Ein gezeichnetes Bild von Sam Bankman-Fried im Gericht.
Sam Bankman-Fried war ein Star, alle wollten ein Stück von seinem Kuchen. Nun drohen ihm 115 Jahre Haft.
REUTERS/JANE ROSENBERG

Zahllose Male fiel das Wort Wunderkind, wenn es um ihn ging. Zahllose Superlative beanspruchte er selbst für sich und seinen Erfolg mit der Kryptobörse FTX. Insofern ist es verwunderlich, wie viele sich jetzt wundern, dass Sam Bankman-Fried, ein Unternehmer mit kindlichem Gemüt, so viel Schaden anrichten konnte.

Neun Milliarden Dollar

Rund neun Milliarden Dollar, Kundengelder wohlgemerkt, sind weg, werden wohl weg bleiben. Betrug, Diebstahl, Veruntreuung, Geldwäsche, Verschwörung, illegale Wahlkampffinanzierung: Was die US-Staatsanwaltschaft dem 31-Jährigen vorwirft, könnte auch in der Anklageschrift eines Mafiapaten stehen. Anfang Oktober startete der Prozess, im Fall einer Verurteilung drohen Bankman-Fried 115 Jahre Haft.

Samuel Benjamin Bankman-Fried kam 1992 in Kalifornien auf die Welt, wuchs auf dem Campus der Elite-Uni Stanford auf und hatte von Kindheitstagen an den Blick nur nach oben gerichtet. Beide Eltern waren Jusprofessoren mit Kontakten in die höchsten Kreise, und auch was Leistungsdrang bedeutet, wurde ihm vorgelebt. Im Alter von 55 Jahren beschloss sein Vater Joe Bankman, noch einmal umzusatteln, und promovierte in Psychologie.

Vorliebe für Zahlen

Wie nicht anders zu erwarten, legte Sam eine ausgezeichnete Schullaufbahn hin. Er entwickelte früh ein Faible für Zahlen und Computer, er spielte Baseball und Tennis. Zeitgleich zeigten sich jedoch hinter der Musterschülerfassade die ersten psychischen Probleme. Bereits als Teenager hatte er Schlafprobleme, später kamen Depressionen dazu. Nach wie vor trägt Bankman-Fried ein Pflaster mit einem Antidepressivum.

Nach der Schule studierte der hibbelige junge Mann Physik am Massachusetts Institute of Technology (MIT), heuerte danach kurz bei einem Unternehmen an der Wall Street an, zweifelte aber bald, ob sich dort wirklich das Maximum an Geld verdienen ließe. Er entdeckte die Welt der Kryptowährungen.

Im Alter von 25 Jahren, 2017, gründete Bankman-Fried einen eigenen Fonds namens Alameda Research – spezialisiert auf Arbitragehandel mit Kryptokursen. Das Timing stimmte. Bitcoin war gerade in der Mitte der Gesellschaft angekommen, und der Kurs stieg und stieg. Bankman-Fried scheffelte innerhalb weniger Wochen mehrere Millionen Dollar. Voilà, das Startkapital für seine eigene Börse FTX hatte er so ohne viel Aufwand verdient.

Viel verdienen, viel spenden

Von Anfang an inszenierte sich Bankman-Fried als Fan der Denkschule des Effektiven Altruismus. Dieser philosophische Ansatz verfolgt grundsätzlich das Ziel: Verdiene viel Geld, um dann viel spenden zu können. Seit Jahren findet dieser Denkansatz viel Anklang. Einerseits klingt er gut, andererseits kann man persönlicher Gier so relativ einfach ein moralisch einwandfreies Mascherl umbinden.

Joseph Bankman und Barbara Fried gehen eine Straße entlang und werden fotografiert.
Joseph Bankman und Barbara Fried am Weg zum Gericht, um zu sehen, wie es ihrem Sohn ergeht.
REUTERS/BRENDAN MCDERMID

2019 startete er FTX, ein multifunktionales Investmentvehikel. Amateure und Profi-Trader bekamen einfachen Zugang zu digitalen Währungen. Man konnte Ersparnisse anlegen, Zinsen kassieren, Geld ausleihen und mit hochriskanten Hebelgeschäften spekulieren.

FTX war eine Mischung aus Börse, Investmentbank, Sparkasse und Kasino. Für jede Transaktion ging eine kleine Provision an Bankman-Fried. Der Aufstieg des Unternehmens verlief phänomenal. In weniger als drei Jahren erreichte das Unternehmen eine Bewertung von 32 Milliarden Dollar und verwahrte Milliardenwerte im Auftrag seiner Kundinnen und Kunden. Bankman-Fried wurde reicher und reicher. Zwischenzeitlich zählte er mit einem geschätzten Vermögen von 20 Milliarden Dollar zu den reichsten Menschen der Vereinigten Staaten.

Zahlungskräftige Markenbotschafter

Schnell rückte er ins Rampenlicht, alle wollten etwas, und aus Sam wurde SBF, das Kürzel, unter dem er von nun an öffentlich auftreten sollte. FTX war plötzlich überall, SBF war überall.

