König Abdullah
König Abdullah (61) feiert nächstes Jahr sein 25-Jahr-Thronjubiläum. Jordanien hat nicht mehr die strategische Bedeutung wie früher.
AP/Jacquelyn Martin

Bereits bevor der Raketeneinschlag im Al-Ahli-Krankenhaus in Gaza-Stadt am Dienstagabend hunderte Menschenleben auslöschte und die internationale Nahost-Krisendiplomatie über den Haufen warf, warnte König Abdullah von Jordanien vor dem "Abgrund", der die Region zu verschlingen drohe. Später sagte Amman den geplanten Gipfel mit US-Präsident Joe Biden, Ägyptens Präsident Abdulfattah al-Sisi und Palästinenserpräsident Mahmud Abbas ab. Bidens kolportierter Gaza-Plan, nach dem die Araber eine Zukunft des Gazastreifens nach der Hamas managen sollen, wird vorerst bilateral diskutiert werden müssen.

Jordanische Militäranalysten – oder ägyptische oder saudische – werden, wenn sie die Aufnahmen des Angriffs ansehen, zu ihren Schlüssen kommen. Der arabische Volkszorn wird weitgehend davon unberührt sein, wer der Urheber ist. Die Bilder von toten und leidenden Palästinensern und Palästinenserinnen im unter israelischem Beschuss stehenden Gebiet bleiben.

Öffentlicher Druck

Abbas hatte sich erst vor kurzem zu einer Verurteilung der Taten der Hamas – die ein Todfeind der Palästinenserbehörde ist und sie 2007 mit Gewalt aus dem Gazastreifen warf – durchgerungen. Jetzt fühlt er sich gezwungen, wieder in die andere Richtung abzubiegen und die israelische Verantwortung nicht öffentlich anzuzweifeln.

Die Führungen Jordaniens und Ägyptens sind auch deshalb unter öffentlichem Druck, weil die Diskrepanz zwischen ihrer propalästinensischen Rhetorik und dem, was sie für die im Gazastreifen in der Falle sitzenden Menschen zu tun bereit sind, sichtbar wird. Ihre Wortwahl ist jener europäischer Politiker, die Flüchtlinge und Migrantinnen aus Europa draußen halten wollen, nicht unähnlich: Die Menschen müssen dort versorgt werden, wo sie zu Hause sind.

Misstrauen gegen Israel

Natürlich spielt auch die Furcht eine Rolle, dass Israel die Menschen nach beendeter Operation nicht mehr in den Gazastreifen zurücklässt. Aber das erste Interesse gilt den eigenen internen Problemen. Beide Staaten, Ägypten und Jordanien, sind wirtschaftlich in einer sehr angespannten Lage. Ägypten erlebt gerade einen Flüchtlingsdruck im Süden durch den beinahe vergessenen Krieg im Sudan.

In das kleine Königreich Jordanien strömen bei jedem Konflikt in der Region Menschen anderer Staaten. Bei gut elf Millionen Einwohnern beherbergt Jordanien 760.000 von der Uno-Flüchtlingsagentur UNHCR erfasste Geflüchtete. Aber diese Zahl stimmt nicht mit der Realität überein, nicht alle Menschen aus Syrien und dem Irak haben sich registrieren lassen.

Mehr als alles andere fürchtet die jordanische Führung jedoch einen neuen Influx von Palästinensern und Palästinenserinnen: Das haschemitische Königshaus, das ursprünglich aus dem Hijaz im heutigen Saudi-Arabien stammt – die Familie Saud hat die Haschemiten vor hundert Jahren aus Mekka und Medina vertrieben –, herrscht heute schon über eine palästinensische Bevölkerungsmehrheit. In Jordanien wurden die palästinensischen Flüchtlinge, anders als in anderen arabischen Staaten, integriert und bekamen die Staatsbürgerschaft. Die Spannungen zwischen den "echten" Jordaniern und dem palästinensischen Bevölkerungsanteil ziehen sich durch die Geschichte der letzten Jahrzehnte und nehmen zu. In den letzten Tagen dominieren palästinensische Demonstrationen das Straßenbild, in der Nacht zum Mittwoch gab es Versuche, die israelische Botschaft zu stürmen.

Verhasster Frieden

Die Palästinenser sind stark in der jordanischen Wirtschaft und stellen eine moderne gebildete Mittelschicht. Aber sie sind auch stark in der islamischen Opposition im Parlament, die aus ihren Sympathien für die Muslimbruderschaft, damit auch für die Hamas-Ideologie, kein Hehl macht. Der 1994 von Abdullahs Vater König Hussein geschlossene Frieden mit Israel war ihnen stets verhasst. Aber unbeliebt ist Abdullah, der seit 1999 regiert und mittlerweile auch eine Familienrevolte durch einen Halbbruder eindämmen musste, auch bei den Ostjordaniern. Die Antipathie gilt besonders seiner palästinensischen Frau, Königin Rania, der ein zu westliches Verhalten und Bereicherung der eigenen Familie vorgeworfen wird.

Aber schwer wird es Abdullah auch durch Israel gemacht: Die israelische Rechte, jetzt an der Macht, ist ja der Meinung, dass es keinen Palästinenserstaat braucht, weil es bereits einen gibt: Jordanien. Dazu gehört durchaus auch die Vorstellung, dass man auch Palästinenser zur Abwanderung Richtung Osten bringen könnte, wenn ihnen die Perspektive im – dann vielleicht teilweise von Israel annektierten – Westjordanland fehlt.

Nicht mehr gebraucht

Jordanien hat zudem viel von seiner regionalen Rolle eingebüßt: Früher war das Königreich Puffer und Vermittler zwischen Israel und anderen arabischen Staaten und durch seine militärische Expertise – Stichwort die von den Briten 1921 gegründete Arabische Legion – in das Sicherheitsmanagement der arabischen Golfstaaten eingebunden. Die brauchen Jordanien heute nicht mehr und haben auch ihre eigenen Beziehungen zu Israel. Und Abdullah befürchtet, dass ein von Palästinensern dominiertes Jordanien auch keine haschemitische Monarchie mehr brauchen könnte. (Gudrun Harrer, 19.10.2023)