Othmar Karas hat seinen Entschluss, nicht mehr als ÖVP-Spitzenmann für die EU-Wahlen kandidieren zu wollen, mit einiger Bitterkeit begründet. Von politischen und persönlichen Verletzungen war da die Rede, vom "Blinken" in Richtung politische Ränder; und von zu viel Parteitaktik und Nationalismus, der die – aus Karas’ Sicht so notwendige – Stärkung der Europäischen Union unterminiere.

Von den außenpolitischen Dimensionen, die ÖVP-Spitzenpolitiker einst selbstverständlich mitbedacht haben, ist tatsächlich wenig übrig. Bundeskanzler Karl Nehammer findet zwar bei der Solidaritätskundgebung für Israel klare, eindringliche Worte – gleichzeitig kann sich "seine" ÖVP, deren Obmann er ist, nicht verkneifen, in seinem Namen auf Social Media Sätze zu posten, die an Peinlichkeit kaum zu überbieten sind: "Wir holen die Österreicher aus Israel nach Hause!" "Die Österreicher" im ÖVP-Türkis markiert, damit wirklich jeder kapiert, woher der rettende Wind weht.

Transportiertes Weltbild

Abgesehen davon, dass die groß angelegte Rettungsaktion im ersten und im zweiten Anlauf an der Altersschwäche der Hercules-Bundesheermaschinen scheiterte: Denkt jemand in der ÖVP darüber nach, welches Weltbild man mit solchen Sätzen transportiert? Der Nahe Osten geht in Flammen auf – und Österreichs Kanzlerpartei fällt dazu vor allem ein, dass es "Österreicher" sind, die zu retten seien? Es hätte Alternativen gegeben. Etwa die Rettungsaktion für alle Opfer des Hamas-Terrors anzubieten – und die Selbstverständlichkeit, dass man sich um die eigenen Staatsbürger kümmert, nicht an die große Glocke zu hängen. Das hätte beides vermittelt: internationale Solidarität und nationales Verantwortungsbewusstsein.

Othmar Karas (ÖVP) EU
ÖVP-Europaabgeordnete und Erster Vizepräsident des Europäischen Parlaments Othmar Karas bei seiner persönlichen Erklärung in Wien am vergangenen Donnerstag.
APA / Eva Manhart

Das erforderte Weitblick und Augenmaß – auch im eigenen Interesse. Beispiele dafür gibt es genug: etwa die vehemente Ablehnung gegenüber Rumänien als Schengen-Mitglied – wenn gleichzeitig die OMV massive ökonomische Interessen an der Erschließung eines Gasfelds im rumänischen Teil des Schwarzen Meers hat.

Überhaupt Flucht- und Migrationspolitik: Seit Sebastian Kurz’ Kanzlertagen beklagt die ÖVP stets laut die Aufteilung der Migrationsströme und zeigt mit den Zeigefingern beider Händen anklagend gen Brüssel – tut aber wenig dazu, das stetig wachsende Problem internationaler Fluchtbewegungen auf europäischer Ebene zu lösen.

Kritik an Andersdenkenden

Karas stieß sich zuletzt auch an der "Normalitäts"-Debatte der ÖVP: Während man beteuert, doch nur die "gesellschaftliche Mitte" ansprechen zu wollen, kritisiert man Andersdenkende wie "die Klimakleber" auf schärfste Weise. Das verbindet nicht, sondern trennt.

Laut einer aktuellen Umfrage sind nur 19 Prozent aller Wahlberechtigten mit der Regierungspolitik zufrieden. Anstatt panisch darauf zu schauen, wie zeitgleich die FPÖ-Umfragewerte in die Höhe klettern, könnte man darüber nachdenken, ob in diesen beunruhigenden, unsicheren Zeiten nicht eine ganz andere Politik Zustimmung finden könnte: versöhnlich, pragmatisch, konstruktiv – und auf kurzfristig-kurzsichtige parteipolitische Reflexe verzichtend. Es könnte den Menschen Sicherheit in unruhigen Zeiten geben – und eine Ahnung, was Politik auch sein könnte: das ruhige und beständige Aushandeln von Lösungen mit langfristiger Perspektive, ohne ständiges Schielen auf schnelle Erfolge. (Petra Stuiber, 16.10.2023)