Basketballstadion mit FTX Logo.
Überall prangte das FTX-Logo, vor allem für Sport-Sponsoring hatte SBF eine Vorliebe.
IMAGO/Matias J. Ocner

Sein besonderer Fokus lag auf Sportsponsoring. Das Stadion des Basketballteams Miami Heat hieß FTX-Arena, auf Formel-1-Autos von Mercedes prangte das Logo, während des Super Bowl liefen Werbespots für FTX. Berühmte Namen wurden zu Markenbotschaftern – etwa Footballlegende Tom Brady, NBA-Ikone Shaquille O’Neal, Supermodel Gisele Bündchen. Die Crème de la Crème der Investmentszene hatte nur noch Augen fürs schnelle Geld: Softbank, Blackrock, Sequoia Capital und Tiger Global. Anstandslos investierten alle riesige Summen. Außer Popstar Taylor Swift. Sie soll am Geschäftsmodell gezweifelt haben und spielte nicht mit.

Der Zusammenbruch

Im November 2022 nahm SBFs Leben eine drastische Wendung. Nach einer Meldung über Unregelmäßigkeiten bei FTX und Alameda Research ging alles ganz schnell. Kunden begannen panisch, Guthaben abzuziehen, Geld fehlte. Sehr viel Geld fehlte – am Ende rund 8,7 Milliarden Dollar. Der Grund, laut Vorwürfen der Staatsanwaltschaft: Kundengelder sollen heimlich an den Hedgefonds Alameda Research abgezweigt und genutzt worden sein, um Bankman-Frieds teuren Lebensstil zu finanzieren.

Der einst gefeierte Entrepreneur versuchte, via Social Media zu kalmieren. Ob das Kalkül war oder er es wirklich nicht besser wusste, muss das Gericht in New York klären. Und er tat, was jedem Strafverteidiger graue Haare wachsen lässt: Er blieb Showman, gab Interviews, beantwortete Anfragen und verstrickte sich in Widersprüche, die ihm jetzt im Prozess schaden.

Im Dezember 2022 wurde Bankman-Fried erstmals verhaftet, durfte aber gegen eine 250-Millionen-Dollar-Kaution in den Hausarrest. Im Spätsommer klickten abermals die Handschellen wegen versuchter Zeugenbeeinflussung und Verstoßes gegen Auflagen.

Für den Prozess hat sich SBF sogar die Haare geschnitten. Der Wuschelkopf galt einst als sein Markenzeichen.
AP/John Minchillo

Politische Einflussnahme

Die Staatsanwaltschaft wirft ihm auch politische Einflussnahme vor. Dass er sich engagiert hat, ist bekannt. Aus Spenden an die Demokraten machte er kein Hehl, auch an die Republikaner floss Geld. Einmal soll er angefragt haben, was es koste, dass Donald Trump nicht mehr zur Wahl antritt. Er bekam sogar eine Antwort. Fünf Milliarden Dollar. Daraus wurde freilich nichts. Bisweilen soll Bankman-Fried sogar selbst mit dem Amt geliebäugelt haben.

SBF vereint viele Klischees und Zuschreibungen in seiner Person. Er gilt als hochintelligent, ernährt sich vegan, setzt sich für den Kampf gegen Pandemien und für den Klimaschutz ein – auch in seiner Branche. Stets war er mit Shorts und T-Shirt bekleidet, egal welcher hochrangige Politiker ihm gegenübersaß. Mit seinem lockigen Wuschelkopf wirkte er bodenständig und glaubwürdig. Er zählte zu den Guten. Ein wenig jugendliche Naivität wurde ihm stets zugeschrieben, doch das kaschierte er mit Charme.

Etwas Jugendliches hatte auch sein Leben auf den Bahamas. In einer 40-Millionen-Dollar-Villa residierte SBF unter anderem mit seinem Jugendfreund, dem späteren FTX-Technikchef Gary Wang. Die beiden fuhren mit Golfcarts durch den Yachthafen, feierten Partys, abends wurde Pizza bestellt. Aufgabentrennung oder Compliance-Regeln gab es nicht. "Wie in einem Studentenheim", beschrieb ein Redakteur der Financial Times dieses Leben. Einmal soll SBF während eines Calls, in dem er hunderte Millionen von Investoren einsammelte, League of Legends gespielt haben. Doch es gab auch eine andere Seite. Bankman-Fried arbeitete ganze Nächte durch, nahm zum Aufstehen Aufputschmittel und beim Schlafengehen Schlaftabletten.

Die Freunde sind weg

Die damaligen Freunde haben sich abgewandt. Gary Wang, seine Ex-Freundin Caroline Ellison, die Leitern von Alameda Research, und Nishad Singh, der ehemalige Engineering-Chef. Alle drei haben sich schuldig bekannt, kooperieren mit der Staatsanwaltschaft und belasten SBF schwer. Der Betrug, der Diebstahl, die Veruntreuung, alles sei bewusst passiert.

Was sagt SBF? "I fucked up." Fehler gibt er zu. Böse Absichten habe er aber nie verfolgt. Die Dinge seien ihm über den Kopf gewachsen. Bankman-Fried plädiert auf unschuldig.

"Think big." Das haben viele US-Amerikaner in ihrer DNA, doch bei Sam Bankman-Fried wurde aus groß größenwahnsinnig. Kaum jemand wurde in jungen Jahren so schnell so reich, kaum jemand hat so schnell alles verloren: Geld, Freunde, Freiheit. Zumindest vorerst. In fünf Wochen soll es ein Urteil geben. (Andreas Danzer, 15.10.2023)