Am 5. Oktober vergab die Wiener Wissenschaftscommunity im Wiener Stadtsaal das "Goldene Brett vor dem Kopf". Der Schmähpreis wird jährlich für "den größten unwissenschaftlichen Unfug des Jahres" vergeben. Erstmals regte sich dagegen Widerstand. Die Initiative "Grüne gegen Impfpflicht" (GGI) machte mobil, störte die Veranstaltung und vergab ihrerseits Preise in einem Zelt auf der Straße vor dem Stadtsaal. Dabei offenbarten sich recht interessante Allianzen.

Schließlich findet man so etwas selten: eine grüne Lokalpolitikerin, ein Publizist vom äußersten rechten Rand und eine Astrologin, alle drei in feinem Zwirn, mit dem Sektglas in der Hand, auf einem roten Teppich und im Geiste vereint. Dieses Zusammenkommen war am 5. Oktober vor dem Stadtsaal in der Mariahilfer Straße zu sehen, wir verdanken es der Initiative "Grüne gegen Impfpflicht" (GGI).

Monika Henning-Erber, grüne Gemeinderätin in Grafenegg, legt dem Publizisten Florian Machl (er ist einer von gut einem Dutzend Preisträger) feierlich eine Medaille um den Hals, darauf steht: "Der Wahrheit verpflichtet – goldwert, mutig – unbeugsam". Henning-Erber ist grüne Gemeinderätin im niederösterreichischen Grafenegg. Machl wird eher kein Grüner mehr, er ist Chefredakteur des weit rechts positionierten Onlinemagazins "Report 24" und hat eine Vorliebe für Verschwörungsplaudereien rund um die Impfungen, Migranten und böse Eliten rund um Bill Gates. Nora Summer moderiert die Vergabe des Preises. Summer ist kein Mitglied der Grünen, aber Sprecherin der "Grünen gegen Impfpflicht".

Die Partei hat die Nase voll

Notabene: Die Partei hat die Nase voll von den Aktivisten, die sich mit der Marke "Grün" schmücken, und betont gegenüber der Stiftung Gurutest: Man will mit dieser Gruppe und deren "wissenschaftsfeindlichen und empathielosen Aussagen" nichts zu tun haben.

Die Inszenierung der vermeintlich grünen Initiative GGI am 5. Oktober vor dem Stadtsaal ist kein Zufall. Die Wiener Skeptiker hatten für ihren Schmähpreis Ulrike Guérot, Stefan Homburg und Ferdinand Wegscheider nominiert, dass Daniele Ganser mit dem Preis für sein Lebenswerk ausgezeichnet werden sollte, sickerte bereits vor dem Termin durch.

Die Nominierung hat schlafende Hunde geweckt. Ganser, Guérot, Wegscheider und Co sind Säulenheilige der Szene. Wer sich mit denen anlegt, legt sich mit einer eingeschworenen und gut vernetzten Community an. Die GGI hat sich in den letzten Monaten – nicht zuletzt dank massiver Aktivitäten in den sozialen Medien – zu einer Art Relaisstation für die Wut der "Querdenker" gemausert. Die Aktivisten der GGI haben sich im Vorfeld Karten gesichert und gaben die guten Manieren an der Garderobe ab. Ein Zettel instruierte die Gleichgesinnten, wann laut zu piepsen und zu chanten sei.

Fotografie eines Zettels
Handlungsanweisung fürs Crashen einer Party.
Christian Kreil

Astrologin macht sich über angebliche Pseudowissenschafter lustig

Es wurde viel gepiepst an dem Abend, und die Party wurde ein wenig gecrasht. Science Buster Martin Puntigam, er moderierte den Event, drehte den Spieß um und bat die Pöbler der GGI auf die Bühne. Auch Nora Summer war Teil des Publikums. Sie hat eine Musicalausbildung, ist Stuntfrau, bis vor kurzem konnte man bei ihr "Astro-Audienzen" buchen. Eine "Fulminant-Formel mit Geheimnissen für Lebensfreude" gibt es bei Summer kostenlos. Sie fasste sich ein Herz und eröffnete ihre Widerrede mit dem Hinweis, dass hier "Pseudowissenschafter einen Preis für Pseudowissenschaft" vergeben würden.

Dieser Vorwurf sitzt natürlich. Hinter dem "Goldenen Brett" stehen die Wiener Skeptiker. Präsident ist Ulrich Berger, er ist Professor an der Wirtschaftsuni Wien und hat zwei Doktortitel, den Abend organisiert haben unter anderem der promovierte Astrophysiker Stefan Uttenthaler und Friederike Schlumm, eine promovierte Molekularbiologin. Die Laudatoren an diesem Abend waren: Gerald Gartlehner, er ist Professor für Evidenzbasierte Medizin an der Donauuni Krems, Daniela Angetta-Pfeiffer, sie ist eine promovierte Medizinhistorikerin und Autorin des Wissenschaftsbuchs 2022. Adelheid Kastner vervollständigte den Reigen, sie ist Primarin an der Universitätsklinik Linz.

Der Wissenschaftspublizist Florian Aigner, der beim "Goldenen Brett" anwesend war, beschreibt die von Störaktionen begleitete Szenerie im Stadtsaal als Kulturbruch: Sein Tweet auf der Plattform X trifft ins Schwarze: "Das Gejohle und Geschrei machte klar, was die Themen dieser Leute sind: gegen Impfung, gegen Corona-Maßnahmen, gegen Klimaschutz, für Verschwörungstheorien zu 9/11, für Russland, gegen die Nato."

