Social Media-Posts von unterschiedlichen Content-Creatoren
Die Kreativwirtschaft boomt: 50 Millionen Content-Creator gibt es weltweit.
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Mpo Bhabay fährt Motorradtaxi in Jakarta. Für die Taxi-App Gojek kurvt sie jeden Tag mit ihrer grünen Weste durch die verstopften Straßen der indonesischen Millionenmetropole. Wer schon einmal in Jakarta unterwegs war, weiß, dass so eine Fahrt durch ein urbanes Chaos ein Erlebnis ist, und als Taxifahrer hat man viel zu erzählen. Doch mit der Verständigung auf dem Motorrad im Getöse einer Großstadt ist das so eine Sache. Also erzählt Bhabay ihre Geschichten im Internet – vor einem viel größeren Publikum. Auf ihrem Tiktok-Kanal, den 250.000 Nutzer abonniert haben, berichtet sie über kaputte Reifen, nette Kunden und die Rolle der Frau in der indonesischen Gesellschaft. "Ich mache das spontan", sagte sie dem Magazin Rest of World. "Ich schaue, was um mich herum passiert, und poste es."

Die Videos, die bis zu einer halben Million Mal aufgerufen werden, machen die Motorradtaxi-Fahrerin zu einem interessanten Testimonial: Umgerechnet 200 Dollar erhält Bhabay für einen gesponserten Post. Für die Mutter von neun Kindern ist das ein netter Zusatzverdienst. Zum Vergleich: Mit ihrem Taxifahrer-Job kommt sie auf umgerechnet drei Dollar am Tag – bei täglich zwölf Stunden Arbeit. Mit dem Geld konnte sie sich ein Haus kaufen und ihre Schulden abbezahlen. Das Influencertum ist in dem islamischen Land aber nicht ganz ungefährlich. So wurde kürzlich eine Tiktokerin von einem indonesischen Gericht zu zwei Jahren Haftstrafe verurteilt, weil sie in einem Videoclip Schweinefleisch gegessen hatte.

Einblicke in den Arbeitsalltag

Bhabay ist nicht die einzige Taxifahrerin, die sich mit Social-Media-Aktivitäten etwas dazuverdient. In Südostasien gibt es zahlreiche Chauffeure, die auf eigenen Tiktok-Kanälen auf Sendung gehen und mit Produktwerbung zum Teil mehr verdienen als mit Fahrten auf der Straße. Sie werben für Ramen-Nudeln, Kaffeehausketten oder Versicherungen. Im Gegensatz zu Influencern, die mit inszenierten Posts eine Schein- und Glitzerwelt verkaufen, sind Mikro-Influencer näher an der Basis. Zwar haben sie eine geringere Reichweite (meist zwischen 10.000 und 100.000 Follower), dafür sind sie aber authentischer. Und das macht sie für die Werbewirtschaft interessant. Wenn ein Taxifahrer mit verschwitztem Hemd einen Eistee trinkt, nimmt man ihm das eher ab als einem perfekt gestylten Model. Für die Taxifahrer eröffnet sich mit der Social-Media-Bühne ein neues Publikum, das mit jedem Zuschauer und Werbedollar den eigentlichen Job zur Hintergrundkulisse werden lässt.

Schon seit einiger Zeit ist es in Mode, über seinen Job zu erzählen. So haben sich zahlreiche Flugbegleiterinnen ein zweites Standbein als Influencerin in sozialen Medien aufgebaut, wo sie über ihren Berufsalltag erzählen: wie sie sich stylen, was sie in der Luft essen und was die Crew macht, wenn alle Fluggäste ausgestiegen sind. Eine Art Making-off des Fliegens, konsumierbar wie ein Bordessen. Solche Videos werden tausendfach geklickt, und sie bescheren den Schöpfern Werbeeinnahmen, wenn sie irgendein Produkt in die Kamera halten.

Der Hinterhof als Catwalk

Sogar die Hofeinfahrt kann im globalen Dorf zur Bühne werden, wie das Beispiel von Shaheel Sanil Prasad zeigt: Der junge Mann aus Suva City, der Hauptstadt der Fidschi-Inseln, wurde im vergangenen Jahr zur Internetberühmtheit, als er sich in Pappkartons, Putzeimer und andere Utensilien hüllte und im Stile eines Supermodels barfuß über den staubigen Boden vor einer Wellblechhütte stolzierte. Der Hinterhof wurde zum Catwalk, Alltagsgegenstände zu Accessoires. Die Mode-Parodie, die in weniger als einer Stunde abgedreht wurde, ging viral – und wurde millionenfach geklickt. Früher arbeitete Prasad in einem Callcenter, heute vertreibt der queere Modeschöpfer seine eigenen Kreationen im Internet.

Der Hinterhof wurde beim damals 24-jährigen Shaheel Sanil Prasad zum Catwalk, Alltagsgegenstände zu Accessoires.
In einem 11-sekundenlangen Videoclip parodiert Shaheel Sanil Prasad eine Runway-Show
Tiktok/Shaheel Shermont Flait

50 Millionen Creator weltweit

Klar, nicht jeder kann zum gefeierten Influencer werden. Es gibt geschätzt 50 Millionen Content-Creator auf der Welt, nur die wenigsten können davon leben. Doch die Kreativwirtschaft boomt – und ernährt vor allem in Schwellenländern wie Vietnam und Indonesien immer mehr Menschen. Goldman Sachs sagt der Creator-Economy jährliche Wachstumsraten von zehn bis 20 Prozent voraus, bis 2027 könnte das Marktvolumen auf eine halbe Billion Dollar steigen. In dem Maße, wie die Branche wächst, könnte sie in den kommenden Jahren zu einem Auffangbecken für die Verlierer der digitalen Transformation werden: Telefonisten, Taxifahrer, Texter – diese Jobs wird es in absehbarer Zeit wohl nicht mehr geben.

In den Tantiemen, die Plattformen wie Tiktok, Youtube oder Instagram ausschütten, materialisiert sich bereits die Idee eines Grundeinkommens, für dessen Einführung die Tech-Vordenker im Silicon Valley schon seit Jahren trommeln, um die sozialen Härten der Automatisierung abzufedern. Der Spiele-Entwickler Epic Games zahlt seit diesem Jahr 40 Prozent seiner Einnahmen an Fortnite-Creator aus, die unter anderem virtuelle Inselwelten entwerfen. Vielleicht werden Chauffeure irgendwann auch im Metaverse für ihre Dienste bezahlt, wenn das Robotaxi in ein paar Jahrzehnten die Straßen erobert hat. Die spannenden Geschichten erzählt einem aber nicht der Roboter, sondern nur der Mensch. (Adrian Lobe, 24.10.2023)