Schulklasse
Lehrerinnen und Lehrer erhalten Material zu Themen wie Völkerrecht und Antisemitismus.
Getty Images; Stadt Salzburg/Ale

Politik zeigt eindeutig Flagge - Seltene Einigkeit der Parteien

Wo die Regierung in diesem Konflikt steht, hat sie mehrfach eindeutig klargemacht: Vom Bundespräsidenten über den Kanzler bis zum Nationalratspräsidenten haben sich alle Spitzenpolitikerinnen und -politiker dieses Landes unmissverständlich auf die Seite Israels gestellt. Sie sprachen auf Kundgebungen für die Opfer in Israel, von Regierungsgebäuden wehte die weiß-blaue Fahne mit dem Davidstern. Und Österreich traf die Entscheidung, die Gelder für die Entwicklungszusammenarbeit mit den Palästinensern auf Eis zu legen – noch Stunden, bevor die EU den gemeinsamen Beschluss verkündete, diese Zahlungen zu überprüfen.

Auch in der Opposition herrscht seltene Einigkeit. Zwei Tage nach dem Hamas-Angriff veröffentlichten alle im Parlament vertretenen Parteien eine gemeinsame Erklärung: "Quer über Parteigrenzen und politische Ansichten hinweg sind wir geeint in unserer Solidarität mit dem israelischen Volk", heißt es darin. Am vergangenen Mittwoch fand im Nationalrat eine Schweigeminute statt, bei der sich der designierte Botschafter Israels, David Roet, "tief bewegt von der überparteilichen Unterstützung" zeigte. Diese eindeutige Positionsbestimmung hat, wie in Deutschland, auch mit der historischen Verantwortung für den Nationalsozialismus zu tun. "Israel und Jüdinnen und Juden zu unterstützen ist unsere Pflicht", meinte zuletzt EU- und Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP).

Die FPÖ, die ursprünglich aus dem einstigen politischen Sammelbecken ehemaliger Nationalsozialisten hervorging und immer wieder mit antisemitischen Äußerungen aufgefallen ist, pflegt Verbindungen zum rechten politischen Spektrum in Israel. In Teilen der Linken sorgt der Konflikt zwischen Palästinensern und Israel seit Jahrzehnten für Diskussionen. Die Vorarlberger SPÖ will zwei Funktionäre ihrer Jugendorganisation aus der Partei ausschließen, nachdem sich diese "für die Verteidigung von Gaza" ausgesprochen hatten, ohne die Hamas zu verurteilen. Die Kommunistische Jugend Österreich fiel vor wenigen Tagen mit dem Statement auf, Israel sei "nicht das Opfer", während der Kommunistische Studierendenverband Linke Liste jene kritisierte, die über die "Praktiken der Hamas gerne schweigen", und "antisemitische Hetze" verortete.

Wie die Exekutive geschult wird - Expertinnen sitzen im Staatsschutz

Wenn politische Konflikte und Kriege zu Demos auf den Straßen führen, hat auch die Exekutive alle Hände voll zu tun. Bisher wurden in Österreich zwei Pro-Palästina-Demos untersagt: eine in Wien, aufgrund eines Gewaltaufrufs gegen Israel. Und eine in Graz, nachdem eine Prüfung der Landespolizeidirektion Steiermark eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit ergeben hatte.

Um Gefahren zu erkennen, braucht es freilich Know-how. Im Rahmen der polizeilichen Grundausbildungen würden Polizistinnen und Polizisten in Bezug auf die Thematiken Nationalsozialismus und Antisemitismus sensibilisiert und geschult, heißt es aus dem Innenministerium. Unterschiedliche Ausbildungsmodule zu den Themen Verfassungsrecht und Europäische Union, Kriminalistik, Psychologie oder Menschenrechte würden diese Thematik explizit aufgreifen. Auch der Besuch einer Gedenkstätte sei verpflichtend.

