Der Vorarlberger Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP) hat es am Mittwoch klipp und klar gesagt: Ihm wäre es lieber gewesen, wenn ungewollt Schwangere auch künftig im niedergelassenen Bereich eine Abtreibung vornehmen würden. Schwangerschaftsabbrüche im Spital, auch wenn sie keine Krankenhausleistung und nicht kostenlos sind, das konnte und wollte Wallner sich nicht vorstellen. Nun kommt aber genau das.

Was bisher geschah

Ein kurzer Rückblick: Weil jener Arzt, der als einziger im Ländle Abbrüche durchführt, mit Ende des Jahres in Pension geht, war die Politik am Zug, eine Nachfolgelösung zu suchen. Man einigte sich auf ein Personalwohnheim am Gelände des Landeskrankenhaus Bregenz. Weil der Umbau aber bis Ende 2024 dauern würde, musste eine Zwischenlösung für ein Jahr her. ÖVP-Gesundheitslandesrätin Martina Rüscher brachte ins Spiel, Abbrüche im Spital, aber dennoch von privaten Ärzten, zu ermöglichen. Kurz bevor sie die Lösung präsentieren wollte, sprach sich der Bischof in einem großen Interview gegen eine solche Möglichkeit aus, außerdem fand eine Demonstration vor dem Krankenhaus statt. Etwa 80 Abtreibungsgegner kamen mit kleinen, weißen Särgen. Rüscher ruderte zurück: Sie bedaure es zwar, aber Abbrüche im Spital seien nicht machbar. Sie sei aber zuversichtlich, eine andere Lösung zu finden.

Ende September fanden in Bregenz zwei Demonstrationen für die Möglichkeit statt, Schwangerschaftsabbrüche im Spital durchführen zu lassen.
Laura Wurm

Das war Mitte September. Seither hörte man nichts mehr. Bis am Mittwoch eine kurzfristige Einladung zur Pressekonferenz kam und Wallner dort verkündete, Abbrüche würden ab Ende November permanent im Spital angeboten - als Privatleistung. Was führte zu der Kehrtwende?

Ärztinnen ausschlaggebend

Ein wichtiger Grund dafür sind zweifelsohne die Ärztinnen und Ärzte im Land. Wallner sagte, dass schlichtweg niemand für die Lösung im niedergelassenen Bereich gefunden werden konnte. Angedacht wäre wohl gewesen, dass ein Team aus mehreren Gynäkologen die Abbrüche in der Praxis jenes Arztes anbieten würde, der mit Jahresende in Pension gehen wird. Benedikt Hostenkamp ist mittlerweile 71 Jahre alt und kündigt seinen Rückzug schon seit vielen Monaten an. Vor 25 Jahren eröffnete er mit seiner Frau neben ihrer Praxis in Lindau einen Standort in Bregenz, weil beide von Beratungsorganisationen aus dem Ländle lange darum gebeten wurden.

Warum die Suche nach einem oder mehreren Nachfolgern schwierig bis – aus jetziger Sicht – nicht machbar war, führten zwei Vorarlberger Gynäkologinnen im Gespräch mit dem STANDARD vor einem Monat aus: "Ich möchte in Vorarlberg nicht mit Abbrüchen in Verbindung gebracht werden", sagt eine von ihnen. "Ich möchte nicht, dass man mich – oder meine Familie – plötzlich auf der Straße deswegen anspricht. Das wäre so. Und das ist extrem unangenehm." Die beiden Ärztinnen bezweifelten damals, dass Personal für eine Lösung im niedergelassenen Bereich gefunden werden kann. Sie waren mit anderen Gynäkologen aus dem ganzen Land vernetzt. Beide gaben an, bereit zu sein, in einem Team im Spital Abbrüche durchzuführen.

Offene Briefe, Petitionen, Demonstrationen

Mit ein Grund dürfte aber nicht nur gewesen ein, dass kein Ärzteteam für eine Lösung abseits des Spitals gefunden werden konnte, sondern dass sich auch eine Vielzahl an Ärzten in einem offenen Brief für Abbrüche im Krankenhaus aussprachen. Als Gründe führten sie die medizinische Sicherheit, aber auch die Anonymität für Frauen und Ärzte, die die Eingriffe durchführen, an. "Wenn es zwar den rechtlichen Rahmen gibt, aber faktisch kein Angebot, gefährdet das potenziell Frauenleben", hieß es darin.

Aber auch Bürgerinnen und Bürger machten ordentlich Druck. Eine Petition der Plattform "Aufstehn" unterzeichneten bis Mittwochabend mehr als 17.000 Menschen aus ganz Österreich. Es gab zwei Demonstrationen in Bregenz, an denen insgesamt mehrere hundert Personen teilnahmen.

