Donald Tusk
Die Zeichen stehen auf Veränderung: Donald Tusks liberalkonservative Bürgerkoalition erreichte bei der Parlamentswahl eine deutliche Mehrheit der Sitze.
AFP/JANEK SKARZYNSKI

Vor vielen Jahren, noch in der kommunistischen Ära, schrieb der begnadete polnische Satiriker Stanisław Jerzy Lec: "Auch uns nennt man im Westen den Osten und im Osten den Westen." Polen ist trotz der kommunistischen Herrschaft stets ein Wegweiser in Europa geblieben: 1956 mit Demonstrationen gegen die Stalinisten; 1980 bis 1981 mit der Gründung der freien Gewerkschaft Solidarność; 1989 mit dem runden Tisch zur Freiheit und 2023 mit dem Sieg der Demokratie auch bei unfairen Wahlen.

Zerstörung des Rechtsstaates

Von Washington bis Brüssel, von Kiew bis Berlin hat man den überraschend klaren Sieg der von der liberal-konservativen Bürgerplattform geführten Dreierkoalition der Oppositionsparteien mit Erleichterung zur Kenntnis genommen. Es ging nämlich um die Zukunft der Demokratie in dem wichtigsten Nato-Frontstaat im Vorfeld der um das staatliche Überleben kämpfenden Ukraine gegen den russischen Aggressor. Acht Jahre lang hat die Partei PiS (Recht und Gerechtigkeit), dominiert von dem bizarren Machtfanatiker und autoritären Nationalisten Jarosław Kaczyński, schrittweise den Abbau der unabhängigen Justiz und die Gleichschaltung der Medien entschlossen und ohne Rücksicht auf die internationalen Proteste betrieben. Als Strafe wegen der Zerstörung des Rechtsstaates hat die EU bekanntlich 35 Milliarden Euro aus dem Corona-Wiederaufbaufonds blockiert.

Auf dem Spiel stand die Zukunft der Demokratie, und die Polen haben gezeigt, dass mit der Mobilisierung der Zivilgesellschaft und mit der Geschlossenheit der Opposition – im krassen Gegensatz zur trostlosen Lage in Ungarn – auch eine nicht faire, weil durch die gesäuberten Medien und von der Regierungspartei missbrauchte Steuergelder verzerrte Wahl gewonnen werden kann. Noch nie wurde eine so hohe Wahlbeteiligung – 74 Prozent – registriert. Darüber hinaus trug auch die Ausstrahlung des früheren Regierungschefs und international respektierten Ex-Präsidenten des Europäischen Rates Donald Tusk zum Erfolg der Opposition bei.

Voreilige Begeisterung

Trotzdem scheint mir die Begeisterung mancher Beobachter voreilig zu sein. Mit Blick auf die Möglichkeit einer Wahlniederlage hat die PiS die Kompetenzen des Staatspräsidenten durch einen Parlamentsbeschluss beträchtlich erweitert. Der zweimal vom Volk gewählte Staatspräsident Andrzej Duda, ein Vertrauensmann der PiS, kann gegen Gesetze ein Veto einlegen, jeden Text durch das bereits von PiS-Gefolgsleuten dominierte Verfassungsgericht prüfen lassen und europapolitische Beschlüsse beziehungsweise Ernennungen mitbestimmen. Der künftigen Koalitionsregierung fehlen 27 Sitze zu der Dreifünftelmehrheit, die zur Überstimmung eines Vetos des Präsidenten nötig ist.

Darüber hinaus beherrschen PiS-Anhänger die Staatsmedien, die Verwaltung, die Nationalbank und die Leitung der Staatsunternehmen. Es ist völlig offen, wie zügig – wenn überhaupt – der folgenschwere Umbau der Justiz rückgängig gemacht werden kann. Wenn aber die Koalitionsregierung auch im Hinblick auf die Europawahlen geschlossen und die starke Zivilgesellschaft wachsam bleibt, wenn der in Polen einflussreiche US-amerikanische Bündnispartner und die EU die neue Regierung aktiv unterstützen, dann könnte die auch für Europa so wichtige demokratische Wende in Polen gelingen. (Paul Lendvai, 23.10.2023)