Corona, Krieg, Naturkatastrophen, noch ein Krieg: Die Welt befindet sich gefühlt seit Jahren in einem Ausnahmezustand, und wir mit ihr. Als im März 2020 der erste Lockdown aufgerufen wurde, kaufte ich kiloweise Mehl und fror frischen Germ ein. Als der Ukrainekrieg ausbrach, bestellte ich dutzende Kerzen und Kurbeltaschenlampen. Seit der Krieg in Israel und im Gazastreifen ausgebrochen ist, meide ich soziale Medien und lese nur das, was ich beruflich muss und brauche. Diskussionen über Feindbilder und Gräueltaten ertrage ich nicht.

Ausnahmesituationen bringen oft alte Traumata an die Oberfläche. Menschen, die Krieg, Vertreibung, Armut oder Not erlebt haben, werden durch Ereignisse wie Kriege und Krisen getriggert. In der Balkan-Community in Wien war der Beginn des Ukrainekriegs nicht nur ein internationales und politisches Ereignis, sondern auch eine Wiederkehr alter Diskussionen über Allianzen und Feindbilder. Vor allem war es aber eine Wiederkehr von alten Ängsten und belastenden Erinnerungen. Dazu kommt noch die bange Hoffnung, dass sich der Krieg nicht auch auf das Gebiet der alten Heimat ausbreitet, wo noch Familienmitglieder und Freunde leben. Das Gleiche gilt auch für die neuesten kriegerischen Ereignisse im Nahen Osten.

Hunger und Dunkelheit

Im Unterschied zur grausamen Zeit des Zweiten Weltkriegs ist meine engere Familie in den Kriegen, die den Zerfall Jugoslawiens begleitet haben, relativ glimpflich davongekommen. Zumindest wenn es um die Zahl der Toten geht. Ich persönlich habe Bosnien vier Wochen nach Kriegsausbruch verlassen. Das, was ich mitbekommen haben, ist vernachlässigbar im Vergleich zu dem Grauen, auf das zum Beispiel Gleichaltrige zurückblicken, die jahrelang als Kinder im belagerten Sarajevo gelebt haben. Was sollen also die Lampen mit der Kurbel und was die Zwölferpacks weißer Paraffinkerzen? Ich lache milde über mich selbst. Ja, wir haben oft Tage und Wochen ohne Strom gelebt, aber gehungert habe ich nie. Dafür habe ich in meiner Kindheit stundenlang meinem Großvater zugehört, der als Teenager in Gefangenschaft tage- und wochenlang mit Brot und Wasser auskommen musste.

Die Art und Intensität der Auswirkungen bei Menschen, die intensive Traumata aufgrund von Gewalterfahrungen, Kriegen, Vertreibung oder Naturkatastrophen erlebt haben, variiert von Person zu Person. Dies hängt von ihren persönlichen psychischen und sozialen Ressourcen ab sowie davon, ob sie professionelle Unterstützung bei der Verarbeitung erhalten können. Und dann gibt es noch familiäre Traumata aus vergangenen Zeiten. Gefühle, die in der Familie weitergegeben werden, auch wenn niemand jemals darüber spricht.

Holocaust-Überlebende und Kriegsenkel

Diese sogenannte transgenerationale Weitergabe wird und wurde intensiv anhand von Holocaust-Überlebenden und ihren Nachfahren erforscht, aber auch mit der Gruppe der sogenannten Kriegsenkel. Die Bezeichnung "Kriegsenkel" ist vor allem in Deutschland geläufig, wo sie verwendet wird, um die Auswirkungen des Zweiten Weltkriegs und der nationalsozialistischen Diktatur auf die nachfolgenden Generationen zu beschreiben. Diese Traumata können, müssen aber nicht Jahrzehnte später das Leben der "Kriegsenkel" beeinflussen. Oder eben die Wahrnehmung von aktuellen Konflikten, auch wenn sie geografisch oft weit entfernt sind.

Neben den Menschen aus der ex-jugoslawischen Community leben in Österreich inzwischen auch andere Menschengruppen, die die Kriegstraumata nicht nur als kollektive Erinnerung, sondern aus erster Hand kennengelernt haben. Man muss sich als Gesellschaft damit beschäftigen, wenn unter uns Menschen leben, die unterschiedliche, traumatisierende Kriegs- und Fluchterfahrungen gemacht haben, sagt die deutsche Soziologin und Biografieforscherin Iris Wachsmuth.

Wachsmuth rät Retraumatisierten dazu, sich mit anderen zusammenzuschließen und Ängste gemeinsam zu besprechen. Vergleiche und der Austausch mit anderen sind hilfreich, um psychische Prozesse in Bewegung zu setzen. Und natürlich, wenn möglich, kann es hilfreich sein, mit den Angehörigen über die Familiengeschichte zu sprechen.

Zum Abschluss sollte das auch nicht vergessen werden: Transgenerationale Weitergabe kann auch positive Auswirkungen haben. Sie kann dazu beitragen, dass nachfolgende Generationen Widerstandsfähigkeit und Bewältigungsstrategien entwickeln. Das sind Stärken, von denen nicht nur einzelne Menschen, sondern die ganze Gemeinschaft profitieren kann. (Olivera Stajić, 12.10.2023)