Es ist zum Schämen, wenn das Tragen einer Kippa zum Sicherheitsrisiko wird.
IMAGO/Michael Gstettenbauer

Zerrissene israelische Flaggen, beschmierte Haustüren, Anfeindungen auf Social Media, ein versuchter Brandanschlag auf eine Synagoge, Demos, auf denen judenfeindliche Parolen geschrien werden. Seit dem von langer Hand geplanten Terrorangriff der Hamas auf Israel ist die Zahl der antisemitischen und antiisraelischen Vorfälle in Deutschland und Österreich sprunghaft angestiegen. Neue offizielle Zahlen aus Deutschland zeigen sogar eine Verdreifachung im Vergleich mit dem Vorjahr.

Viele der antisemitischen Vorfälle seit dem 7. Oktober ereigneten sich im privaten Umfeld, vor der Synagoge, in der Schule, auf dem Weg zur Arbeit, noch mehr auf Social-Media-Plattformen. Jüdinnen und Juden sind in unseren Breiten schon wieder Opfer von offen ausgelebtem Hass. Eine jüdische Kippa zu tragen ist mitten in Europa ein weiteres Mal ein Risiko. Es ist einfach nur zum Schämen.

Wohlgemerkt richten sich diese Taten gegen Personen jüdischen Glaubens, die absolut nichts mit dem Krieg in Nahost zu tun haben. Aus einem Reflex heraus werden Menschen zu Sündenböcken gemacht, allein wegen ihrer Religionszugehörigkeit. Damit geht die Verherrlichung des Terrorismus in Nahost im Allgemeinen und des unfassbar brutalen Massakers an Israelis im Speziellen einher. Man muss an dieser Stelle hoffentlich nicht extra betonen, dass die Terrororganisation Hamas einen Krieg gegen Israel führt, das natürlich sein Recht auf Selbstverteidigung ausüben muss.

Antisemitismus von allen Seiten

Es wäre zu einfach, die Gründe für die widerliche Opfer-Täter-Umkehr, die nun bei uns auf den Straßen demonstriert wird, nur in der jüngeren Vergangenheit Deutschlands und Österreichs zu suchen. Antisemitismus – und aktuell vor allem der Israel-bezogene Antisemitismus – kommt von allen Seiten: von rechts, von links, aus der muslimischen Community.

Ein guter Teil des Antisemitismus ist heute importiert, aber es gibt auch den, der aus der eigenen Geschichte erwächst. Dass "die Israelis die Palästinenser im Grunde auch nicht anders behandeln als die Deutschen im Zweiten Weltkrieg die Juden", befindet zum Beispiel mehr als die Hälfte der türkisch- und arabischsprachigen Befragten, aber auch fast ein Drittel in ganz Österreich. Diesen Befund stellt die jüngste österreichische Antisemitismus-Studie im Auftrag des österreichischen Parlaments.

Aber egal, woher der Hass kommt: Politik und Gesellschaft müssen antisemitische Aktivistinnen und Aktivisten in die Schranken weisen und mit allen rechtlichen Mitteln, die dem demokratischen Rechtsstaat zur Verfügung stehen, gegen sie vorgehen. Das ist mittlerweile auch eine Frage der allgemeinen Sicherheit. Die demokratischen Werte der Demonstrations- und Meinungsfreiheit sind keine Freibriefe für Gewalt und Einschüchterung. Ein wichtiges politisches Signal in diese Richtung ist der Parteiausschluss der Spitze der Sozialistischen Jugend Vorarlberg nach einem antisemitischen Posting.

Wenn man die wiederkehrenden emotionalen Reden anlässlich der Novemberpogrome, die sich am 9. und 10. November heuer zum 85. Mal jähren, auch ernst meint, muss das klare Bekenntnis gegen Antisemitismus und öffentlich zelebrierten Judenhass auf allen Ebenen von Politik und Gesellschaft einfließen. Vor allem auch auf der Ebene der Bildung unserer Jugend. (Manuela Honsig-Erlenburg, 19.10.2023)