Experten mit speziellem Wissen zu Antisemitismus und damit in Verbindung stehenden Symbolen und Aussagen sitzen in der Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) und in den Landesämtern für Verfassungsschutz. Wenn bei Demos spezifische Slogans fallen oder Personen sich strafbar verhalten, geben die Landespolizeidirektionen konkrete Anweisungen an die eingesetzten Exekutivbediensteten. "Wir nehmen die Lage ernst, daher sind entsprechende Fachexpertinnen der DSN in unterschiedlichsten Funktionen anlässlich der aktuellen Lagebeurteilung und -bewältigung tätig", formuliert das Innenministerium etwas sperrig.

Dass Polizeibeamte aus eigenen religiösen oder persönlichen Ansichten den Einsatz auf einer israelischen oder palästinensischen Demonstration verweigern können, sei im Beamten-Dienstrechtsgesetz und im Verhaltenskodex des Innenministeriums nicht vorgesehen. Ob dies je vorkomme? Diesbezüglich seien "keine nennenswerten Vorfälle bekannt", heißt es im Ministerium.

Nebenschauplatz Medien - Social Media als Propagandawerkzeug

Medien sind ein wichtiger Nebenschauplatz, die Propagandaschlacht tobt vor allem in den sozialen Medien. Die Terrorgruppe Hamas hat ihre Internetpräsenz deutlich verstärkt. Aus dem israelischen Verteidigungsministerium heißt es, man betrachte das Internet ebenso als Kriegsgebiet, denn dort finde die "Schlacht um die öffentliche Meinung" statt.

Vermeintlich vertrauenswürdige Social-Media-Accounts sind oftmals gefälscht, Falschinformationen werden bewusst in die Welt gesetzt und verbreiten sich im Internet wie Lauffeuer. Traditionelle Medien bemühen sich, Nachrichten zu sortieren, ohne Beeinflussungen und Falschinformationen aufzusitzen – wobei der Mangel an vor Ort überprüfbaren Informationen groß ist. Einen Zugang in den Gazastreifen gibt es für ausländische Journalistinnen und Journalisten momentan nicht. Wie groß die Informationslücke und das Ausmaß von Desinformation in sozialen Medien ist, zeigte am Dienstag die Meldung von der Explosion auf dem Gelände eines Spitals in Gaza.

Der Vorfall stellt einmal mehr Medienberichterstattung über Krieg in den Vordergrund. Wie DER STANDARD vorgeht, lesen Sie hier. Auch der ORF geriet zuletzt mehrmals in die Kritik, etwa nach Ausstrahlung einer ZiB Zack Mini-Ausgabe: Die Nachrichtensendung für Kinder sollte den Krieg zwischen der Hamas und Israel erklären. Dies erschien vielen so einseitig, dass die Redaktion in einem Statement anschließend bedauerte, dass "der Eindruck von Relativierung entstanden sein" könnte. Dass die Hamas Israel angegriffen hatte und wie viele Menschen dabei starben, war etwa nicht erwähnt worden. Auch ORF-Korrespondent Karim El-Gawhary war mehrfach Ziel von Angriffen in Social Media: zum einen, weil er dafür plädiert, "den Kontext der Besatzung" mitzudenken, zum anderen, als er sich für einen TV-Beitrag im Libanon vor einem – in dieser Gegend häufig verbreiteten – Hassplakat gegen Israel filmen ließ.

Pro-Palästinensische-Demonstration
Von den Behörden untersagte Pro-Palästinensische-Demonstration am Wiener Stephansplatz, die dennoch stattfand.
APA/TOBIAS STEINMAURER

Reaktionen und Debatten an Unis - Wer sich wie äußerte und wer nicht

Auch Universitäten als Orte intellektuellen Austauschs geraten mitunter rhetorisch zwischen die Fronten. Für Aufsehen sorgte etwa ein Statement einiger Studierender der Elite-US-Universität Harvard, in dem Israel "für alle sich entfaltenden Gewalttaten voll verantwortlich" gemacht, die Hamas aber nicht verurteilt wurde. In Österreich lassen die meisten Hochschulen keinen Zweifel an ihrer Solidarität mit Israel.