Jahrzehntelanges Engagement zweier Politikerinnen

Ein weiterer Baustein ist natürlich der politische Mitbewerber. Mit Gabriele Sprickler-Falschlunger von der SPÖ und Soziallandesrätin Katharina Wiesflecker von den Grünen gibt es zwei Politikerinnen, die sich seit Jahrzehnten mit dem Thema beschäftigen und Abbrüche ohne große Hürden fordern. Sprickler-Falschlunger ist zwar seit kurzem in Polit-Pension, die ehemalige SPÖ-Chefin meldete sich aber dennoch mit ihrer persönlichen Geschichte zu Wort. Sie habe als junge Medizinstudentin eine Schwangerschaft abgebrochen. "Ich bekenne mich dazu, und vielleicht hilft das auch der einen oder anderen Frau, die das Gefühl hat, so etwas verheimlichen oder sich dafür schämen zu müssen."

2015 brachte Sprickler-Falschlunger bereits einen Antrag für Abbrüche in den Landtag. Die Grünen waren noch nicht lange Regierungspartner der ÖVP, stimmten dennoch für die Initiative. Die notwenige Mehrheit fehlte ohne die ÖVP freilich.

Hartnäckige Parteien und Personen

Sprickler-Falschlungers Mann, Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne), saß lange mit Wallner in der Landesregierung. Vor drei Wochen übte er deutliche Kritik an der Vorarlberger ÖVP, weil sie bezüglich Abbrüchen im Spital auf der Bremse stehe. Es gehe darum, wo Frauen gut versorgt seien und wo es gute Zugänge gebe, sagte er im Interview mit den "Vorarlberger Nachrichten": "Das ist im Spital und nicht in einem Container oder im privaten Sektor." Dass es nun diese Lösung gebe, freue ihn, so Rauch auf X, vormals Twitter: "Eine monatelange, entwürdigende Diskussion ist damit zu Ende. Sie zeigt: Auch im Jahr 2023 ist es nicht selbstverständlich, dass Frauen über ihren eigenen Körper entscheiden können."

Vor allem Grüne und SPÖ, aber auch die Neos, ließen in den letzten Wochen nicht locker, obwohl es bis zuletzt nicht danach aussah, dass es noch zu einem Umdenken in der ÖVP kommen könnte. Die Grünen waren – wiedereinmal – in einer schwierigen Position als Koalitionspartner der ÖVP. Mehrere Mandatarinnen waren hinter den Kulissen stark mit Vernetzung und Austausch mit zivilgesellschaftlichen Organisationen und Akteuren beschäftigt. Diese Hartnäckigkeit ist ein weiterer Faktor für die nun präsentierte Lösung.

Apropos hartnäckig: Das dürfte auch für die Gesundheitslandesrätin gelten. Dem Vernehmen nach baute sie parteiinternen Druck auf. Denn: Sie wollte ohnehin den Weg ins Krankenhaus nehmen. Nachdem sich die aufgezwungene Suche nach einer Zwischenlösung als nicht machbar abzeichnete, dürfte ihre Geduld mit den konservativeren Parteifreunden am Ende gewesen sein. Gesundheitsminister Rauch dankte Rüscher "die seit Monaten viele, enorm schwierige Gespräche geführt hat."

Viele Scheinwerfer

Und auch die breite mediale Aufmerksamkeit wird einen Anteil gehabt haben. Sowohl in den regionalen Medien, also auch überregional wurden verschiedenste Aspekte des Themas beleuchtet. Am Mittwoch widmete die "Süddeutsche Zeitung" der Vorarlberger Abtreibungssituation sogar die prominente Seite Drei, wenige Tage vorher brache "Die Zeit" ein Interview mit Doktor Hostenkamp.

In einem Jahr wird in Vorarlberg gewählt. Wallner hat nun ein Problem weniger auf seiner Agenda. Wobei das natürlich nicht alle so sehen: Die FPÖ kritisierte die Kehrtwende, Wallner sei umgefallen. Und auch die Abtreibungsgegner sind sauer. Sie hätten bereits angekündigt, dass sie weiterhin demonstrieren würden, sagte Landesrätin Rüscher am Mittwoch. Eine Bannmeile rund um das Spital werde derzeit nicht angedacht. Aber: "Wir haben direkten Zugriff auf die Flächen vor dem Krankenhaus". Von dort könne man die Protestierenden also wegweisen. (Lara Hagen, 26.10.2023)