In seinem Gastkommentar schreibt Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph E. Stiglitz über die Notwendigkeit, erschwingliche Finanzmittel für Entwicklungsländer zu schaffen. Dafür sei eine Verbesserung der globalen Finanzarchitektur dringend nötig.

Nach den Jahrestagungen des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank steht der Nahe Osten am Rande eines großen Konflikts, während die übrige Welt weiter entlang neuer wirtschaftlicher und geopolitischer Linien auseinanderdriftet. Selten waren die Schwächen der Politik und der institutionellen Arrangements so offensichtlich. Das IWF-Exekutivdirektorium konnte sich nicht einmal auf ein Abschlusskommuniqué einigen.

Zwar hat sich die Weltbank unter ihrer neuen Führung verpflichtet, den Klimawandel anzugehen, Wachstumsherausforderungen zu bewältigen und ihre Maßnahmen zur Armutsbekämpfung zu verstärken. Sie will ihre Kreditvergabe ausweiten, indem sie vorhandenes Kapital mobilisiert und neue Mittel aufnimmt. Das reicht jedoch nicht.

Sie sind gefragt, globale Krisen zu überwinden: IWF-Chefin Kristalina Georgieva und Weltbank-Präsident Ajay Banga bei der Jahrestagung Mitte Oktober in Marrakesch.
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Viel wurde über die Mobilisierung von privatem Kapital gesprochen, indem die Risikoprämie, die Investierende für Projekte in armen Ländern verlangen, gesenkt werden soll. Obwohl die soziale Rendite von Investitionen in die Solarenergie in Afrika südlich der Sahara höher ist als im wolkenverhangenen Norden, zögert der Privatsektor aufgrund von Ängsten vor politischer und wirtschaftlicher Instabilität, in das Projekt einzusteigen.

Das Ergebnis dieses Geredes: Der öffentliche Sektor muss alle möglichen Subventionen zur Verfügung stellen, um den privaten "anzulocken". Kein Wunder, dass sich große Finanzunternehmen bei internationalen Treffen tummeln. Sie sind bereit, sich am öffentlichen Trog zu bedienen, in der Hoffnung auf neue Vereinbarungen, die Gewinne privatisieren und Verluste sozialisieren.

Riesige Geldmengen

Aber warum sollten wir von der Privatwirtschaft erwarten, dass sie ein langfristiges Problem öffentlicher Güter wie den Klimawandel löst? Der Privatsektor ist bekannt für seine Kurzsichtigkeit und dafür, dass er sich nur auf eigenen Profit, nicht den Nutzen für die Gesellschaft konzentriert. Er wird mit Liquidität überschwemmt, weil die Zentralbanken als Reaktion auf die Finanzkrise von 2008 und die Covid-19-Pandemie riesige Geldmengen in die Wirtschaft gepumpt haben. Das Ergebnis ist ein Umweg, bei dem die Zentralbanken Kredite an Geschäftsbanken vergeben, die wiederum Kredite an westliche Privatunternehmen vergeben, die wiederum Kredite an ausländische Regierungen oder Infrastrukturinvestitionsunternehmen vergeben, wobei sich die Transaktionskosten und staatlichen Garantien akkumulieren.

Viel besser wäre es, die Liquidität zur Stärkung der multilateralen Entwicklungsbanken zu nutzen, die in diesen Bereichen besondere Kompetenzen entwickelt haben. Da es sich beim Klimawandel um eine langfristige Herausforderung handelt, ist es von Vorteil, wenn Klimainvestitionen umsichtig und in großem Maßstab getätigt werden. Es muss nicht nur mehr Geld durch Kreditaufnahme bei den reichen Ländern mobilisiert, sondern es müssen auch die Einnahmen der Schwellen- und Entwicklungsländer erhöht werden. Doch die bestehenden internationalen Abkommen verhindern dies.

Unfaire Abkommen

Man denke nur an den Aktionsplan der OECD gegen die Erosion von Steuerbemessungsgrundlagen und Gewinnverlagerung. Die Hoffnung war, dass reiche Unternehmen ihren gerechten Anteil an Steuern in den Ländern zahlen würden, in denen sie tätig sind. Die vorgeschlagenen Reformen scheinen den Entwicklungsländern jedoch bestenfalls begrenzte Mehreinnahmen zu bringen. Schlimmer noch, das unfaire Streitbeilegungsverfahren, das es multinationalen Unternehmen erlaubt, Regierungen wegen regulatorischer Änderungen, die ihren Gewinnen schaden könnten, zu verklagen, hat die Ressourcen, die Schwellen- und Entwicklungsländern zur Verfügung stehen, weiter eingeschränkt und sogar ihre Bemühungen behindert, auf Umwelt- und Gesundheitsprobleme zu reagieren.

Und dann ist da noch das Trips-Regime der Welthandelsorganisation, das während der Pandemie zu einer Impfstoff-Apartheid geführt hat. Es ist darauf ausgelegt, die Kassen reicher multinationaler Konzerne mit Lizenzgebühren für geistiges Eigentum aus Entwicklungsländern zu füllen. Tatsächlich hat die gesamte Struktur der Handelsabkommen neokoloniale Handelsmuster konserviert, in denen Entwicklungsländer auf die Produktion von Primärgütern beschränkt sind, während Industrieländer die Glieder der globalen Produktionskette mit hohem Mehrwert dominieren.

Größerer Nutzen

All diese unzureichenden Regelungen können und sollten geändert werden. Die vielleicht wichtigste Verbesserung der globalen Finanzarchitektur wäre eine jährliche Ausgabe von Sonderziehungsrechten aus dem IWF-Reservevermögen in Höhe von 300 Milliarden US-Dollar. Gegenwärtig geht der Großteil an reiche Länder, die diese Mittel nicht benötigen, während die Entwicklungsländer sie für Investitionen in ihre Zukunft oder zur Schuldenrückzahlung verwenden könnten.

Die reichen Länder sollten ihre Sonderziehungsrechte in Kredite oder Zuschüsse für Klimainvestitionen in Entwicklungsländern umwandeln. Dies geschieht bereits in begrenztem Umfang, könnte aber massiv ausgeweitet und umgestaltet werden, um einen größeren Nutzen zu erzielen. Das Beste an diesem Ansatz ist, dass er die fortgeschrittenen Volkswirtschaften nichts kostet. Sofern man also nicht einer fehlgeleiteten Ideologie anhängt, gibt es keinen Grund, dagegen zu sein.

Beste Strategie

Selbst wenn die fortgeschrittenen Volkswirtschaften morgen Netto-Null-Emissionen erreichen würden, wären wir immer noch dem Untergang geweiht, weil die Emissionen in den Entwicklungsländern weiter ansteigen würden. Es wurde zwar ausgiebig darüber diskutiert, dem Privatsektor bessere "Anreize" zu bieten, aber es wurden nur sehr wenige Fortschritte erzielt, und Zölle und andere Beschränkungen für umweltschädliche Importgüter, wie sie Europa jetzt erhebt und in Zukunft noch zu erhöhen droht, werden wahrscheinlich nicht die erforderliche Kooperation bewirken.

Die beste – vielleicht einzige – Strategie, um sicherzustellen, dass die Entwicklungs- und Schwellenländer das tun, was sie tun müssen, wenn wir eine Klimakatastrophe abwenden wollen, besteht also darin, einige der globalen Ungerechtigkeiten der Vergangenheit zu korrigieren und mehr Einkommen und erschwingliche Finanzmittel für die Entwicklungsländer zu schaffen. (Joseph E. Stiglitz, Übersetzung: Andreas Hubig, Copyright: Project Syndicate, 27.10.2023)