So heißt es auf der Homepage der Universität Wien, man verurteile den Terrorangriff, sei "entsetzt über das Ausmaß der Gewalt". Die Österreichische Hochschülerinnen- und Hochschülerschaft hat gemeinsam mit der Wiener Vertretung sowie mit jener der jüdischen Studierenden ein Statement erarbeitet, in dem das Morden der Hamas als "inakzeptable Verletzung der Menschlichkeit" und Israels "Selbstverteidigung" als "legitim" bezeichnet, aber auch der palästinensischen Zivilbevölkerung Solidarität ausgesprochen wird. Das Institut für Politikwissenschaft, das derzeit einige Lehrveranstaltungen zu Nahostkonflikt und Antisemitismus abhält, hat ebenfalls eine Reaktion veröffentlicht. Darin wird der "Vernichtungsantisemitismus" der Hamas und ihre "durch nichts zu rechtfertigende Barbarei" verurteilt. Weit mehr als die Hälfte der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hat den Text aber nicht unterschrieben, darunter auch dessen Vorstand Ulrich Brand. Auf STANDARD-Nachfrage erklärte dieser, Kritik "am Terror der Hamas" sowie "Solidarität mit der leidenden Bevölkerung in der Region" für richtig zu halten. Ihm sei jedoch "unwohl" bei der darin enthaltenen Aussage, dass das israelische Militär nun die Geiseln befreien solle. Dies bedeute eine Einschränkung des politischen Möglichkeitsraums wie Verhandlungen.

Die Akademie der bildenden Künste in Wien, die immer wieder kritisiert wird, etwa für Gastvorträge von Personen, die Sympathien für die Hamas geäußert haben, positioniert sich nun klar. Auf ihrer Website heißt es: "Wir trauern um all die Opfer, die der terroristische und durch nichts zu rechtfertigende Angriff der Hamas gefordert hat und immer noch verursacht."

Wenn Krieg Schule macht - Zusatzmaterial für Lehrer verfügbar

Der Krieg in Nahost macht auch vor Klassenzimmern nicht halt, im Gegenteil. Durch die sozialen Netzwerke sind auch Kinder und Jugendliche nur einen Klick von Krieg und Propaganda entfernt. Das merke man in Gesprächen mit Schülerinnen und Schülern immer wieder, sagen Lehrpersonen. Viele von ihnen fühlen sich allein gelassen in der Frage, wie sie mit antisemitischen Ansichten mancher ihrer Schülerinnen umgehen sollen – DER STANDARD berichtete.

Grundsätzlich wird der Nahostkonflikt im Fach Geschichte und politische Bildung behandelt. Wenn es wie jetzt einen aktuellen Anlass gibt, improvisieren viele Lehrer, ziehen etwa Inhalte vor. Darüber hinaus steht seit dem Überfall der Hamas auf Israel zusätzliches Informationsmaterial zur Verfügung: So bietet die Wiener Bildungsdirektion derzeit Unterlagen über Antisemitismus oder Völkerrecht an. Treten an einzelnen Schulstandorten akute Probleme auf, kann eine Schulpsychologin angefordert werden.

Die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ) versandte bereits vor einigen Tagen ein Schreiben an die islamischen Religionslehrer, in dem unter anderem dazu angehalten wird, interreligiösen Dialog und Zusammenarbeit zu vermitteln. Von der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) gibt es ein seit Jahren bewährtes Programm, auf das Schulen zurückgreifen können: Beim Schulprojekt Likrat beantworten junge Juden die Fragen Gleichaltriger. Die "Likratinos" der IKG werden dafür geschult, erzählen über ihre Religion, aber auch aus ihrem Alltagsleben – und räumen dadurch oftmals mit vielen Vorurteilen auf. (Anna Giulia Funk, Lara Hagen, 22.10.2023)