Ja, leidenschaftlicher Sex kann wirklich super sein. Vor allem, wenn die Lust so intensiv ist, dass sinnliche Begegnungen wie von selbst passieren. Das wünschen sich viele, am besten auf Dauer. Falls die Leidenschaft dann doch mal im Alltag untergehen sollte, gibt es hier Impulse für Variationen der Zeit, Intensität und Geschwindigkeit. Alles wertvoll und jederzeit verfügbar, wenn uns die Lust nicht von selbst spontan auf ekstatischen Wellen surfen lassen sollte.

Paar liegt im Bett
Um frischen Wind in das Erleben des eigenen und anderen Körpers zu bringen, kann es hilfreich sein, von bewährten Wegen abzukommen.
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Warum Lust auch eine Entscheidung ist

So gut wie jeder Mensch kennt Phasen mit oder ohne große Lust, so weit alles "normal". Hunger, Essen, satt und zufrieden sein, wieder hungrig werden. Beim Essen wie beim Sex. Ich beobachte oft, dass wenn zwei Menschen sehr aufeinander eingespielt sind, Begegnungen vorhersehbar sind, Stress, mangelnde Energie, Alltagsthemen oder Sorgen überhand nehmen, sich die Lust gerne versteckt. Da gibt es wenig, was unbeschwert neugierig auf mehr machen kann. Wenn das Leben allein oder als Paar zu routiniert, organisiert oder bequem geworden ist, ist das alles nicht sexy. Auch bei einer belastenden "Mental Load" sind Abschalten, Genuss, Entspannung schnell einmal weit entfernt.

Für viele kommt die Lust auf eine sexuelle Begegnung, ob innerhalb einer Beziehung oder auch als Single, wenn es etwas zu entdecken gibt, wenn Freude und Neugierde anspringen. Der Körper, das Gehirn, auch unsere Emotionen wollen immer wieder Neues, Spannendes, Unbekanntes, Aufregendes entdecken – dann erleben wir uns intensiv, wach, lebendig. All das kann auch innerhalb von Beziehungen immer wieder gut funktionieren, ganz gleich, wie lange sie dauern. Dazu braucht es erstens die Entscheidung von beiden, mehr vom lustvollen Miteinander erleben zu wollen, und zweitens gemeinsam raus aus Gewohnheiten und der üblichen Komfortzone zu kommen, und zwar nicht nur direkt beim Sex, sondern auch generell immer wieder.

Die Frage der Zeit

Zeit gibt es immer ausreichend, doch wofür nützen wir sie? Jeder Tag hat 1.440 Minuten, Zeit ist ganz gerecht verteilt, mehr Minuten pro Tag bekommt niemand. Wie läuft das Leben, wie die Freizeit ab, ob als Single oder als Paar? Was gibt es zu entdecken, zu erleben? Diese unglaublich intensiven Zeiten von Begehren und Verliebtsein, in denen uns die Lust von ganz allein durch Tage oder Wochen tragen kann – diese Zeiten sind oft mit Neuem, auch mit (noch) ein bisschen unbekannten und unsicheren Begegnungen verbunden. Wir selbst spüren uns sehr intensiv, alle Sinne sind hellwach, wollen erkennen, erobern, spüren und wissen. Auf Dauer würden wir das rein psychisch, aber auch physisch nicht gesund durchhalten. In dieser Zeit sind wir oft mit alltäglichen Herausforderungen überfordert, weil wir unkonzentriert sind.

Jedoch so ein bisschen "entrückt sein", immer wieder, ohne gleich alles infrage zu stellen oder sich in Gefahr zu begeben? Das wäre doch etwas, oder nicht? Es gibt Untersuchungen, die herausgefunden haben, dass wir, wenn ein bisschen Angst oder Unsicherheit im Spiel ist, automatisch mehr Sicherheit suchen, somit rascher bereit sind, uns mit anderen zu verbinden. Ich beziehe mich hier auf eine Studie aus den 70er-Jahren, in der dieses Thema erforscht wurde. Ganz klar, es braucht nicht immer Hängebrücken, Unsicherheiten, Telefonnummern von Unbekannten! Wie gelingt es aber, sich selbst und einander immer wieder wach und interessiert zu überraschen?

Intensität neu denken

Intensität heißt nicht "more of the same" und auch nicht laufend neue erdachte Konzepte, die ein Schneller, Höher und Weiter fördern, sondern manchmal genau das Gegenteil, wie zum Beispiel Langsamkeit, kleine Bewegungen, bewusstes Spüren.

