Taucher
Forschende vergleichen fossile mit heutigen Korallenriffen.
Michael Kriegl

Korallenriffe werden größtenteils von Steinkorallen aufgebaut. Das sind Kolonien von winzigen Polypen, die mit einer Kalkscheibe auf dem Untergrund festsitzen. Diese Kalkabsonderungen bilden im Lauf von Jahrtausenden Riffe, die hunderte Meter messen können. Die Polypen beherbergen einzellige Algen, auch Zooxanthellen genannt, die Photosynthese betreiben und ihre Wirte mit Nährstoffen versorgen. Unter Stress, wie etwa zu hoher Wassertemperatur, stoßen die Korallen ihre Symbionten jedoch ab. Da die Zooxanthellen für die bunten Farben ihrer Wirte verantwortlich sind, werden solche Riffe weiß, die Rede ist von Korallenbleiche – ein im Zuge des Klimawandels zunehmendes Problem, da die gebleichten Korallen meist auch absterben.

Nun war es im Lauf der Erdgeschichte auch früher schon wärmer als heute. Zuletzt war das vor etwa 125.000 Jahren der Fall: In der Eem-Zeit, der letzten Warmzeit vor der unsrigen, lagen die Durchschnittstemperaturen zwei bis vier Grad über den heutigen und auch der Meeresspiegel um einige Meter höher. Zwar ging der Anstieg auf dieses Niveau damals um vieles langsamer vor sich als heute, aber die Ergebnisse lassen sich durchaus vergleichen. Genau das haben Martin Zuschin und seine Doktorandin Angelina Ivkić vom Institut für Paläontologie der Uni Wien gemeinsam mit Andreas Kroh vom Naturhistorischen Museum Wien und einem internationalen Team in den vergangenen fünf Jahren im Rahmen eines FWF-Projekts gemacht.

Datenlücken schließen

Für die meisten Meeresregionen gibt es keine Aufzeichnungen darüber, welche Arten dort lebten, bevor der Mensch anfing, massive Auswirkungen auf die Ozeane zu haben. Genau hier kommt Zuschins Spezialgebiet, die Paläobiologie, ins Spiel: "Wir liefern Daten dort, wo es keine ökologischen Langzeitdaten gibt", erklärt Zuschin. In dem kürzlich abgeschlossenen FWF-Projekt waren die Forschenden zu dem Zweck am und im Roten Meer im Einsatz: An der ägyptischen Küste erhoben sie auf hunderten Kilometern Länge die Zusammensetzung der dortigen fossilen Riffe. Da der Meeresspiegel heute tiefer liegt als vor 125.000 Jahren und sich die Gegend außerdem tektonisch gehoben hat, konnten sie diese Aufgabe trockenen Fußes bewerkstelligen. Für die Erhebungen an den heutigen Riffen mussten sie hingegen ins Meer.

Sind die Fossilien aus dem Umgebungsgestein herauspräpariert, werden sie mithilfe der Uran-Thorium-Methode datiert, was nicht immer leicht ist: "Die Riffterrassen können eng beieinander liegen, obwohl sie aus verschiedenen Zeiten stammen", gibt Zuschin zu bedenken, "da muss man bei der Altersbestimmung genau aufpassen, damit man nicht Spezies aus einer Warmzeit einer anderen zuordnet." Nach diesem Arbeitsschritt werden fossile und rezente Riffbewohner verglichen. "Das ist wie auf einem Friedhof", illustriert Zuschin, "wenn auf den Grabsteinen ganz andere Namen stehen als die Familien, die heute in einem Ort leben, muss dazwischen eine Veränderung stattgefunden haben. Wenn man sich dann die Jahreszahlen anschaut, kann man herausfinden, wann sie erfolgt ist."

Korallenriff
Eindrucksvoll und bedroht: Beim Schutz lebender Korallenriffe soll die Erforschung ihrer fossilen Pendants helfen.
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Vorschau durch Rückschau

Die Arbeit in Ägypten gestaltete sich herausfordernd, denn die fossilen Riffe befinden sich alle auf militärischem Sperrgebiet. Durch Zuschins gute Kontakte zu Abbas Mansour von der ägyptischen South-Valley-Universität konnten die nötigen Genehmigungen meist rechtzeitig beigebracht werden. Teils mussten die Forschenden allerdings Flüge verschieben, da Papiere fehlten, obwohl sie sie ein halbes Jahr vorher beantragt hatten. Eigentlich war auch geplant, die fossilen Riffe im Sudan zu untersuchen, doch war es sehr schwierig, entsprechende Kooperationspartner zu finden. Die Pandemie und beginnende politische Unruhen in der Region machten es nötig, dieses Vorhaben vorerst zu verschieben.

Die fossilen Riffe der Eem-Zeit am Roten Meer sind so interessant, weil ihre klimatischen Verhältnisse durch die Erderwärmung auch auf uns zukommen. Wie die Korallen damals mit diesen Verhältnissen zurechtgekommen sind, erlaubt vorsichtige Annahmen darüber, wie sie auf den jetzigen Klimawandel reagieren werden. Prinzipiell haben sie drei Optionen: es aushalten, in kühlere Bereiche abwandern oder sterben. Wenn sie können, verlagern Tiere laut Zuschin eher ihren Lebensraum, anstatt sich anzupassen. In der Eem-Zeit wie heute war und ist der Norden des Roten Meeres etwas kühler als der Süden und damit für die Korallen attraktiver.

Wie Zuschin und seine Gruppe zeigen konnten, nimmt die Biodiversität der Korallen von Süden nach Norden tatsächlich leicht zu – heute wie damals. Außerdem konnten sie Schlüsselarten identifizieren, anhand derer sich eindeutig unterscheiden lässt, ob eine Ablagerung von der Oberkante oder dem Hang eines Riffs stammt – eine wichtige Frage, wenn es um die Zuordnung von Fossilien zu ihrer jeweiligen Schicht geht. Eine dieser Arten ist die auch heute noch verbreitete Feuerkoralle Millepora, von der man bisher annahm, dass sie fossil schlecht erhalten bleibt. Die Wiener Forschenden konnten sie hingegen an vielen versteinerten Riffkanten nachweisen. Die fossilen Terrassen in Ägypten verschwinden laut Zuschin zusehends unter Hotel- und anderen Bauten, und auch die lebenden Korallen sehen einer ungewissen Zukunft entgegen. "Die besten Chancen im Roten Meer haben wohl die Korallen im Norden", meint Zuschin, "wir hoffen, mit unserer Arbeit dazu beizutragen, zumindest diese Riffe vor zusätzlichen schädlichen Einflüssen wie Verschmutzung und Tauchtourismus zu schützen." (Susanne Strnadl, 23.10.2023)