern, "weil sich einige Gäste davon gestört fühlen". Ja, dieses Vorgehen kenne ich auch. Wissenschaftliche Studien zeigen, dass zwei Drittel aller Mamas negative Erfahrungen machen, wenn sie in der Öffentlichkeit stillen. Verrückt, findet Ruthofer: "Wir sind die sexualisierte Darstellung von Brüsten schon so sehr gewohnt, dass einige ein Baby, das am Busen trinkt, als unpassend und sogar verstörend empfinden. Dabei ist es das Natürlichste der Welt."

Es ist eine Situation, in der sich einmal mehr zeigt, in welchem Dilemma sich Mamas oft befinden. "Mütter können es im Grunde niemandem recht machen. Die Gesellschaft, wissenschaftliche Studien und Medien sagen, sie sollen stillen. Tun sie es öffentlich, finden das viele auch wieder nicht super. Greifen sie zur Flasche, hören sie erst wieder, sie seien eine schlechte Mutter. Eine richtige Entscheidung gibt es demnach nicht. Nur eine individuelle, hinter der man dann halt auch zu 100 Prozent stehen muss."

Stillsiegel für Cafés und Restaurants

In die Praxis der Hebamme kommen oft Frauen, denen es irgendwann zu viel wird. "Stillen sie, müssen sie sich oft mit sexuellen Aussagen herumschlagen oder werden von öffentlichen Orten verwiesen." Aus diesem Grund hat der Babyartikelhersteller MAM eine neue Initiative ins Leben gerufen, die auch Ruthofer unterstützt: das Stillsiegel für mehr Awareness und Toleranz beim Stillen. Cafés, Restaurants und öffentliche Einrichtungen können sich so als familienfreundlich positionieren und ein Zeichen setzen. "Traurig, dass es so was braucht, aber gut, dass es diese Initiative gibt", resümiert die Hebamme. Es ist, so die Expertin, eine Entwicklung in die richtige Richtung. (Katharina Domiter, 10.10.2023)