Der linke Publizist beklagt die Bösartigkeit der Skeptiker

Vermutlich können wir das Themenpotpourri der besagten Szene noch um ein trauriges Kapitel erweitern. Auch der Wiener Verleger und Publizist Hannes Hofbauer erhielt von den GGI einen Preis für "Wahrheit". Hofbauer ist Chef des linken Promedia-Verlags. Seit dem dort erschienenen Sammelband "Lockdown 2020" hat Hofbauer einen Stein im Brett der "Querdenker". Hofbauer teilt in dem Buch gegen "Bill Gates und Co" aus. Als ihm Henning-Erber die Medaille um den Hals hängt, freut er sich, dass man "der Bösartigkeit der Skeptiker den Ernst nimmt" und man sich endlich wieder auf der Straße treffe.

Kaum eine Woche später traf sich Hofbauer wieder auf der Straße mit Gleichgesinnten und sprach in ein Mikrofon, diesmal empörten ihn die Bösartigkeiten Israels gegen Palästina. Die Massaker der Hamas verpackt Hofbauer bei der "propalästinensischen Demo" am 14. Oktober elegant: Die Angriffe der Hamas seien "eine Form des Widerstands von Unterdrückten gegen Unterdrücker". Hofbauer wünsche sich zwar "weniger religiösen Fanatismus" bei der Sache, aber zu wünschen gebe es bei einem historischen Aufbegehren gegen Unterdrückung nichts. Nur zur Klarstellung: Wir reden hier von dem konzertierten und minutiös geplanten Abschlachten von jüdischen Zivilisten durch islamistische Terroristen.

Busunternehmer würde sich für den Nobelpreis genieren

Auch der Busunternehmer Alexander Ehrlich durfte von der GGI eine "Medaille der Wahrheit" entgegennehmen. Ehrlich ist ein Urgestein der heimischen Maßnahmengegner und um einen Vergleich nicht verlegen. Als ihm Summer die Medaille um den Hals legt, sagt er: Er freue sich über den Preis mehr als über den Nobelpreis, für den würde er sich nämlich genieren. Wenig Genierer kennt Ehrlich bei seinen Aktionen gegen die aus seiner Sicht menschenverachtenden Corona-Maßnahmen. In Mauthausen ließ Ehrlich im Mai 2021 bei einer Demo eine Rede Adolf Hitlers abspielen.

Die übrigen Preisträger der GGI: Anwälte, die sich bei der Verteidigung von Maßnahmengegnern einen Namen in der Szene gemacht haben, und ein Gewerkschafter der neuen Art – Max Pucher ist Unternehmer aus der IT-Branche und hat mit anderen Unternehmern eine neue "Gewerkschaft" gegründet. Die "Union Souveränität" will dem "totalitären Corporatismus der globalen Finanzelite in Österreich" Einhalt gebieten. Außerdem fordert man "Selbstbestimmung, Menschenrechte und Rechtsstaat". Bescheidenheit ist keine Zier Puchers: in einem Interview mit dem Videoportal RTV aus Oberösterreich sagt er, "in den nächsten Jahren so groß oder größer als der ÖGB" werden zu wollen.

Für wiederum dieses Videoportal durfte Unternehmensgründer Christian Schott die "Medaille der Wahrheit" in Empfang nehmen. Das Videoportal machte sich in vergangenen Jahren mit eher bizarren Interviews mit Gästen aus der Esoterikszene einen Namen, ließ Zweifel an der Mondlandung anklingen und hofiert Rechtsextremisten. Gegenüber dem ehemaligen Sprecher der rechtsextreme Identitären, Martin Sellner, macht man überaus freundliche Nasenlöcher, er wird bei Interviews als "Migrationsexperte" vorgestellt.

Ein Plädoyer für Ivermectin

GGI-Preisträgerin ist auch die Medizinerin Maria Hubmer-Mogg. Die Corona-Impfgegnerin ist dank ihrer Eloquenz seit gut zwei Jahren ein Aushängeschild der entsprechenden Szene. Bei der Laudatio des Epidemiologen Gartlehner drängt sie ihm ein Konvolut von Papieren auf, die belegen sollen, dass Ivermectin in vielen Ländern erfolgreich gegen Covid-19 eingesetzt worden sei. Gartlehner behält die Contenance und empfiehlt der engagierten Medizinerin einen Kurs im Lesen wissenschaftlicher Studien.

Womöglich tanzt Hubmer-Mogg bei ihrem Kampf für die Wahrheit einfach auf zu vielen Hochzeiten und verliert so den Überblick. Sie empört sich nicht nur darüber, dass Ivermectin als Heilmittel bei Covid-19 nicht gewürdigt wird, sondern auch darüber, dass die Geschehnisse rund um die 9/11-Tragödie in New York längst nicht geklärt seien. Am Rand der Preisverleihung verkündet sie: Vier Fünftel der Leute wüssten nicht, dass am 11. September 2001 das WTC 7 zusammengestürzt sei. Dass dieses Gebäude gesprengt worden sei, ist eine der hartnäckigsten Verschwörungsfantasien rund um 9/11 und wird auch von Ganser gerne aufgewärmt.

Die Verleihung: Das Goldene Brett 2023
Das Goldene Brett

Wenn linke und rechte Publizisten, eine Astrologin, eine grüne Gemeinderätin, Impfgegner und weitere Aktivisten aus der Szene nicht nur gemeinsam feiern, sondern eine Veranstaltung von Wissenschaftern kapern, dann zeigt das: Der völkisch-esoterische Komplex weitet die Kampfzone aus. Wenn es der Argumente für den jährlichen Schmähpreis "Goldenes Brett" bedürfte: Die "Grünen gegen Impfpflicht" und ihre Freunde liefern sie. (Christian Kreil, 27.10.2023)