Für nationale Hochstimmung bestand in der Woche der nationalen Besinnung diesmal wenig Anlass. Zu feiern gab es die zweithöchste Terrorwarnstufe, die man sich ersparen könnte, gäbe es in diesem Land eine ernst zu nehmende Antisemitismuswarnstufe, begleitet von Maßnahmen, die über verbales Moralisieren betreffend die Unerfreulichkeit eines hinter Kritik an Israel kaschierten Judenhasses hinausgehen. Nach dem, was vor dem Wiener Stadttempel in der Seitenstettengasse einer israelischen Fahne widerfahren ist, wären einige Rücktritte bei der Polizei ein Beitrag zum Nationalfeiertag, mindestens ebenso angemessen wie der militärische Prunk auf dem Heldenplatz.

Wenig Anlass zu nationaler Begeisterung bietet auch der laufende Prozess gegen den ehemaligen Bundeskanzler Sebastian Kurz und seinen Gehilfen wegen falscher Zeugenaussage.
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Jedenfalls angemessener als die Ausrede, in Zeiten wie diesen das Zentrum jüdischen Lebens in Wien nicht bewachen zu lassen, weil Personenschutz vor Objektschutz gehe. Als wäre der Stadttempel irgendein Objekt unter den vielen, für deren Schutz es ohne weiteres an Personal fehlen dürfe. Die Israelitische Kultusgemeinde hätte sich sicher nicht gegen einen Polizisten gewehrt, der vor dem Stadttempel patrouilliert. Und einer hätte genügt, wie das Einschreiten eines Passanten beweist, das in diesem Fall völlig reichte, die Täter zu vertreiben. Es hätte aber auch viel schlimmer kommen können, wie es ja auch schon gekommen ist.

Die Kultusgemeinde im Nachhinein gewissermaßen mitverantwortlich dafür zu machen, dass es zu dieser Schändung der Fahne kommen konnte, weil man die Schutzlosigkeit des Tempels mit ihr doch vereinbart habe, ist eine besonders miese Art, sich einer Verantwortung zu entziehen, die nun einmal bei den Sicherheitsbehörden liegt und nicht bei möglichen Opfern.

Politische Glaubwürdigkeit

Wenig Anlass zu nationaler Begeisterung bietet auch der laufende Prozess gegen einen ehemaligen Bundeskanzler und seinen Gehilfen wegen falscher Zeugenaussage. Vieles daran ist einfach Frage eines peinlich schlechten persönlichen Geschmacks, etwa wenn Sebastian Kurz den Tod von Christian Pilnacek, kaum eingetreten, vor Gericht dafür zu verwerten sucht, sich selber als einen Märtyrer dunkler Mächte darzustellen. Schon der Vergleich war haarsträubend falsch, denn bei Pilnacek sollen es die Staatsanwälte gewesen sein, bei Kurz war es aber ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss.

Nun ist ein U-Ausschuss eine Kontrollinstanz des Nationalrates, und zwar zur Kontrolle der Regierung und ihrer Mitglieder. Kurz war nicht der erste Bundeskanzler, der sich schwer damit tat, dass eine Regierung dem Parlament verantwortlich ist, und nicht umgekehrt. Aber noch keiner hat in einem derartigen Ausmaß versucht, diese in der Verfassung verankerte Tatsache rhetorisch auszuhebeln, indem er den Ausschuss als eine Art Folterkammer für arglose Verwalter zu diffamieren versucht. "Man wollte mich zerstören. Die Angst hat meine Formulierungen geprägt", klagte er vor Gericht. Was nicht ganz verständlich ist, wo er doch "ein starker Kanzler" sein wollte.

Über seine Glaubwürdigkeit als Zeuge urteilt das Gericht, über seine politische Glaubwürdigkeit ist nicht eine "boshafte Menschenjagd" hinweggegangen, sondern ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss, der sich kritische Fragen erlaubte. Ihn aus Eigeninteresse zu verteufeln heißt, der Demokratie einen schlechten Dienst zu erweisen. (Günter Traxler, 26.10.2023)