Angenommen, Sie kennen sich selbst und Ihre Bedürfnisse – vielleicht auch die der anderen Person – schon gut, auch in der Sexualität. Sie wissen in Ihrem Rahmen, was Ihnen guttut und was für Sie nicht erregend ist. Das ist ein wohltuender Ausschnitt Ihres Sich-selbst- und Einander-erleben-Könnens. Aber eben nur ein Ausschnitt, denn auch Sie werden noch nicht alle Facetten, Fantasien und Kinks, die Sie erregen könnten, kennen. Dies lebt oft von Interaktion und Neugierde. Mit spielerischem Pioniergeist gäbe es immer wieder einiges zu entdecken. Die meisten Menschen haben sich jedoch längst – meist unbewusst – auf "den kleinsten gemeinsamen Nenner" geeinigt, wissen wie, wann, was. Falls. Also falls überhaupt ...

Intensität heißt, sich selbst und einander immer wieder bewusst zu begegnen, mit allen Sinnen einzuladen, wieder neugierig da zu sein, im Moment der Begegnung, der Berührung, des Kusses, sich Möglichkeiten und Variationen zu öffnen. Klar, wir kennen einander, jedoch kein Tag ist wie der andere, wir erleben laufend alle möglichen Eindrücke, es gibt also immer wieder Impressionen, etwas zu erzählen, zu teilen, zu spüren.

Zurück zum Sex. Manchmal ist man sehr hungrig, und da darf es – um bei der Metapher mit dem Essen zu bleiben – schnell gehen, im Stehen, mit allem und scharf, jetzt bitte gleich, der Hunger ist groß, er will rasch gestillt werden. Ein anderes Mal nehmen wir uns bewusst wirklich Zeit, haben Muße, da wollen wir genießen, vielleicht gibt es etwas zu feiern, vielleicht "nur" die Lust? Wir inszenieren etwas Besonderes, da gibt es ein Fest für alle Sinne. Das Ambiente und die Stimmung passen, vielleicht auch die Musik. Wir kochen (oder essen) mehrgängig, mit guter Getränkebegleitung, schmecken facettenreich, probieren, kombinieren, mögen oder verändern, um zu mögen. Da sagen wir vielleicht immer wieder mal "Okay, das muss ich nicht nochmal haben, aber jetzt weiß ich es", und entdecken dafür allein oder miteinander etwas anderes, das wirklich schmeckt und überrascht. Darf der Genuss mal schnell gehen und dann wieder eine lange Weile dauern?

Die Sache mit der Geschwindigkeit

Die Zeit, in der wir leben, ist schnell. Diese Geschwindigkeiten und die Dichte an Informationen entfernen uns oft davon, uns selbst und unsere Bedürfnisse gut zu spüren und selbst sinnvoll zu gestalten. Auch in der Sexualität soll es oft recht zielstrebig und rasch auf gewohnten Bahnen zum Orgasmus führen. Das kann ja wirklich schön und lustvoll sein.

Ist das alles, oder gibt es mehr? Dürfen sich Begegnungen, Erregungen und Augenblicke durch Variation der Tempi intensivieren? Oder dadurch, sich Zeit zu nehmen, durch bewusstes Spüren mit Genuss, durchs Da-Sein im Augenblick mit allen Sinnen, während Gewohnheiten verlassen werden? Darf es um Sinnlichkeit auf allen Ebenen gehen, bei der der rasche Weg zum Höhepunkt verlassen wird? Wie wäre es mit bewussten Berührungen, vielleicht durch Annähern, Umkreisen, Verlassen, wieder Annähern von besonders empfindsamen Stellen? Oder das bewusste Auslassen dieser?

Dürfen auch Berührungen an sehr intimen Stellen spielerisch sein, mit Druck und Geschwindigkeit variieren, damit, wie viele Finger beispielsweise erkunden und erspüren, necken und verführen? Sind es Fingerkuppen, die berühren, oder auch Fingernägel, Handflächen oder etwas ganz anderes? Darf es auch mal ganz langsam gehen? Vielleicht sogar ohne bestimmtes Ziel, außer dem Genuss des sinnlichen Miteinanders? Spüren, sehen, riechen, schmecken oder hören? Es könnte gut sein, dass das Spiel mit Geschwindigkeit ganz neue Intensitäten ermöglicht. Lassen Sie sich ein? (Nicole Siller, 13.10.2023)