Stahlproduzenten in der EU werden beim Umstieg auf grüne Technologien vor dem Preisdruck aus Drittstaaten abgeschirmt.
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Statt mit Koks soll in Zukunft mit Wasserstoff Stahl erzeugt werden: Die Voestalpine baut in Linz und Donawitz zwei Lichtbogenofen, mit denen der Konzern seinen CO2-Ausstoß deutlich senken will. Es sei das größte Klimaschutzprogramm in Österreich, warb Voest-Chef Herbert Eibensteiner diese Woche beim Spartenstich – bisher ist die Stahlproduktion eine von Österreichs größten CO2-Quellen. Schritt für Schritt sollen die neuen Öfen den Ausstoß senken.

Damit verschafft sich der österreichische Stahlhersteller einen Vorteil im europäischen Emissionshandel: Je weniger CO2 eine Industrieanlage ausstößt, desto weniger Emissionszertifikate muss ein Unternehmen kaufen. Eine Tonne CO2 kostet derzeit über 80 Euro. Tatsächlich bezahlt haben die Unternehmen bisher allerdings weit weniger. Die EU verteilte nämlich Gratis-Emissionsrechte für Industrieanlagen. Damit wollte die EU vermeiden, dass die Betriebe in Länder abwandern, die keinen CO2-Preis verlangen – gleichzeitig nahm es dem System allerdings auch die Zähne.

Bald ist es jedoch vorbei mit den Gratis-Zertifikaten: Ab 2026 laufen sie aus. Damit Europas Industrien dennoch nicht abwandern beziehungsweise von günstigeren Anbietern aus Drittstaaten verdrängt werden, entschied sich die EU für ein Instrument, das sie als weltweit Erste einführt: ein Art Grenzzoll auf CO2.

Die Idee dahinter ist einfach. Unternehmen, die Stahl, Eisen, Aluminium, Zement, Düngemittel sowie Strom und Wasserstoff in die EU liefern wollen, müssen an der Grenze in etwa denselben CO2-Preis zahlen, den europäische Unternehmen bereits über den Emissionshandel zahlen mussten. Damit sollen die Kosten für die Unternehmen angeglichen werden – damit europäische Industrien im Wettbewerb mithalten können. Mit Anfang Oktober ist der CO2-Grenzausgleich, englisch abgekürzt CBAM, in die Testphase gestartet. Was bedeutet das für die Betriebe?

Anstoß für grüne Technologien

Zunächst müssen Unternehmen nur berichten, wie viele Tonnen CO2 die Herstellung der importierten Waren verursacht hat. Die ersten Berichte sind Ende Jänner fällig. Erst mit Anfang 2026 muss der Grenzausgleich dann tatsächlich gezahlt werden.

"Das System ist ein wichtiges Signal", sagt Wifo-Ökonomin Claudia Kettner. Vor allem auch außerhalb der EU könnte das Instrument einen Anstoß zur Dekarbonisierung der Industrie geben. Denn führt ein Drittstaat ebenfalls einen CO2-Preis ein, wird dieser vom Grenzausgleich abgezogen. Und auch sonst profitieren Unternehmen, die auf grüne Technologien setzen.

"Ein globaler CO2-Preis oder Klimaklubs wären diesem System vorzuziehen, aber all das ist aktuell nicht in Sicht", so Kettner. "Der Grenzausgleich ist eine guter Schritt."

Offene Exportfrage

Viele Industriebetriebe sehen den Grenzausgleich allerdings kritisch. So sagt die Voestalpine, das System müsse sich "erst beweisen". Betroffen ist die Voest unter anderem, weil sie Materialien für die Stahlherstellung wie etwa Eisenerzpellets aus Drittstaaten importiert – auch für diese Waren wird der Grenzausgleich eingehoben.

Vor diesem Problem stehen vor allem weiterverarbeitende Unternehmen in Europa. Der CO2-Ausstoß jeder Lieferung muss angegeben werden. "Diese Verpflichtung betrifft vor allem die weiterverarbeitenden Betriebe", heißt es seitens der Wirtschaftskammer Österreich (WKO). Unternehmen in ganz Europa sprechen von einer enormen Herausforderung.

Auch schafft der Grenzzoll zwar bessere Wettbewerbsbedingungen innerhalb Europas, doch auf dem Weltmarkt bleibt der Kostenunterschied. Eine Lösung für die Exporte hat die EU bislang nicht gefunden. Die Voest kritisiert: Das System würde die globale Wettbewerbsfähigkeit der exportierenden EU-Industrie schwächen. Gleichzeitig biete die Entscheidung zumindest "deutlich mehr Planungssicherheit für die Umstellung auf CO2-reduzierte Technologien". Den Zweck, dass europäische Unternehmen am europäischen Markt geschützt werden, dürfte der Mechanismus erfüllen.

Wenn Investitionen in neue Technologien fehlen

In eine schwierige Lage bringt der Mechanismus allerdings jene Staaten, die in die EU exportieren, aber beim Umstieg auf grüne Technologien hinterherhinken und wo Investitionen fehlen. Die im Verhältnis am stärksten betroffene Volkswirtschaft ist laut einer Analyse des Thinktanks Carnegie Europe jene von Mosambik. 20 Prozent seiner Exportprodukte fallen unter den CBAM, großteils geht es um Aluminium. Auch Bosnien, die Ukraine, Serbien und Simbabwe zählen zu den im Verhältnis am meisten betroffenen Staaten.

"Die EU muss zeigen, dass sie die Schwierigkeiten für weniger entwickelte Staaten versteht und im Übergang unterstützen wird. Das ist bisher kaum passiert", kritisiert Sinan Ülgen, Experte bei Carnegie.

Denkbar wären auch temporäre Aussetzungen des Instruments. Eine solche Ausnahme gibt es etwa bereits für die Ukraine. Der Gesetzestext lasse es offen, in "außergewöhnlichen und unprovozierten Situationen mit destruktiven Konsequenzen auf die wirtschaftliche und industrielle Infrastruktur in einem Land" den Grenzzoll anzupassen, zitiert "Politico" dazu einen Kommissionsmitarbeitenden.

Neue Milliarden

Die EU erwartet von dem neuen Grenzausgleich Einnahmen in Milliardenhöhe. Insgesamt soll das Paket aus Emissionshandel und Grenzausgleich der EU zusammen ab 2028 rund 36 Milliarden Euro bringen. Bleibt die Frage: Was passiert mit dem Geld?

Noch ist nicht geklärt, wie die Einnahmen dann genau zwischen Mitgliedsstaaten und EU-Eigenmitteln aufgeteilt werden sollen. Eine Idee ist, dass sie in europäische Industrieprojekte zur Dekarbonisierung fließen sollen – ärmere Drittstaaten fordern allerdings auch Unterstützung bei ihrem Umstieg auf eine grüne Produktion.

"Mit der Einführung des CBAM hat die EU jetzt Verantwortung. Vor allem afrikanische Staaten würden von dem Instrument hart getroffen werden", so Ülgen. Für die Dekarbonisierung fehle es an so manchem Ort an Ressourcen. "Die EU muss mit ihren Handelspartnern zusammen nach Antworten suchen." (Alicia Prager, 12.10.2023)