Fast täglich propalästinensische Kundgebungen, Streit an Schulen und Parolen bei Instagram und Tiktok: Der Konflikt zwischen Israel und Palästina wird auch in Wien ausgetragen, wie es dieser Tage immer wieder von Polizei und Politik heißt. Um extremistische Tendenzen zu unterbinden, hat Vizebürgermeister und Bildungsstadtrat Christoph Wiederkehr (Neos) am Montag einen runden Tisch mit den Mitgliedern des Wiener Netzwerks Demokratiekultur und Prävention (WNED) einberufen.

Vizebürgermeister und Bildungsstadtrat Christoph Wiederkehr (NEOS) bei einer Pressekonferenz im Wiener Rathaus
Vizebürgermeister und Bildungsstadtrat Christoph Wiederkehr (Neos) bei einer Pressekonferenz im Wiener Rathaus.
APA/TOBIAS STEINMAURER

Bei dem runden Tisch wolle man mit der Polizei die Lage analysieren, die bisher umgesetzten Maßnahmen diskutieren und weitere Schritte für die Zukunft vorbereiten. Widerkehr will unter anderem eine Fachstelle für Demokratiebildung in Wien einrichten. "Das Ziel ist, Demokratiebildung zu stärken, sowohl in der Schule als auch in der außerschulischen Jugendarbeit. Wichtig ist, dass wir als westliche, liberale Gesellschaft schneller sind als die Extremisten und eine stärkere Anziehungskraft haben als extreme Ideologien", erklärte der Vizebürgermeister vorab bei einer Pressekonferenz. Die Fachstelle solle Material zur Verfügung stellen, Workshops und Vorträge anbieten.

Verpflichtender Ethikunterricht

Wiederkehr präsentierte einen weiteren Vorschlag: "Ich würd es für richtig erachten, einen verpflichtenden Ethikunterricht für alle einzuführen. Alle Kinder und Jugendlichen unterschiedlicher Religionen und Kulturen sollten dort zusammenkommen, um über ein gemeinsames Grundverständnis zu diskutieren und gebildet zu werden." Wien allein könne das allerdings nicht beschließen.

Nötig sei all das aufgrund der Ereignisse der vergangenen Tage. "Wir sehen in ganz Europa, dass der Terroranschlag der Hamas auf Israel große Auswirkungen hat auf das Zusammenleben in den Städten", sagte Wiederkehr. Er nannte beispielhaft die propalästinensischen Kundgebungen in der vergangenen Woche auf dem Stephansplatz und am Sonntag vor dem Bundeskanzleramt. "Wir haben gesehen, dass es hier Antisemitismus gibt – im öffentlichen Raum, aber insbesondere auf digitalen Kanälen. Tiktok und Instagram sind grauenhafte Orte in dieser Zeit", betonte Wiederkehr. Hassparolen gegen Jüdinnen und Juden hätten in Wien nichts verloren.

Das WNED, mit dem Wiederkehr am Montag berät, wurde 2014 ins Leben gerufen und zunächst in der Wiener Kinder- und Jugendanwaltschaft angesiedelt. Das Netzwerk aus mehreren städtischen und externen Organisationen verfolgt das Ziel, Jugendliche und junge Erwachsene vor extremistischen Tendenzen zu schützen. Nach dem islamistischen Terrorangriff in Wien im November 2020 wurde die Präventionsarbeit intensiviert. Anfang 2023 wurde das WNED weiter verstärkt: Mit Ercan Nik Nafs gibt es nun eine operative Projektleitung, und das Netzwerk ist direkt in der Abteilung für Kinder- und Jugendhilfe (MA 11) der Stadt Wien angesiedelt.

Eltern sollen Apps der Kinder löschen

Angesichts des Hasses im Internet appellierte Wiederkehr am Montag auch an Eltern: "Der Hass und die Brutalität, die wir online sehen, sind für die kindliche Psyche nicht geeignet. Es ist wichtig, dass die Eltern Grenzen setzen und wenn es notwendig ist, Apps wie Instagram und Tiktok von den Handys der Kinder löschen." Die Schulen unterstütze man mit einer Infoveranstaltung für Lehrkräfte und mit Unterrichtsmaterial. Über den Krieg solle mit den Schülerinnen und Schülern aktiv gesprochen werden.

Wiederkehr macht Antisemitismus hauptsächlich in "jugendlichen, vor allem muslimisch-migrantisch geprägten Milieus" aus. "Ich bin kompromisslos dafür, dass Zugewanderte sich an Normen und Werte halten, die in einer liberalen Demokratie unverhandelbar sind", betonte der Neos-Politiker, der sich offen dafür zeigt, zusätzliche Verpflichtungen einzuführen, um Demokratiekultur zu unterrichten.

Mit Blick auf die Demonstrationen der vergangenen Tage drängte der Vizebürgermeister auf eine härtere Linie: "Ich erwarte von der Polizei, dass bei Demos sehr konsequent vorgegangen wird, insbesondere dann, wenn eine Gefahr von der Versammlung ausgeht oder im Vorhinein verfassungswidrige Äußerungen getätigt werden. Meine Erwartungshaltung ist, dass, wenn eine Versammlung untersagt wird, diese auch aufgelöst wird." Man müsse zeigen, dass der Rechtsstaat sich verteidigen könne.

Kritische Vorfälle bei Demo am Sonntag

Nachdem die propalästinensische Kundgebung am Samstag in Wien ohne besondere Vorfälle zu Ende gegangen war, gab es am Sonntag offenbar wieder kritische Vorfälle: Auf Videos bei X (vormals Twitter) ist zu sehen, wie Demonstrantinnen und Demonstranten vor dem Denkmal für die Verfolgten der NS-Militärjustiz "From the River to Sea, Palestine will be free" rufen – die Parole, die mit dazu geführt hat, dass die Kundgebung auf dem Stephansplatz in der vergangenen Woche untersagt worden war. Die Polizei teilte auf STANDARD-Anfrage mit, diese Aussage am Sonntag nicht registriert zu haben.

Bei der Kundgebung "Gegen das Hissen der israelischen Fahne am BKA" gab es eine Anzeige nach dem Symbolgesetz, wie die Wiener Polizei dem STANDARD bestätigte. Offenbar wurde ein verbotenes Hamas-Logo gezeigt. Nach dem Ende der Demo zogen am Sonntagabend Teilnehmerinnen und Teilnehmer in Gruppen durch die Wiener Innenstadt. Eine Kleingruppe erreichte den Judenplatz. Dabei schwenkten die Menschen palästinensische Flaggen und riefen "Free Palestine".

In den sozialen Medien steht die Polizei in der Kritik, weil die Gruppe nicht eng von der Polizei begleitet wurde, als sie über den Judenplatz zog. Am Montag schrieb die Landespolizeidirektion Wien bei X: "Die jüdischen Objekte in der näheren Umgebung wurden zum Zeitpunkt permanent von Polizeikräften bewacht." Eine permanente Begleitung aller Gruppen in der Innenstadt sei nicht durchführbar gewesen. Es sei in diesen kleinen Gruppen zu keinen Vorfällen gekommen. (Sebastian Scheffel, 16.10.2023)